Königsliste

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[658]


459. Gandaš nennt sich König der vier Weltteile, und Agum II. spricht gleichfalls von seiner Herrschaft über diese die kossaeischen Könige prätendieren also, daß ihre Macht weit über Sinear hinausreicht. Aber den Tatsachen entsprach das schwerlich. Vielmehr ist es sehr wohl möglich, daß die Hyksos, deren Reich sich zeitweilig weit in Vorderasien ausgedehnt haben muß, zu Anfang ihrer Herrschaft, bald nach 1700, ihre Oberhoheit auch auf Sinear erstreckt haben und der Basaltlöwe mit dem Namen des Chian, der sich in Bagdad gefunden hat (§ 306), ein Dokument dafür ist. Daß unter den später bei der Eroberung von Auaris von den Aegyptern eroberten Sklavinnen eine den babylonischen Namen Ištarummi führt (§ 304 A.), könnte dem zu weiterer Bestätigung dienen; doch reicht unser Material nicht aus, um hier irgendwelche Sicherheit zu gewinnen. Dann mag unter Agum II. zeitweilig ein größerer Aufschwung der Kossaeermacht erfolgt sein; er rühmt sich, daß er die Götterbilder des Marduk und der Sarpanit aus Chana, wohin sie offenbar die Chetiter entführt hatten (§ 454), zurückgeholt und sie, geschmückt mit goldenen, mit Edelsteinen besetzten Gewändern und prächtigen Hörnerkronen, in den Cedernbau des Tempels Esagila in Babel zurückgeführt habe, nicht im Kriege, sondern offenbar einfach als Oberherr. Ihm ist also das Euphratgebiet und die mesopotamische Steppe untertan gewesen; die Chetiter müssen damals zurückgedrängt worden sein, vielleicht indessen weniger durch die Kossaeer als durch die Assyrer (§ 464). So hat denn auch Assyrien schwerlich, Syrien gewiß nicht die Oberhoheit der Kossaeer anerkannt. Wohl aber rühmt sich Agum II. in seiner Titulatur, daß er in Tupliaš (Ašnunnak), östlich vom Tigris (§ 413 A.), zahlreiche Menschen angesiedelt [658] habe, und nennt sich » König von Padan und Alman und König der Gutaeer, der törichten (?) Menschen«. Dieser Gebirgsstamm war ihm also unterworfen; zugleich gelangt die Verachtung der siegreichen Kossaeer gegen ihre Nachbarn, die sie zurückgedrängt haben, in dieser Titulatur zu naivem Ausdruck. Vermutlich sind auch die Länder Padan und Alman hier im Gebirge zu suchen. Dagegen ist das Meerland offenbar nie völlig unterworfen worden, sondern hier haben sich immer einheimische Fürsten behauptet; noch im elften Jahrhundert finden wir hier eine Dynastie, die sich auf Damiq-ilišu I., den letzten König von Isin (§ 418. 452 A.), zurückführt und zeitweilig die Herrschaft über Babel gewonnen hat (1051 bis 1031, fünfte Dynastie). Wenn daher auch die Kossaeerkönige in der Regel den alten Titel »König von Sumer und Akkad« führen, so nennt sich Agum II. nur »König der Kossaeer und der Akkadier« (šar Kaššî u Akkadî), ohne Sumer zu erwähnen, bringt also die tatsächlichen Verhältnisse auch in der Titulatur zum Ausdruck.


Zu Padan und Alman vgl. DELITZSCH, Paradies 205. – Seltsamerweise folgert POEBEL, Z. Ass. 21, 171 aus Agums Titulatur, daß Kaššû = Sumer sei, in völliger Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse.

460. In diesem Titel, der bei Agum II. allen anderen vorangeht, tritt überhaupt der Charakter des Reichs klar hervor. Die Kossaeer sind das herrschende Volk, sie sind in großen Scharen in das Land Akkad eingedrungen und haben hier ihre Herrschaft gegründet. Daher haben sie diesem Gebiet, dem Mittelpunkt ihres Reichs, einen kossaeischen Namen gegeben, Karduniaš, d.i. wahrscheinlich »Feste des Gottes Duniaš«, vielleicht nach einer von ihnen angelegten Burg; als »König von Karduniaš« wird der Herrscher des Kossaeerreichs auch in den offiziellen Urkunden durchweg bezeichnet, wenn die ausführliche Königstitulatur vermieden werden soll. Die fremden Eindringlinge bilden den Kriegerstand und haben offenbar einen großen Teil des Grundbesitzes für sich genommen; der König ist von ihnen abhängig, und wir hören in späterer Zeit von Empörungen der kossaeischen Krieger, [659] welche den König absetzen und einen anderen aus ihrer Mitte erheben. Im übrigen haben sie natürlich Kultur, Sprache und Religion des Landes angenommen; wie die amoritischen Könige treten auch die kossaeischen als auserwählte Lieblinge der einheimischen Götter auf, vor allem des Marduk von Babel, in dessen Stadt sie residieren. Unter ihnen hat sich die Stellung Marduks an der Spitze des Pantheons, als »Herr (Bel) der Länder«, noch weiter gefestigt, zumal der Süden jetzt ganz in den Hintergrund trat und nur einen, niemals völlig unterworfenen, Anhang des Reichs von Karduniaš bildete. Wie für den Kultus, haben die Könige auch für Ordnung und Wohlstand des Reichs zu sorgen versucht. Eine Neuerung ist die Abschaffung der Jahrnamen und die Datierung nach Königsjahren, die unter der Dynastie aufkommt. Die Königsjahre werden von dem Neujahrstage (1. Nisan) nach der Thronbesteigung an gezählt, an dem der König die Hände des mit Gold überzogenen Gottesbildes des Marduk im Tempel Esagila ergriff und damit an dem Tage, an dem die Götter das Geschick für das neue Jahr festsetzen, die Bestätigung seines Königtums gewann; diese Sitte kann erst aufgekommen sein, als Agum II. das goldüberzogene Bild des Marduk wieder im Tempel aufgestellt hatte. Im übrigen ist es begreiflich, daß die Könige allmählich ihr Babyloniertum stärker betont haben. König Karaindaš (um 1480) nennt sich in einer sumerisch verfaßten Bauinschrift »der mächtige König, König von Babel, König von Sumer und Akkad, König der Kaššû, König von Karduniaš«, hat also die ältere Titulatur umgestellt; bei seinen Nachfolgern werden die Kossaeer im Titel überhaupt nicht mehr erwähnt. Diese Tendenzen mögen zu manchen Konflikten mit den kossaeischen Kriegern geführt haben.


