Staat und Wirtschaft des Alten Reichs

[188] 241. Auch unter den Königen des Alten Reichs ist Aegypten noch ein durch den Herrscher geeinigtes Doppelreich; nach wie vor bestehen die doppelten Bureaus, Magazine, Beamtentitel. Aber in Wirklichkeit ist die Zweiteilung nur noch Fiktion; die gesamte Verwaltung ist zentralisiert und einheitlich geregelt, und dieselben Beamten werden bald in den Süden, bald ins Nordland versetzt. Seit der dritten Dynastie liegt der Schwerpunkt des Reichs ausschließlich im Gebiet der »weißen Mauer«, des späteren Memphis. Hier ist im Kulturlande um den Ptaḥtempel eine volkreiche Stadt entstanden; aber die Könige residieren nicht in ihr, sondern in den wandelnden Königsstädten am Fuß des Wüstengebirges, unterhalb ihrer Pyramiden. Die Machtstellung und die Attribute des Königs haben wir schon kennen gelernt, ebenso die Grundzüge der Reichsorganisation und der Hofrangordnung, die uns jetzt in voller Ausbildung entgegentritt. Der Wille des Königs ist allmächtig, und in jeder Angelegenheit von einiger Bedeutung wird seine Entscheidung eingeholt und in einem schriftlichen Edikt verkündet, das in seiner Gegenwart gesiegelt und dann den Beamten zugesandt wird. Sein Hauptorgan ist der »Vezir und Richter der großen Torhalle«, gelegentlich als »Vorsteher des ganzen Landes, des Südens und Nordens« bezeichnet, oder auch als »Geheimrat des Himmels [d.i. des Königs], der das Geheimnis des Himmels schaut«. Die Pharaonen der vierten Dynastie scheinen dies Amt regelmäßig mit einem Prinzen ihres Hauses besetzt zu haben; unter der fünften ist es längere Zeit in derselben Familie erblich geworden und hat dann seinen Träger sehr häufig gewechselt. [188] Meist ist es mit dem Amt eines »Kanzlers (Siegelbewahrers) des unteraegyptischen Königs« verbunden, dem das eigentliche Finanzwesen und die Ausfertigung der Dekrete unterstellt war, während die beiden »Kanzler des Gottes« (d.i. des oberaegyptischen Königs, vgl. § 222) eine Art Generalintendanten für das Kriegswesen gewesen zu sein scheinen-daher führen sie mehrfach den Titel »Oberst der Soldaten« und »Vorsteher des Waffenmagazins«-und zugleich die Ausführung der Bauten, Steinbruchsarbeiten u.a. leiten. Von ihnen geschieden ist der »Vorsteher der Arbeiten«, eine Art Minister der Bauten, der die Verwaltung der Bauarbeiten leitet und offenbar auch die Kosten zu verrechnen hat. – Für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande sorgen die aus nubischen Negern geworbenen Soldaten und Polizisten (§ 254); für den Krieg werden dann auch die Kontingente der Bauern aus den Gauen und dem Tempelgut aufgehoben.

