Dionysios II. Dion, Plato und der Reformversuch

[487] Der junge, noch nicht dreißigjährige Herrscher903 war für seinen Beruf ganz unvorbereitet; der Vater hatte ihn allen Geschäften [487] ferngehalten (o. S. 164). Unbegabt war er nicht und noch weniger bösartig; aber dem in der Enge des Fürstenpalastes bei Tischlerarbeiten aufgewachsenen Prinzen fehlte der klare Blick für Verhältnisse und Persönlichkeiten, und die rasch durchgreifende Energie des Vaters hatte er nicht geerbt, ernste Arbeit und strenge Selbstzucht nicht gelernt904. Jetzt fand sich der junge Fürst urplötzlich im Besitz einer gewaltigen Macht, die ihm jeden Genuß, den sein Herz begehren mochte, mühelos zur Verfügung stellte. Die Scharen der Höflinge drängten sich um ihn, Schmeichler bewunderten jede seiner Äußerungen, und dazu sah er sich sofort inmitten des Kampfes der Parteien, in dem er das entscheidende Wort sprechen sollte. Die Gehilfen seines Vaters suchten ihn in dessen Bahnen festzuhalten und wollten von Neuerungen nichts wissen; ihnen gegenüber erhob sich jetzt eine Reformpartei, welche dem Staat ein anderes Aussehen geben wollte. An ihrer Spitze stand Dion, der Schwager des neuen Herrschers – denn der alte Dionys hatte den Sohn mit seiner Stiefschwester Sophrosyne vermählt, deren leibliche Schwester Arete aber nach dem Tode ihres ersten Gemahls Thearidas, des Bruders des Tyrannen, ihrem Oheim Dion gegeben. Dion, geboren im J. 408905, war auch in seiner politischen Stellung der Erbe des Hipparinos. Wie dieser sah er in der Demokratie nur Korruption und Verderben; hatte sie doch Syrakus an den Rand des Abgrunds geführt. Aber der stramme Despotismus des Dionys war ebensowenig sein Ideal; er hatte dem Staat zwar Rettung und Macht gebracht, aber er erstickte jedes freie und menschenwürdige Dasein und erzog die Untertanen zu Knechten, die in der Befriedigung niederer Lüste und gemeinen Ehrgeizes ihr höchstes Ziel sahen. In diesen Gesinnungen war er gefestigt worden, [488] als um das J. 388 Plato von Tarent aus nach Syrakus kam. Der junge Mann, der gerade in den für seine Entwicklung entscheidenden Jahren stand, schloß sich mit voller Hingebung an den großen Lehrer an und nahm seine ethischen und politischen Anschauungen mit Begeisterung in sich auf: zunächst im eigenen Leben, indem er sich am Tyrannenhofe, im Besitz eines fürstlichen Vermögens, allen Ausschweifungen und jeder Schmeichelei fernhielt, sodann aber, wenn die Umstände es gestatten sollten, in seinem Heimatstaate das Ideal Platos zu verwirklichen, wurde sein Ziel. Dionys I., so wenig er Platos stolz abweisende Haltung vertragen konnte – daß er den Philosophen, nachdem ihn Dion an seinem Hofe eingeführt hatte, alsbald davonschickte, ist sehr glaublich; daß er dem spartanischen Gesandten Pollis den Auftrag gegeben habe, ihn in die Sklaverei zu verkaufen, wird dagegen Fabel sein906 –, ließ den jungen Verwandten gewähren; er hat ihm immer Vertrauen geschenkt und ihn mehrfach zu diplomatischen Missionen verwendet, so nach Karthago907. Jetzt suchte Dion den jungen Herrscher für die Umwandlung des despotischen Regiments in einen gemäßigten, verfassungsmäßigen Zustand zu gewinnen. Trotz des Mißtrauens, das Dionys II. gegen seinen Verwandten hegen mußte, da er wußte, daß dieser seine Stiefbrüder begünstigte, hat er sich mehr und mehr Dions Einfluß hingegeben. Dionys war sehr ehrgeizig und dabei im Grunde gutmütig; es lockte ihn, sich im Lichte der Popularität908 zu sonnen und den Ruf eines erleuchteten und humanen Herrschers in Hellas zu gewinnen. Auch war das Fürstentum durch seinen Vater so fest begründet, daß es unbedenklich [489] schien, etwas nachzulassen, zumal der neue Herrscher zum Feldherrn keinen Beruf in sich fühlte und nach außen Frieden halten wollte; er mußte besorgen, daß im Kriege aller Ruhm dem Dion zufallen werde. So