Strahlenbrechung

[312] Strahlenbrechung, Brechung des Lichtes oder Refraction nennt man die Erscheinung, daß ein Lichtstrahl, welcher aus einem durchsichtigen Körper (Mittel) in einen andern übergeht, bei diesem Übergange in den meisten Fällen seine frühere Richtung verändert. Dabei kommt es namentlich auf die Dichtigkeit der Mittel an und auf die Richtung, in welcher der Strahl auf die Oberfläche des Mittels, in welches er dringt, gerichtet ist. Fällt nämlich der Strahl senkrecht auf die Oberfläche des zweiten Mittels ein, so erleidet er in diesem gar keine Brechung. Geht ein Lichtstrahl in schiefer Richtung aus einem dünnern Mittel in ein dichteres, so nähert er sich der Senkrechten, welche man sich in dem Punkte, in welchen er einfällt, errichtet denken kann, und ist das zweite Mittel dünner als das erste, so entfernt sich der gebrochene Strahl von dieser Senkrechten. Gehen die gebrochenen Strahlen nach ihrem Durchgange durch ein Mittel wieder in das frühere Mittel über, so erlangen sie die Richtung wieder, welche sie im frühern Mittel hatten. Diese Gesetze der Strahlenbrechung dienen nicht nur, um die wichtigsten optischen Instrumente herzustellen (vgl. Linse), sondern auch dazu, merkwürdige Naturerscheinungen zu erklären und richtige Urtheile über dieselben zu fällen. So werden die von den Sternen ausgehenden Lichtstrahlen, indem sie in die Erdatmosphäre eindringen, gebrochen, weil diese ein dichteres Mittel ist, als der Weltraum, durch welchen sie sich bis dahin bewegten, und wir erblicken daher einen Stern gar nicht an demjenigen Orte, an welchem er sich wirklich befindet, sondern an einem Orte, auf welchen die Richtung des gebrochenen Strahles hinweist. Diese Erscheinung heißt die atmosphärische Strahlenbrechung und ist bei astronomischen Beobachtungen sehr zu berücksichtigen. Die Lichtstrahlen werden aber auf ihrem Wege durch die Atmosphäre nicht nur einmal, sondern fortwährend gebrochen, weil die Atmosphäre vermöge des Drucks der obern Schichten auf die untern fortwährend an Dichtigkeit nach der Erdoberfläche hin zunimmt. Das Licht der Gestirne gelangt also nicht auf geradem, sondern auf krummem Wege in unser Auge. Eine Folge der Strahlenbrechung ist, daß wir auch Sonne und Mond, sowie die Sterne schon am Himmel erblicken, noch ehe sie wirklich aufgegangen sind und noch, wenn sie bereits untergegangen sind. Wenn ein Gestirn gerade über unserm Haupte, im Zenith, steht, so fallen seine Strahlen senkrecht in unsere Atmosphäre ein und mithin findet dann keine Strahlenbrechung statt. – Krystalle von gewissen Formen haben die merkwürdige Eigenthümlichkeit, daß ein durch sie hindurchgehender Lichtstrahl in zwei Strahlen zerlegt wird, und man nennt daher die hier auftretende Erscheinung doppelte Strahlenbrechung. Ein solcher Krystall ist der isländische Doppelspath oder Kalkspath. Legt man einen solchen Krystall z.B. auf ein gedrucktes Buch, so sieht man die Buchstaben doppelt. Bei genauerer Untersuchung findet man, daß der eine der beiden Strahlen, gegen den einfallenden Strahl gewöhnlich (d.h. nach den Gesetzen der einfachen Brechung), der andere aber ungewöhnlich gebrochen ist. Beim Austritt aus dem doppeltbrechenden Krystalle setzen die beiden Strahlen ihren Weg in untereinander parallelen Richtungen fort. Sehr interessante Bemerkungen ergeben sich, wenn man die hier stattfindende Brechung im Verhältniß zu der krystallinischen Construction betrachtet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 312.
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