Die Grundlage für die Kenntnis der staatlichen Organisation hat ERMAN in seinem Aegypten geschaffen, Einzelnes habe ich (Gesch. Aeg.) weiter ausgeführt, ferner MASPERO (Lacarrière administrative de deux hauts fonctionnaires, in seinen Etudes égypt. II. 2 = J. as. 1890 und in mehreren anderen Arbeiten), und SETHE in seiner Arbeit über den Vezir, ÄZ. 28, 1890. Seitdem ist systematisch wenig für dies Gebiet getan, so viele Ergebnisse sich auch aus einer methodischen Verarbeitung des umfangreichen, wenn auch spröden Materials gewinnen lassen würden. Manche Titel werden uns freilich immer dunkel bleiben. Ich bemerke gleich hier, daß MARIETTE einen großen Teil der Mastabas von Sakkara falsch datiert hat; viele von denen, die er der 4. Dynastie zuweist, gehören der 5. an, und weitaus die meisten stammen aus der zweiten Hälfte der 5. Dynastie, der Zeit, in der die Könige hier ihre Pyramiden anlegten. – Wesentlich erweitert ist unsere Kenntnis durch die Auffindung königlicher Edikte aus der 5., 6. und 8. Dynastie: zuerst das Dekret Pepis I. für die Stadt Snofrus in Dahšur BORCHARDT, ÄZ. 42, 1ff.; dann drei Dekrete aus Abydos: PETRIE, Abydos II 18 (Nefererkere', jetzt bei WEILL p. 67ff.). 17 (Teti). 19 (Pepi II.) mit GRIFFITHS Übersetzung; dann sieben Dekrete aus Koptos (vgl. den Bericht A. J. REINACHS über die dortigen Ausgrabungen: rapports sur les fouilles de Koptos, 1910), eins von Pepi I., drei von Pepi II., drei aus der 8. Dynastie, eingehend behandelt von WEILL, les décrets royaux de l'ancien Empire 1912. Verstümmeltes Dekret des Neferfrê' [so ist nach G. MÖLLER zu lesen] bei FRASER, [189] Bersheh II 57. Kleine Bruchstücke von Dekreten für die Pyramidenstädte des Mykerinos und des Saḥurê': BORCHARDT, Grabdenkmal des S., I 100. Vgl. auch die Dekrete bei SETHE, Urk. des A. R. S. 25. 26 (Tehne). 60. 62 u.a. – Diese Dekrete enthalten mehrfach Listen der Beamten, ebenso die Unain schrift. Zum Verhältnis der beiden »Schatzmeister des Gottes«, denen die Steinarbeiter unterstellt sind, und des »Vorstehers der Arbeiten« mit seinem Schreiberbureau vgl. SCHÄFER, ÄZ. 40, 76f.


242. Die Beamten beginnen ihre Laufbahn teils am Hofe des Königs, wo sie als Knaben mit den Königskindern zusammen aufgezogen werden, teils in den wohl mit den Tempeln verbundenen Schreibschulen, und führen daher alle den Schreibertitel; dann treten sie in eins der zahlreichen »Häuser«, d.i. Verwaltungsbureaus ein (so z.B. das »Haus der Lebensmittel«, das »Waffenhaus« u.a., oder die zahlreichen »Ackerhäuser«, vgl. § 244) und rücken von hier aus durch die Gunst des Pharao in die höheren Stellungen auf, teils in der Zentralregierung, teils in der Verwaltung des Landes. Die erhaltenen Biographien zeigen oft einen raschen Wechsel der Stellungen; offenbar herrschte nicht nur innerhalb der einzelnen Zweige eine feste Rangordnung, sondern ebenso in ihrem Verhältnisse zueinander, und unter den Gauen hatten manche weit größeres Ansehen als andere. Die ganze Verwaltung ist schriftlich, alles wird protokolliert und verrechnet und an die vorgesetzte Behörde bis zum Pharao hinauf weiter berichtet. Die Vögte (Nomarchen) der Gaue führen meist wie unter den Thiniten den Titel 'aneẕ, oft aber auch sešem-to »Leiter des Landes«, mit dem Zusatz »Vorsteher der Aufträge« (mero uput). In genaueren Angaben wird das Regiment über die von einer rechteckigen Mauer umschlossenen Städte Staat und Wirtschaft des Alten Reichs (bezeichnet als ḥat 'ot »große Burg«) von dem über das flache Land geschieden, doch so, daß beide Stellungen in derselben Hand liegen; derselbe Mann ist z.B. »Regent (ḥqa) der großen Burg von Buto und Vogt ('aneẕ) der Leute von Buto«, »Regent der großen Burg der beiden Hunde und Vogt des mendesischen Gaus«, »Regent der großen [190] Burg von Perma (?) und Vogt des saitischen Gaus«, oder »Regent der großen Burg der Kuhstadt, Nomarch des Wüstengebirges (semit) und Oberjagdmeister«. Das weist auf einen Unterschied der rechtlichen Stellung der Gaustädte von den zahllosen übrigen Ortschaften des Landes hin, die, ob offene Dörfer oder von einer Mauer umgeben, immer als nut (später in der Bedeutung »Stadt« gebraucht) bezeichnet werden und den Wohnsitz der Bauernschaft bilden. Außer der Verwaltung und der Steuererhebung leitet der Nomarch die Rechtsprechung und führt daher ständig den Titel »Richter« (sab) und »Priester der Ma'at«. Unter ihm stehen zahlreiche »Ackerrichter« und »Ackerschreiber«, welche die Fronden und Naturalabgaben der Bauern zu erheben und die Polizei auf dem Lande auszuüben haben. Über die Hörigen sprechen die Beamten vermutlich nach eigenem Gutdünken Recht; in den Städten hat ein in die ältesten Zeiten hinaufragender Gerichtshof (ẕaẕat, § 223) seinen Sitz, vor dem z.B. auch Hausverkäufe abgeschlossen werden. Außer dem Beamtenkollegium wirken bei der Rechtsprechung auch die angesehensten Bürger mit: über die freien Aegypter (und so auch über diejenigen, welche nur durch eine bestimmte Verpflichtung, z.B. für den Totendienst, gebunden sind) wird der Prozeß »vor den Grundbesitzern (seru)« oder »in der Halle der Grundbesitzer« geführt. Auch gab es einen geregelten Instanzengang; den höchsten Gerichtshof bildet der Hof der »sechs großen Häuser« in der Hauptstadt, der aus den zehn »Großen des Südens« (im Mittleren Reich tritt an ihre Stelle ein Kollegium von 30 Beamten) unter Vorsitz des Vezirs besteht. Zur Seite steht diesem der »Richter von Nechen (Hierakonpolis)«, dem die Führung der Untersuchung und des Protokolls oblag.