begann Dionys II. sein Regiment mit einem dreijährigen Steuererlaß und der Freigabe zahlreicher Gefangenen. Bald gelang Dion ein neuer Erfolg: er erreichte, daß Dionys eine Einladung an Plato sandte, ihm als Ratgeber zur Seite zu treten. Die Gehilfen des alten Herrschers waren aufs äußerste erschrocken; um der drohenden Gefahr begegnen zu können, erwirkten sie die Rückberufung des Philistos aus dem Exil in Adria als des berufensten prinzipiellen Vertreters des despotischen Regiments, dessen Unentbehrlichkeit und Erfolge er soeben in einem großen Geschichtswerk über den älteren Dionys dargelegt hatte909.

Plato und die Akademie waren inzwischen zu einer Macht im geistigen Leben von Hellas erwachsen. Wie zu Isokrates kamen auch zu ihm von überall her junge Leute, um sich für den Lebensberuf vorzubereiten; und schon gewannen manche von ihnen hervorragende politische Bedeutung, so Euphraios von Oreos, der seit etwa 365 bei Perdikkas III. von Makedonien zu maßgebendem Einfluß gelangte (o. S. 466). In Elis wird der Gesetzgeber Phormion als Schüler Platos bezeichnet, in Arkadien Aristonymos, der die Verfassung von Megalopolis entwarf; als die Thasier eine Kolonie anlegten, vermutlich Datos (im J. 360, o. S. 468f.), wandte sich der philosophisch gebildete Staatsmann Laodamas an Plato mit der Aufforderung, entweder selbst zu kommen oder einen Schüler zu schicken, um bei der Einrichtung mitzuhelfen. Plato galt eben als die höchste Autorität in Verfassungsfragen910. Jetzt bot sich ihm [490] urplötzlich die sein Leben lang ersehnte Gelegenheit, selbst zu wirken. Was er 20 Jahre zuvor geschrieben hatte, daß die Herrscher Philosophen oder die Philosophen Herrscher werden müßten, schien sich zu erfüllen: hier war ein Herrscher, der Philosoph werden wollte, und er selbst sollte jetzt zum praktischen Staatsmann werden. Wohl mochten ihm Bedenken kommen ob des Ausgangs; ablehnen konnte er nicht, weder um seiner selbst und der Philosophie noch um Dions und der sizilischen Griechen willen. In hohen Ehren wurde er vom Tyrannen empfangen. Die Persönlichkeit und das Wort des gewaltigen Lehrers verfehlten auch hier ihre Wirkung nicht. Der Gedanke, den Staat auf eine neue, verfassungsmäßige Grundlage zu stellen, zündete bei Dionys: »willst du nicht aufhören, mir zu fluchen!« rief er dem Herold zu911, als dieser bei einem Fest das übliche Gebet für den unerschütterten Fortbestand der Tyrannis sprach. Zwar der an Einsicht und Tugend alle anderen überragende Herrscher der platonischen Republik war Dionys nicht und konnte es schwerlich werden; aber Plato hatte sich inzwischen selbst überzeugt, daß dieses Ideal für Menschen unerreichbar sei (o. S. 347). Wohl aber mochte der begabte und ehrbegierige Mann zu einem tüchtigen Regenten erzogen werden, der sich einer besseren Eingicht willig unterordnete. Darauf zu wirken war Platos Aufgabe. Das erste war, daß der junge Herrscher sich selbst in seine Gewalt bekam und die Lüste bekämpfte, an deren Befriedigung er sich gewöhnt hatte; nur dann konnte er wahrhaft frei werden und sein wahres Bestes erkennen. Der Weg dazu war die Beschäftigung mit den erkenntnistheoretischen Fragen und den mathematischen Disziplinen, welche im Unterricht der Akademie die propädeutische Grundlage bildeten. War hierdurch die nötige Schulung des Geistes und des Charakters gewonnen, dann konnte der Herrscher auch für seine Untertanen segensreich [491] wirken. Umwandlung der Tyrannis in das wahre Königtum, d.h. des Despotismus in eine konstitutionelle Monarchie, Freigabe von Syrakus durch Einführung einer rationellen aristokratischen Verfassung, Wiederherstellung der von Dionys geknechteten und entweder aufgehobenen oder mit Barbaren (entlassenen Söldnern) besiedelten Griechenstädte: das war das politische Programm, das dann in Angriff genommen werden sollte912.

