Sternkunde

[292] Sternkunde, Himmelskunde oder (ursprünglich griech.) Astronomie nennt man die Wissenschaft von den Weltkörpern und den Gesetzen, nach welchen sich dieselben bewegen. Es ist gewiß, daß es keine Veränderung in der Natur gibt, welche nicht durch unabänderliche Gesetze auf das bestimmteste geregelt ist, sodaß man jede Naturerscheinung genau berechnen können müßte, wenn man nur erst eine genaue Kenntniß von den mancherlei Ursachen hätte, aus welchen dieselbe erfolgt. Die Astronomie ist nun diejenige Naturwissenschaft, welche die Erscheinungen am Himmel außerhalb der Erdatmosphäre nach ihrer Gesetzmäßigkeit zu erklären hat, und unter allen Naturwissenschaften hat sie diese ihre Aufgabe auf das vollständigste gelöst. Keine andere Naturwissenschaft kann so wie die Astronomie mit mathematischer Genauigkeit die Erscheinungen ableiten, ja vorherbestimmen. Um mit Erfolg an die Aufgabe der Astronomie gehen zu können, ist vor Allem eine genaue Kenntniß der Sterne (s.d.) erfoderlich; erst wenn man diese zu übersehen, sich in ihnen zu orientiren vermag, kann man die Erscheinungen an denselben mit Erfolg beobachten. Die Sternkenntniß oder Astrognosie ist so der erste Theil oder die wichtigste Vorwissenschaft der Astronomie. Man unterscheidet nun weiter verschiedene Theile der Astronomie. Um die Erscheinungen im Weltraum nur erst kennen zu lernen, muß man den gestirnten Himmel fortwährend beobachten, und um dieses zu können, muß man die Einrichtung der dazu dienlichen optischen Instrumente und die Art ihrer Benutzung kennen; dies ist die Aufgabe der beobachtenden Astronomie. Der Himmel selbst scheint dem Beobachter als eine auf seinem Horizont ruhende, über seinem Haupte sich wölbende Halbkugel, alle Bewegungen der Gestirne geschehen folglich scheinbar an der Oberfläche einer Kugel, und insofern die Astronomie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper zum Gegenstande der Betrachtung hat, ist sie daher sphärische Astronomie (von dem griech. Wort Sphäre, welches Kugel bedeutet). Durch Nachdenken und Combination verschiedener Beobachtungen hat man aber entdeckt, daß der Himmel eine Kugel nur zu sein scheint, in Wahrheit ein nirgend begrenzter Raum ist, in welchem die Sterne in sehr verschiedenen Entfernungen von der Erde abstehen, daß ferner die Mehrzahl der Sterne sich zu bewegen nur scheint, in Wahrheit aber feststeht und daß grade der einzig scheinbar feststehende Körper, die Erde, wie noch einige andere Himmelskörper sich bewegt und durch diese ihre Bewegung jenen Schein der Bewegung an den feststehenden Himmelskörpern erzeugt, dieses lehrt die theoretische Astronomie. Die physische Astronomie gibt nun näher die Gesetze an, nach welchen die Bewegung und der Zusammenhalt der Welt geschieht, insofern diese von der natürlichen Beschaffenheit der einzelnen Weltkörper abhängt, oder insofern sich auf sie aus den gemachten Beobachtungen schließen läßt. Endlich kann man aus den Gesetzen, nach denen die Bewegungen der Himmelskörper folgen, berechnen, welche Zusammenstellungen der einzelnen Himmelskörper zu bestimmten Zeiten einst stattgefunden haben, künftig noch stattfinden müssen, und diese Rechnungen, welche z.B. auch für die Geschichtsforschung und für die Schiffahrt von hoher Wichtigkeit sind, stellt die rechnende Astronomie an.