Prozeß vor den śeru: SETHE, Urk. d.A. R. S. 13 Zl. 16f. und dazu MORET, Rec. 29, 26ff.; ferner vgl. die beiden großen Dekrete Pepis II. und die Inschrift des Ḥenqu SETHE 1. c. S, 77, 8, vgl. § 268. Daß śer dem hebraeischen ליח רובג entspricht und den freien Grundbesitzer (einschließlich der chontiuše = Pächter, § 244) bezeichnet, ist evident. – Der »Stand« oder die im Leben eingenommene »Rangstufe«, die »ein jeder auf seine Kinder zu vererben wünscht«, heißt 'aut, was oft fälschlich [191] durch »Amt« übersetzt wird. – Inschrift über den Kauf eines Hauses aus dem Alten Reich, der »besiegelt wird vor der ẕaẕat der Pyramidenstadt des Cheops«: SETHE, Ber. Sächs. Ges. phil. Kl. 63, 1911 Heft 6.

243. Es ist nur natürlich, daß wie jeder andere Beruf, so auch die Beamtenstellung sich in der Regel vom Vater auf den Sohn vererbt. Sehr oft bekleiden in den Grabdarstellungen eines hohen Beamten seine Söhne niedrigere Ämter, und oft genug hat nach dem Tode eines bewährten Dieners der Pharao sein Amt auf seinen Sohn übertragen. Aber nur um so schärfer tritt hervor, daß im Gegensatz zu der Staatsgestaltung, die sich dann seit dem Ende der fünften Dynastie herausgebildet hat, das Alte Reich in seiner ursprünglichen Gestalt einen abgeschlossenen Stand, einen Adel, und ein Anrecht auf die Bekleidung der Ämter nicht kennt. Wohl will der aegyptische Staat ein Rechtsstaat sein; aber das Recht ist in dem Gott, der ihn regiert, verkörpert, und wenn dieser auch das Herkommen und die auf ihm beruhenden Privilegien der einzelnen Stände und Ortschaften anerkennt, soweit er sie für billig hält, so gibt es doch im Prinzip kein selbständiges Recht außer dem der Krone. Bei der Anstellung ihrer Beamten ist diese durch nichts rechtlich gebunden. Daher kennt das Alte Reich keinerlei andere Titel als Amts- und Hoftitel; und keine Grabschrift der vierten und fünften Dynastie erwähnt die Abstammung oder (abgesehen von rein biographischen Erzählungen) auch nur den Vater eines Beamten, es sei denn, daß er aus königlichem Geblüt stammt-die Prinzen, die in der Beamtenhierarchie sehr stark ver treten sind, nehmen in der absoluten Monarchie natürlich eine Sonderstellung ein. Ebensowenig nennen die Beamten ihren Heimatgau, wo sie vielleicht großen Grundbesitz haben; nur aus einem lokalen Priestertum, das sie mitunter bekleiden, oder aus den Namen der ihnen gehörenden Dörfer können wir das vielleicht erschließen. Die Gaubeamten werden aus einem Gau in den anderen versetzt-so ist z.B. Meten unter Snofru nacheinander Nomarch und Stadtregent in 10 Gauen des Delta und des nördlichen Oberaegyptens gewesen-ohne [192] Rücksicht darauf, ob sie hier begütert sind, im schärfsten Gegensatz zur sechsten Dynastie und dem Mittleren Reich. Daher nennen sie mit wenig Ausnahmen in den Grabinschriften die Gaue, die sie verwaltet haben, überhaupt nicht, sondern nur den allgemeinen Titel »Richter und Nomarch ('aneẕ)«. Eben darauf beruht es, daß sie alle in den Nekropolen der Residenz bestattet sind, nicht da, wo ihr Grundbesitz und ihr Landhaus lag. So ist das Alte Reich im eminenten Sinne, wie wenig andere Staaten, eine vollständig zentralisierte absolute Monarchie, die von einem lediglich von der Krone abhängigen Beamtenpersonal regiert wird, dessen Qualifikation ausschließlich auf seiner vom Staate geleiteten Erziehung für den Beamtenberuf beruht.