Über Karduniaš: DELITZSCH, Paradies 135. STRECK, Z. Ass. 21, 255ff. Bei den älteren Königen kommt der Name noch nicht vor; die Burg, von der er stammt, mag erst nach Agum II. gebaut sein. – Inschrift des Karaindaš: IV R 38, 3. Keilinschr. Bibl. III 1, 152.


461. Mit den Kossaeern ist noch ein weiteres Element in das bunte Völkergemisch Sinears hineingekommen. In den [660] Urkunden der folgenden Zeit treten die amoritischen Namen ganz zurück; dafür aber erscheinen um so mehr kossaeische und auch nicht wenige elamitische neben den einheimischen, und vereinzelt auch chetitisch-kleinasiatische (§ 454). Eine Neubelebung des Landes ist dadurch nicht herbeigeführt worden. Es liegt nicht nur an der Dürftigkeit unserer Nachrichten, daß das Kossaeerreich einen so armseligen Eindruck macht; sondern alles, was wir von ihm wissen, zeigt, daß es in vollständige Stagnation versunken war. Nach außen werden zwar die ererbten Prätensionen aufrecht erhalten; aber sie durchzusetzen fehlt alle Macht. In den Städten gediehen, nachdem die Erschütterungen der großen Invasionen verlaufen waren, die Geschäfte von neuem; aber vergeblich suchen wir nach irgend einer Betätigung selbständigen Lebens; lediglich die altüberlieferte Literatur des Rituals der Vorzeichen, Mythen, Gebete u.s.w. wird weiter fortgesponnen und ergänzt. Am sinnfälligsten tritt uns der Verfall in den wenigen Kunstdenkmälern entgegen, die sich aus dieser und der folgenden Zeit bis zum neunten Jahrhundert hinab erhalten haben, so z.B. dem Kopf einer Götterstatue von Basalt. Rein äußerlich betrachtet knüpfen sie an die Traditionen Naramsins und Chammurapis an und z.B. die Gestalt des Sonnengottes auf der Gesetzesstele ist in späteren, nach Susa verschleppten Reliefs mehrfach wiederholt; aber alles innere Leben ist der Skulptur entschwunden und ein toter Schematismus an seine Stelle getreten, der z.B. in der Behandlung der Haare die alten Formen in eine rein äußerliche, ganz unnatürliche Manier umsetzt. Nicht besser ist das Bild Nebukadnezars I. (um 1150) auf einem Urkundenstein (kudurru), und ebenso die Darstellung der Götter und ihrer Waffen und Symbole auf diesen seit Nazimaruttaš (1334-1309) in ziemlich großer Anzahl erhaltenen Steinen (vgl. § 427). Wohin wir blicken, erkennen wir, daß die Kultur Sinears und ihr inneres Leben mit dem Ausgang des Amoriterreichs von Babel zum Abschluß gelangt ist. Sie sucht zwar ihre Traditionen mühselig aufrecht zu erhalten, und die Städte des Landes locken [661] die Fremden nicht nur durch ihren Reichtum, sondern imponieren ihnen zugleich noch immer durch den Nimbus uralter Heiligkeit, der sie umweht. Aber zu schaffen haben sie nichts mehr vermocht, und daher eine befruchtende Wirkung auf die Nachbarvölker auch nicht mehr ausüben können. Daher verliert die Geschichte des Landes fortan alles innere Interesse. Erst die ganz veränderten Verhältnis se, die durch die Verschiebung der Weltlage im achten Jahrhundert geschaffen sind, haben ihm, als aufs neue zwei semitische Völker, die Assyrer und die Chaldaeer, sich um die Herrschaft des Landes stritten, noch einmal neue Bedeutung und seiner Kultur neues Leben einzuhauchen vermocht.


Götterkopf in Berlin, etwa aus der Kossaeerzeit: Sumerier und Semiten Taf. 6 (ebenda S. 18f. und 103 über andere Kunstwerke der späteren Zeit). Reliefs mit dem Sonnengott, nach Susa verschleppt: Délég. en Perse I, rech. archéol. I pl. 3 (wohl noch Zeit der 1. Dynastie), und, viel degenerierter, ib. VII, rech. archéol. II pl. 1 c (ebenda zwei andere rohe Reliefs; besser ist die Darstellung einer Festung auf dem Stein des Melišipak [1216-1202] ib. IV, inscr. élam.-sém. II pl. 16).


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 658-662.
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