Perser und Griechen. Die Unterwerfung Thrakiens

[277] Seit dem Fall des Lydischen Reichs waren die Griechen Kleinasiens Untertanen des Perserreichs. Die Expedition gegen Samos unter Darius (Bd. III2, S. 736) hatte den letzten noch halbwegs unabhängigen Inselstaat beseitigt; an Stelle des Seekönigs Polykrates gebot jetzt sein Bruder als persischer Regent über die verödete Insel. Wenig später festigte Aryandes' Expedition gegen Barka (o. S. 151) die Herrschaft der Perser über die Griechen in Libyen. Das östliche Becken des Mittelmeers war ein persisches Meer geworden. Die Schiffe aller Küstenvölker waren zu einer großen Reichsflotte verbunden; nebeneinander standen die Trieren der phönikischen, karischen, griechischen Gemeinden, geführt von ihren Stadtfürsten, die überall keine höhere Aufgabe kannten, als ihre persönlichen und lokalen Interessen zu wahren und im Wetteifer mit ihren Rivalen das Auge des Herrschers der Welt auf sich zu ziehen. Unter den ionischen Städten nahm seit der Katastrophe von Samos Milet wieder die erste Stelle ein; sein Herrscher Histiäos war der Führer der griechischen Kontingente im Skythenkrieg. Er gab sich als den treuesten der persischen Vasallen; sich schrieb er das Verdienst zu, daß die Ionier damals auf der Wacht an der Donaubrücke ausgehalten hatten (o. S. 108, 1) – freilich wäre es Wahnwitz gewesen, hätten sie anders gehandelt. Sein Streben war, seine Hausmacht zu mehren und sich als den angesehensten Mann der griechischen Welt zu zeigen. Als Lohn für seine Dienste ließ er sich zur Gründung einer Kolonie ein neu erobertes Gebiet am Strymon schenken. Als dann der König, durch Megabazos vor dem unruhigen Ehrgeiz des Mannes gewarnt, ihn in hohen Ehren an seinen Hof zog, trat sein gleichgearteter Schwiegersohn Aristagoras an seine Stelle322.

[277] An den Meerengen des Hellespont und Bosporos kann kein Staat haltmachen; so sind denn auch die gegenüberliegenden europäischen Gebiete ihren asiatischen Nachbarn sehr bald gefolgt. Beim Skythenzug hat Darius den Bosporos überschritten, ohne Widerstand zu finden; Miltiades II. vom Chersones leistete ihm Heeresfolge, die Stämme und Griechenstädte am Schwarzen Meer unterwarfen sich. Die Expedition gegen die Skythen scheiterte allerdings vollständig323, aber sie hatte die Einziehung auch der Südküste Thrakiens zur Folge. Die Flotte unter Otanes züchtigte eine Reihe von Orten, die sich unbotmäßig gezeigt oder die Perser auf dem Rückzug geplündert hatten, so Byzanz, Chalkedon, Lamponion und Antandros an der troischen Küste324. Auch Lemnos und Imbros, damals wahrscheinlich schon von Athenern besiedelt (Bd. III2, S. 719), wurden unterworfen und erhielten einen griechischen Vogt325. Das Landheer unter Megabazos unterwarf zunächst Perinthos an der Propontis, dann die Nordküste des Ägäischen Meers. Es kam den Persern vor allem auf das Fruchtland am Strymon und die dortigen Bergwerke an, das Gold des Pangaion, [278] das Silber des Dysoros. Hier gab es harte Kämpfe mit den Päonern, von denen ein Teil nach Asien verpflanzt ward326. Auch Amyntas, der Herrscher Makedoniens, mußte dem Großkönig Erde und Wasser geben, was nicht hinderte, daß sein Sohn Alexandros eine von den persischen Gesandten verübte Unbill blutig rächte327. An der Küste legten die Perser mehrere Kastelle an, so Doriskos unweit der Hebrosmündung und Eion am Strymon328. Oberhalb des letzteren, in der großen Ebene am Kerkinitischen See, bei den »neun Wegen«, erhielt Histiäos das Gebiet der Edonerstadt Myrkinos zur Gründung seiner Kolonie. An anderen Stellen sind die Perser wohl kaum tiefer ins Binnenland eingedrungen. Aus dem unterworfenen Gebiet wurde eine neue Satrapie, die einundzwanzigste, gebildet329.

Wie stark die persische Macht seit dem Fall Ägyptens und dem Antritt des Darius auf die griechischen Verhältnisse drückte, ist früher dargelegt worden. Der Rückgang der Pisistratidenmacht hat wesentlich darin seine Ursache. Als nach Hippias’ Sturz der Angriff der Peloponnesier drohte, wandte sich Athen an den Satrapen von Sardes um Hilfe, und seine Gesandten gaben dem Großkönig Erde und Wasser: nicht minder hoffte Hippias, der jetzt als persischer Vasall in Sigeon saß, durch ihn die Rückkehr zu erlangen (Bd. III2, S. 742). Gleichartige Gesuche sind ohne Zweifel von den verschiedensten Staaten an Persien ergangen, von Argos im Kampf mit Sparta, von Theben im Kampf mit Athen. Die Aleuaden Thessaliens, [279] welche später den Xerxes eifrig unterstützten, werden nicht unter ihm zuerst den Weg nach Susa gefunden haben. Selbst ein tarentinischer Verbannter Gillos hoffte durch Darius die Rückkehr in die Heimat zu erlangen (Herod. III 138), ebenso wie der von Hippokrates verjagte Tyrann Skythes von Zankle bei ihm Zuflucht suchte (nach 494, Bd. III2, S. 764). Hätten wir eingehendere Kunde, so würden wir offenbar noch sehr viel mehr derartige Beziehungen kennenlernen. – Der Großkönig versuchte über die Verhältnisse des Westens genauere Kunde einzuziehen. Mit Karthago vermittelten die Phöniker die Beziehungen; zur Rekognoszierung der griechischen Welt entsandte er auf zwei sidonischen Trieren eine persische Expedition, die bis nach Unteritalien vordrang und nach mancherlei Abenteuern – ihr Führer, der Arzt Demokedes von Kroton, benutzte die Gelegenheit, in die Heimat zu entweichen, und an der japygischen Küste gerieten sie in Gefangenschaft, bis der eben genannte Gillos sie auslöste – in die Heimat zurückkehrte330. Es war klar, daß derartige Verhältnisse, auch wenn die Regierung durchaus keine Eroberungsgelüste hegte, über kurz oder lang zu einem Konflikt führen mußten, der, wenn die Griechen sich nicht freiwillig unterwarfen, nur durch einen Kampf auf Tod und Leben seine Entscheidung finden konnte331.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 277-280.
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