Die wichtigste Quelle für die Beamtenlaufbahn des Alten Reichs ist die Biographie des Meten LD. II 3ff. = SETHE, Urk. des A. R. 1ff., vgl. MASPERO, Etudes ég. II (J. as. 1890). BREASTED, Anc. records I 170ff. MORET, Rec. 29, 57ff.; weiteres ergibt sich aus der Kombination der Titulaturen der einzelnen Grabinschriften. Ein Beamter des Aphroditopolites (22 Oberaeg.) und Memphites: Aeg. Inschr. des Berl. Mus. I. S. 31 no. 13503. Über die Gaunamen des Alten Reichs (zahlreiche bei den Domänen im Grabe des Echutḥotep und des Sabu, ferner in Tehne, Ann. du serv. III 75, darunter auch »das südliche Faijum« [še ris]) s. GRIFFITH bei DAVIES, Mastabas of Ptahhotep and Akhethotep II p. 25ff.; vgl. § 177 A. Die Titel rp'ti und ḥe'ti'o, die später zu Titeln der erblichen Gaufürsten geworden sind, sind im Alten Reich lediglich hohe Hoftitel, die nur sehr selten (namentlich bei Prinzen) vorkommen (vgl. § 222 A.). Erst zu Ende der 5. Dynastie erhält sie der Vezir regelmäßig, und dann auch andere, z.B. der Oberpriester von Memphis und manche Magnaten.


244. Die Einkünfte des Pharao bestehen teils in den Erträgnissen seiner Domänen, teils in den Naturalabgaben und Fronden der Untertanen. Die »Zählung« (§ 224) scheint auch jetzt in der Regel jedes zweite Jahr stattgefunden zu haben, und wird bereits oft zur Jahrbezeichnung verwertet (das folgende Jahr heißt dann »Jahr nach der ersten, zweiten u.s.w. Zählung«). Sie ist aber jetzt auf den Viehbestand beschränkt. Mithin ist der Grundbesitz als solcher kein Steuerobjekt mehr gewesen; vielmehr gehört er entweder [193] dem Pharao selbst, oder war freies Eigentum der Grundbesitzer oder der Götter geworden. Während die Masse der Bauern leibeigen und an die Scholle gefesselt war, hat es freie Grundbesitzer (seru, § 242) zweifellos gegeben, und ihre Zahl sowie ihr Besitz hat sich durch die Schenkungen an die Beamten ständig gemehrt (§ 245). Aber der Hauptteil des Landes war offenbar königliche Domäne (še). Diese Domänen werden verpachtet; die Pächter sind die in den Texten oft genannten »chontiu-še des Pharao«, die unter Aufsicht eines hohen Beamten stehen. In ihrem Dienst bestellen die in den unzähligen kleinen Ortschaften wohnenden leibeigenen Bauern das Feld; und eine feste, alljährlich vom Ertrage verrechnete (»gezählte«) Abgabe von Korn, Flachs u.s.w. wird von den dazu bestellten Schreibern für den Pharao erhoben. Dazu kommen dann die Abgaben vom Vieh, das ihr Eigentum (oder das der Pächter) ist; aber auch die Feldbrunnen und Bäume werden besteuert, ebenso zweifellos die Arbeiten der Handwerker in den Gaustädten. Auch Markt- und Kopfsteuern sind gewiß im Alten Reich ebensogut erhoben worden, wie in allen folgenden Zeiten; und es wird nur Zufall sein (wie wir denn aus den Darstellungen der Gräber von dem Treiben in den Städten überhaupt nichts erfahren), daß uns Haushaltungszählungen mit Aufnahme des Personenstandes erst aus dem Mittleren Reich erhalten sind. Zu diesen Abgaben kommen dann die Frondienste der Bauern (die »Stunden«) für die großen Bauten und andere Arbeiten des Königs, und die Verpflichtung der Pächter, seine Boten und ebenso seine aus Nubiern geworbenen Polizisten (§ 254) zu verpflegen und zu Wasser und zu Lande zu befördern; und auch die Frauen und Kinder des Königs und die Magnaten haben das Recht, Bauern aus den Ortschaften zur Bestellung ihrer eigenen Felder zu werben und wohl geradezu zu pressen. Alle diese »Stunden« und »Auflagen«, »die im Königshause verrechnet werden«, werden in jedem Gau von vier »Häusern« (Bureaus) verwaltet, die vielleicht etwa als das Schreiberbureau (wo die Fronden und Auflagen angeordnet und erhoben werden), das [194] Ackerbureau (für Landwirtschaft und Viehzucht), das Siegelbureau (wo Rechtsgeschäfte abgeschlossen werden) und das Archiv gedeutet werden können; über ihnen stehen dann die Zentralbureaus in der Hauptstadt mit den zugehörigen Magazinen. Durch Privileg können von allen diesen Leistungen Exemtionen verliehen werden. Manche derartige Privilegien stehen offenbar den Gaustädten, deren Sonderstellung in den Titeln der Beamten hervortritt (§ 242), seit alters zu; gleichartige Vorrechte werden dann den Bewohnern der Pyramidenstädte verliehen, denen als Entgelt dafür die Lieferungen an das Grab des Königs und die Besorgung seines Totenkults obliegt, und weiter den Tempeln und ihrer Priesterschaft; die Frage ist nur, ob die späteren Herrscher ein solches Privileg anerkennen, oder dulden, daß es durch Übergriffe in Vergessenheit gerät und die für die Ewigkeit auferlegten Pflichten vernachlässigt werden. – Auch sonst stehen dem König noch mancherlei Vorrechte zu; wenn wir z.B. neben der gewöhnlichen Elle von 450 mm eine um ein Sechstel größere »königliche Elle« von 525 mm finden, so wird eben für den König mit diesem größeren Maße gemessen worden sein.


Über die hier besprochenen Fragen hat der große Erlaß Pepis I. für die beiden Pyramidenstädte Snofrus, den BORCHARDT, ÄZ. 42, 1ff., vortrefflich ediert hat, unsere Kenntnis ganz wesentlich gefördert; daran reihen sich die weiteren Edikte § 241 A. Daß die chontiuše Pächter sind, ist evident und wird weiter durch die von MORET, Rec. 29, 62ff., gewonnene Erkenntnis bestätigt, daß še in der Inschrift des Meten (A 13. 14. C 4. 5 bei SETHE) das Domanialland, mit königlichen Leibeigenen darauf, bezeichnet [dagegen, meines Erachtens mit Unrecht, WEILL, décrets royaux p. 44, 1. Vgl. GRIFFITH, ÄZ. 45, 129f., wonach im Mittleren Reich das Verbum chontiše »so live at one's ease« »to enjoy oneself«, d.h. als Gentleman leben, bedeutet], romez ist in Pepis Erlaß durchweg einfach mit »Aegypter« zu übersetzen, im Gegensatz zu den neḥeśiu ḥotep, den nubischen Polizisten. Zugleich lernen wir, daß den ortsansässigen Aegyptern Anteil am Kultus und dessen Erträgnissen (den Opfermahlen) zustand. – Liste der zahlreichen Frondienste in den Erlassen B und C Pepis II., s. WEILL p. 29. – Über die altaeg. Elle e. LEPSIUS, Abb. Berl. Ak. 1865; vgl. auch GRIFFITH, PSBA. XIV 403ff.


