Wahrscheinlichkeit

[640] Wahrscheinlichkeit oder Probabilität. Eine Behauptung, das Erreichen eines bestimmten Zwecks, das Eintreten eines Ereignisses ist wahrscheinlich, wenn die dafür sprechenden Gründe und dasselbe begünstigenden Umstände die demselben entgegentretenden und hinderlichen nicht so weit überwiegen, daß ein Gegentheil gar nicht denkbar wäre. Etwas Wahrscheinliches ist also immer noch ungewiß, obgleich der Grad der Ungewißheit sehr verschieden sein kann. Die Wahrscheinlichkeit kann einfach sein, wenn die dafür sprechenden Gründe zwar zur Gewißheit unzureichend, allein doch für sich zuverlässig sind, und zusammengesetzt, wenn auch diese Gründe nur als wahrscheinlich gelten können, daher die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit stets ungewisser als die einfache ist. Bei der Berechnung des Wahrscheinlichen unterscheidet man die mathematische Wahrscheinlichkeit, welche die einem Ereignisse günstigen Gründe mit den in Bezug darauf überhaupt möglichen Fällen und bei vorausgesetztem, gleich möglichem Eintritte derselben nur der Zahl nach abgewogen werden, und die dynamische Wahrscheinlichkeit, bei welcher die Gründe auch nach ihrer Kraft gegeneinander abgewogen werden, wie das bei den meisten menschlichen Angelegenheiten und Unternehmungen der Fall ist, wenn ein Urtheil über ihren wahrscheinlichen Erfolg, z.B. über größere kaufmännische Unternehmungen, über den Ausgang eines Kriegs u.s.w. gefällt werden soll. Die eigentliche Berechnung des Wahrscheinlichen ist daher auf solche Angelegenheiten gewöhnlich nur sehr beschränkt anzuwenden und man versteht unter Wahrscheinlichkeitsrechnung auch in der Regel nur die Lehre von Berechnung der mathematischen Wahrscheinlichkeit. Angewendet wird dieselbe in der verschiedenartigsten Richtung, z.B. auf Glücksspiele, auf Sterblichkeitsverhältnisse, beim Versicherungsgeschäft, zur Berechnung von Leibrenten, aber auch in den Naturwissenschaften und besonders in der Sternkunde. Zu den besten Schriften dieser schwierigen Lehre gehört Lacroix's »Lehrbuch der Wahrscheinlichkeitsrechnung«, deutsch von Unger (Erfurt 1818); über ihre Anwendung schrieb unter Andern Meyer, »Allgemeine Anleitung zur Berechnung der Leibrenten und Anwartschaften« (2 Bde., Kopenh. 1823).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 640.
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