Unter allen Naturwissenschaften ist die Astronomie die älteste. Griechen und Römer gaben als Erfinder derselben die Chaldäer an, welches Volk die Gegenden an den Mündungen des Euphrat und Tigris bewohnte, und sowol durch die heitern Nächte, welche hier gewöhnlich sind, als durch die physische Beschaffenheit des Landes zur Sternbeobachtung aufgefodert wurde. Es mußte für die Bewohner dieser Gegenden nämlich sehr wichtig sein, die Zeiten vorausberechnen zu können, in denen die Überschwemmungen der großen Ströme eintreten, weil von diesen ihre Sicherheit und die Fruchtbarkeit ihres Landes abhing. Da diese Überschwemmungen aber von den Jahreszeiten, diese von der Stellung der Erde auf ihrer Bahn abhängen, so wurden sie zur Astronomie hingeführt. Die Chaldäer wurden nachher das Priestergeschlecht der Babylonier und ihre astronomischen Kenntnisse wurden als religiöse Heiligthümer geachtet und bewahrt. Sie wollten seit 1900 Jahren vor Alexander astronomische Beobachtungen besitzen. Durch nähere Bekanntschaft mit den südöstl. Bewohnern Asiens ist man auf noch höher hinausreichende Spuren astronomischer Kenntnisse gelangt. So hat man in chinesischen Urkunden eine Zusammenstellung der Planeten angegeben gefunden, welche, wie wir nachrechnen können, 2460 Jahre v. Chr. stattgefunden hat. Bei den Indern hat man astronomische Tafeln entdeckt, welche sich auf Beobachtung einer Zusammenstellung aller ältern Planeten gründet, die 3102 v. Chr. sich ereignet haben soll. Schon in den ältesten Zeiten der Inder galt es für eine heilige Pflicht der Priesterkaste, den Himmel zu beobachten. Auch die Ägypter müssen schon zeitig astronomische Kenntnisse besessen haben, wie man aus der richtigen Zeitrechnung vermuthen kann, welche sie schon in frühern Zeiten besaßen. Die Anfänge derjenigen Wissenschaft aber, welche wir noch jetzt unter dem Namen der Astronomie besitzen, sind bei den Griechen zu suchen. Ihnen haben wir unsere ersten genauern Kenntnisse auch in dieser Beziehung zu verdanken und wir haben dieselben nur erweitert und vervollkommnet. Zu den ältesten griech. Sternkundigen gehören der auch als Philosoph berühmte Thales (geb. 632 v. Chr.) und Pythagoras (geb. 584 v. Chr.). Jener soll Sonnen- und Mondfinsternisse berechnet, Dieser die Bewegung der Erde gelehrt haben. Meton (433 v. Chr.) und Kalippus (331 v. Chr.) erwarben sich Verdienste um Verbesserung der Zeitrechnung. Besonders in Alexandrien unter der Herrschaft der Ptolemäer in Ägypten machte die Astronomie Fortschritte. Aristarch (281 v. Chr.) lehrte die Bewegung der Erde um die Sonne; Eratosthenes (220 v. Chr.) suchte die Größe der Erde zu bestimmen; Hipparch (130 v. Chr.) zeichnete sich vorzüglich durch den Umfang und die Genauigkeit seiner Untersuchungen aus. Durch Ptolemäus (geb. 70 n. Chr.), den letzten griech. Astronomen, erhielt die Wissenschaft systematische Ordnung. Sein Werk über die Weltordnung, welches 13 Bücher umfaßt, blieb Jahrhunderte lang das wichtigste Lehrbuch der Astronomie. Diese wurde zunächst von den Arabern aufgenommen, welche das Lehrbuch des Ptolemäus Almagest nannten. Daher daß die Astronomie durch die Hände der Araber gegangen ist, haben wir noch jetzt eine Menge arabischer Ausdrücke in dieser Wissenschaft. Wesentliche Erweiterungen hat sie aber den Arabern nicht zu verdanken. Alfons X., König von Castilien, mit dem Beinamen der Astronom, war der erste christl. Herrscher, welcher Veranlassung zum Studium [292] der Sternkunde unter den Christen gab. Auf seinen Befehl und seine Kosten wurden Planetentafeln ausgearbeitet, welche eine Verbesserung der Ptolemäischen sein sollten, 1252 erschienen und nach ihm die alfonsinischen Tafeln genannt werden. Zwei Deutsche, Purbach (1421–61) und Müller (1436–76), genannt Regiomontanus, sind die ältesten deutschen Astronomen. Die größten Verdienste erwarben sich Nikol. Kopernicus (s.d.), der die Bewegung der Erde bewies, der Däne Tycho de Brahe (s.d.), welcher genaue Beobachtungen anstellte, Galilei (s.d.) aus Pisa, welcher die Lehre des Kopernicus weiter begründete und vervollkommnete, der Deutsche Joh. Kepler (s.d.), der die Gesetze des Planetenlaufs entdeckte, und der Engländer Newton (s.d.), welcher diese Gesetze mathematisch begründete. Die Genannten sind die Begründer der neuern Astronomie. Ausgezeichnete Mathematiker und Beobachter, wie: Laplace, Bradley, Tob. Mayer, Lalande, Herschel (Vater und Sohn), Olbers, Gauß, Bessel u. A. m. haben die Wissenschaft dann bis auf ihren jetzigen Höhepunkt gehoben. Unter den populairen Werken, welche in die Astronomie einzuführen geeignet sind, ist besonders Littrow's »Die Wunder des Himmels« (3 Bde., Stuttg. 1836) zu empfehlen.

Aus der beschränkten Ansicht, daß die Erde den Mittelpunkt oder das Fundament der ganzen Welt ausmache, und daß mithin die ganze Welt als einzig um des Menschen willen existirend zu betrachten sei, kam man auf den Einfall, daß die Schicksale des Menschen aus den Sternen zu lesen seien. Man glaubte den einzelnen Menschen im Zusammenhange mit dem Weltsystem begreifen und so zu einer Vorauskenntniß seiner Schicksale gelangen zu können, und so entstand die Afterwissenschaft der Sterndeutekunst oder Astrologie als eine Anwendung der Astronomie. Der Gedanke einer solchen Wissenschaft enthält insofern einen wahren Gedanken, als in der That jede einzelne Erscheinung in der Welt im innigsten Zusammenhange mit der Gesammtheit aller Erscheinungen steht; aber die Schicksale des einzelnen Menschen, zu deren Gestaltung die kleinlichsten Verhältnisse und überdies am meisten die freie Selbstbestimmung des Geistes wirken, aus den Zusammenstellungen der Sterne, wie sie zur Stunde seiner Geburt bestanden u. dergl., ableiten zu wollen, ist ein Unsinn, ja eine Sünde, insofern sich der Mensch damit ein nur Gott zukommendes Wissen anmaßt. Schon in alten Zeiten wurde daher die Astrologie als Betrügerei und sündhaftes Treiben anerkannt und verfolgt, am entschiedensten erklärte sich jedoch das christl. Bewußtsein gegen dieselbe. Dennoch hat sich der Aberglaube an sie noch bis in die Zeiten des dreißigjährigen Kriegs erhalten und spukt sogar noch gegenwärtig hier und da. Entstanden ist die Sterndeutekunst bei den Chaldäern, und daher nannte man im Alterthume die Sterndeuter überhaupt Chaldäer, dann Mathematiker. Später wurde der Name Astrolog allgemein gebräuchlich.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 292-293.
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