[195] 245. Trotz der Verwendung des Kupfers und Goldes als Wertmesser (§ 225) ist aller Verkehr rein naturalwirtschaftlich geblieben, und daher auch die Bezahlung der Beamten. Am Hof »leben sie vom Tische des Königs«, im Lande von ihnen zugewiesenen Naturallieferungen; die Bezüge sind nach dem Range abgestuft, und von ihnen haben sie wieder ihren Haushalt und ihre Diener zu ernähren. Für die hohen Beamten und Günstlinge, und ebenso für die Prinzen und die angeseheneren Frauen des Harems reichte das allerdings nicht aus; hier bleibt als einzige Entschädigung und Belohnung die Ausstattung mit Land und Leuten (zu der auch die Beschenkung mit einem Grabe gehört). Das haben denn die Pharaonen des Alten Reichs in demselben Umfang getan wie die Könige der germanischen und romanischen Staaten des Mittelalters, und zwar, wie es scheint, das Land teils als freien Eigenbesitz verliehen, teils in Erbpacht, bei der die Qualität als Domanialland erhalten bleibt. Beide Kategorien werden von den Inhabern an ihre Nachkommen vererbt, meist auf Grund eines als Testament aufgenommenen Inventars (amt-per); auch die Frauen haben eigenen Grundbesitz, über den sie frei verfügen können (Inschriften des Meten E 14f.). Diese Verfügungen erhalten Rechtskraft durch königlichen Erlaß, d.h. sie werden in einem königlichen Bureau aufgesetzt und dadurch in Regierungsakte umgewandelt. Zu dem Grundstück gehört das Inventar an Vieh und Knechten, Meten (zur Zeit Snofrus) rühmt sich, auf den Gütern, die er durch Erbschaft, königliche Verleihung und Kauf erhalten hat, eine große Villa mit einem Teich, Weinpflanzungen und Baumgärten angelegt zu haben. Auch hat er offenbar Weideland, so das von seinem Vater ererbte Grundstück, in Ackerland umgewandelt und zahlreiche Bauerndörfer (nut) auf seinen Namen gegründet. Zwölf dieser Dörfer hat er Lieferungen für seinen Totenkult auferlegt. In den Gräbern sind dann regelmäßig in langen Reihen die Bauern und Bäuerinnen abgebildet, welche die Ortschaften repräsentieren, die durch eine vom König bestätigte Stiftung des Grundherrn für alle Zukunft zu derartigen Lieferungen für »das [196] Haus der Ewigkeit«, d.h. für sein Grab, verpflichtet sind; zahlreiche seiner Hörigen und oft auch seine Nachkommen sind bis in die fernsten Geschlechter zu »Geistesdienern« bestellt, und erhalten dafür bestimmte Lieferungen aus der Grabstiftung. Sehr oft tragen die Dorfschaften den Namen des Königs, von dem sie dem Beamten geschenkt sind. Ursprünglich lagen sie weithin durch die Gaue Aegyptens zerstreut, so bei Meten; allmählich scheint sich der Grundbesitz dann, durch Erbschaft, Kauf und Tausch, auf ein zusammenhängendes Gebiet abgerundet zu haben. Die königliche Verleihung scheint in der Regel steuerfrei oder wenigstens von vielen Leistungen eximiert gewesen zu sein; und auch wo der Domanialcharakter vorbehalten blieb, mögen die Abgaben an den Fiskus oft genug im Lauf der Generationen in Wegfall gekommen sein. So haben sich die Beamten des Alten Reichs in große Grundbesitzer umgewandelt, deren Nachkommen eine selbständige, nicht mehr ausschließlich von der Gnade des Pharao abhängige Stellung gewinnen und Berücksichtigung fordern können. Daher finden wir schon gegen Ende der vierten Dynastie nicht wenige große Herren, die in Gize oder Sakkara bestattet sind, große Güter besaßen, und beim König in hohem Ansehen standen, aber niemals ein wirkliches Staatsamt bekleidet haben, sondern lediglich inhaltlose Titel führen, wie »vertrauter Freund des Pharao, Geheimrat und Palastbeamter«, dazu ein Priestertum bei der Pyramide des Königs. Sie sind in die Hofrangordnung eingefügt und beziehen vom Hof Einkünfte wie die vornehmen Herren, die in den absoluten Monarchien der Neuzeit große Pensionen bezogen, ohne dafür etwas anderes zu leisten als einzelne Hofdienste. Umgekehrt schrumpft dadurch der ursprünglich den größten Teil Aegyptens (vielleicht lediglich mit Ausnahme des Tempelguts) umfassende Grundbesitz des Königs immer mehr zusammen; das ist offenbar ein Hauptgrund gewesen, weshalb kein späteres Königsgrab die Dimensionen der Bauten des Ḥuni, Snofru, Cheops und Chephren hat erreichen können. Die einschneidenden Folgen dieser [197] stetig fortschreitenden Umwandlung werden wir alsbald kennen lernen.


Fragmente eines Rechnungsbuchs der Naturalwirtschaft vom Hof des Asosi hat BORCHARDT in den Aegyptiaca behandelt; ähnliche Rechnungen aus der Zeit des Nefererkere' besitzt NAVILLE. Vgl. für das Mittlere Reich BORCHARDT, ÄZ. 28, 65ff. 37, 89ff. 40, 113ff. – Der Grundbesitz des Echutḥotep, Vezirs unter Asosi, Sohns des berühmten Ptaḥḥotep, liegt in den drei nördlichsten oberaegyptischen Gauen und fünf des Delta (GRIFFITH bei DAVIES, Mastabas of Ptahhotep and Akhethotep II p. 25ff.); ein Gut stammt schon von ṬeṬefrê', andere von den ersten Königen der 5. Dynastie, weitaus die meisten von Asosi. Ähnlich bei Sabu MARIETTE, Mast. 383. DE ROUGÉ, Inscr. hier. 95. – In den Zahlen des Herdenviehs fehlt es hier nie an den herkömmlichen gewaltigen Übertreibungen.


246. Auf diesen großen Gütern der Magnaten entwickelt sich ebenso wie auf dem Königsgut neben dem landwirtschaftlichen Betrieb (zu dem auch der Bau von Nilkähnen für den Transport der Produkte gehört) eine rege Industrie, die den städtischen Handwerkern starke Konkurrenz gemacht haben wird. So finden wir z.B. in den Wandgemälden im Grabe des großen Grundherrn Ti (Mitte der fünften Dynastie) in Sakkara Tischler, Lederarbeiter, Steinmetzen, Bearbeiter von Steingefäßen, in anderen Gräbern auch Kupferschmiede, Fabrikanten von Siegelzylindern u.a., nebst den zugehörigen Marktszenen, in denen die Waren verkauft werden, ferner Bildhauer, welche die Statuen des Grabherrn und die Reliefs der Wände bearbeiten. Letztere sind allerdings freie, gegen Lohn beschäftigte Künstler gewesen. Für diese Betriebe haben die großen Güter ihre eigenen Bureaus mit zahlreichen Aufsehern und Schreibern. In der Hofhaltung des Pharao ist das alles noch weiter gesteigert. Hier sind die Vorsteher der einzelnen Zweige selbst vornehme Herren, z.B. der Vorsteher der Salbenbereiter oder der Lederarbeiter, der Oberperückenmacher, der Gesangvorsteher und Kapellmeister, ferner die Leibärzte u.a., die vom König geehrt und gelegentlich so gut wie der Hofzwerg mit Grundbesitz und Mastabagräbern beschenkt werden.

[198] 247. Zu den Beamten des Alten Reichs gehören auch die an den großen Tempeln fest angestellten Priester, im Gegensatz zu der Menge der im Kultus funktionierenden »Reinen« (§ 189). Die Könige des Alten Reichs haben zahlreiche Tempel gebaut, von denen allerdings kaum etwas erhalten ist; das Tempelgut wird durch Stiftungen an Land und Leuten und reiche Geschenke (namentlich Anweisung täglicher Opferrationen, die dann unter die zugehörige berechtigte Bevölkerung je nach ihrem Range verteilt werden) ständig gemehrt und ist von Fronden und Abgaben frei; dafür leisten bei Kriegszügen die Hohenpriester Heeresfolge an der Spitze des Aufgebots ihrer Mannschaften, ebenso wie die »Nomarchen und Stadthäupter«. Um so größeres Interesse hatte der Staat, die Hand auf dem Tempelgut zu halten. Daher finden wir bei den angesehensten und reichsten Heiligtümern, denen des Atum-rê' von Heliopolis, des Thout von Hermopolis und des Ptaḥ »südlich von seiner Mauer«, d.h. von Memphis, wenigstens unter der vierten Dynastie immer königliche Prinzen als Hohepriester. In diesen Fällen sind damit meist hohe Staatsämter, wie das des Vezirs und des Kanzlers, verbunden; sonst sind im Alten Reich die staatlichen Ämter und die Priestertümer scharf geschieden (denn daß die Magnaten gelegentlich einen unbedeutenden Lokalkult verwalten und ihre Frauen regelmäßig Priesterinnen der Ḥatḥôr und der Neit sind, kommt dafür nicht in Betracht), und selbst die Hoftitel der Staatsbeamten werden den Priestern nicht verliehen. – Von den genannten drei großen Göttern verdankt Ptaḥ seine Bedeutung ausschließlich dem Umstande, daß er der Gott der Hauptstadt ist und daß zu seinem Besitz die Steinbrüche von Troja (Mokattamgebirge bei Kairo) gehören, wie die von Syene durch Ẕosers Schenkung dem Chnumu von Elephantine (§ 230), die seit dem Ende der fünften Dynastie betriebenen im Wadi Ḥammamât in der Wüste an der Straße von Koptos zum Roten Meer dem Minu von Koptos. Alle Steine für die Pyramiden und Mastabas werden daher vom Hohenpriester des Ptaḥ geliefert und von den Arbeitern [199] seines Tempels gebrochen und behauen. So schließt sich an das Ptaḥheiligtum von Memphis die wichtigste Kunstschule Aegyptens an, die für die gesamte Ausbildung der Plastik die Zentrale bildet und immer die führende Stellung behauptet hat. Ptaḥ gilt daher als der Gott der Künste (griech. Hephaestos) – in weiterer theologischer Entwicklung als der Bildner und Gestalter der Welt (§ 272) –, und sein Hoherpriester führt den bezeichnenden Titel »der große Vorsteher der Steinkünstler«.

248. Im allgemeinen trägt das Regiment des Pharao und seiner Beamten bei aller Unumschränktheit einen patriarchalisch-wohlwollenden Charakter. Freilich wenn im Schreiberbureau des Grundherrn »die Dorfschulzen zur Abrechnung vorgeführt werden«, geht es nie ohne Prügel ab, wie bei der Steuererhebung bis in unsere Zeit, und vor Gericht wird beim Verhör dies Universalmittel eben so regelmäßig angewandt worden sein. Aber im übrigen geht durch alle Lebensäußerungen des Alten Reichs ein humaner Zug; dem dominierenden Streben nach behaglichem Lebensgenuß entspricht der Wunsch, einen jeden nach seiner Stellung gerecht zu behandeln und lieber zu loben und zu belohnen als zu tadeln. Die schroffe Betonung der Allmacht des Pharao und die zügellose Befriedigung seiner Launen (§ 219) gehört einer fernen Vergangenheit an, wenn sie auch in den Zaubertexten fortlebt; man darf ihm nur nahen wie einem Gotte, aber auch die Götter sind gütig geworden, und immer von neuem erzählen die Grabinschriften, wie der König voll Huld ist für seine Diener, sie belobt und liebt und reichlich beschenkt. Wie seit der Mitte der vierten Dynastie die Grabinschriften redseliger zu werden beginnen, rühmen sie, daß der Tote niemandem Böses zugefügt oder seinen Besitz und seine Knechte weggenommen, seine Macht nicht mißbraucht, immer das Recht geübt habe; auch die Liebe des Gatten und die Pietät der Kinder tritt vielfach hervor. Mag dieses Selbstlob für den einzelnen Fall oft wenig besagen, so zeigt es doch, was die öffentliche Meinung von einem Beamten oder Grundherrn verlangte, [200] und welches Verhalten allein ihm ein glückliches Alter, eine gute Bestattung, ein Bestehen am Gerichtstage (§ 239) und ein seliges Leben im Jenseits verschaffen konnte. – Im übrigen mußte, wer sich im Leben behaupten und vorwärts kommen wollte, die Gebote der Lebensklugheit und des feinen, taktvollen Benehmens im Amt und im Verkehr mit Vorgesetzten und Gleichgestellten sorgfältig beachten: Sammlungen derartiger Lebensregeln, die etwa zu Beginn des Mittleren Reichs aufgezeichnet sein mögen (Papyrus PRISSE), werden alten Veziren der vierten und fünften Dynastie (Kagemni, Ptaḥḥotep) in den Mund gelegt, die in der Tradition als weise Männer der Vorzeit fortlebten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 188-201.
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