In ganz Hellas machte die Verbindung »der großen Macht mit dem großen Intellekt«, wie Plato selbst (ep. 2, 310e. 7, 335d) sich ausdrückt, ungeheures Aufsehen. Aller Augen waren auf Syrakus gerichtet, und die Sympathien kamen dem jungen Herrscher entgegen. Plato erhielt den Auftrag, die neuen Verfassungen für die Einzelgemeinden zu entwerfen, und begann auch mit der Ausarbeitung der Einleitungen913, welche die Motive enthalten sollten. Aber weiter kam die Bewegung nicht. Mit allen Kräften wirkten die Gegner dem Einfluß Platos entgegen. Mochte gemeinen Naturen nur die Behauptung der Macht am Herzen liegen, so ließ sich ein Mann wie der greise Philistos an seinen Überzeugungen auch durch die Verbannung nicht irre machen, die der von ihm selbst erhobene Herrscher über ihn verhängt hatte: er konnte in jeder Abweichung von den überkommenen Grundsätzen und nun vollends in der Lockerung des von Dionys so rücksichtslos aufgerichteten Einheitsstaats mit vollem Recht nur ein verhängnisvolles Experiment sehen, das, indem es einer Utopie nachjagte, die Dynastie zugrunde richtete. Nicht minder aber stand Plato das Naturell des Herrschers selbst entgegen. Durch einen hochherzigen Akt sich eines Teiles [492] der Gewalt wenigstens dem Namen nach zu entkleiden, dazu hätte er sich vielleicht bewegen lassen; daß er die Reform mit sich selbst beginnen sollte, wollte ihm nicht in den Sinn; von den Genüssen des Lebens, namentlich von seinen Zechgelagen, wollte er nicht lassen. Entscheidend wurde sein Verhältnis zu Dion. Wie immer mischen sich untrennbar die persönlichen und die allgemeinen Bestrebungen. Dion war eine strenge, herrische Natur, die es nicht verstand, die Menschen richtig zu nehmen und an sich zu fesseln. Allerdings war er ohne Zweifel von idealen Gedanken erfüllt; die volle Bürgschaft, die Plato wieder und wieder für die Reinheit seiner Absichten übernimmt, muß auch für uns gelten. Indessen es war klar, daß die Reform in erster Linie ihm zugute kommen mußte; wenn sie gelang, so war er der erste Mann im Reiche und Dionys das Werkzeug seiner Pläne. Hier setzten seine Gegner ein; und ein aufgefangener Brief Dions an die Karthager, in dem er sie bat, bei den Friedensverhandlungen sich seiner Vermittlung zu bedienen, überzeugte Dionys von der Berechtigung des längst in ihm erwachten Verdachtes. Sein Vater würde den gefährlichen Rivalen kurzerhand beseitigt haben. So weit wollte der Sohn nicht gehen; aber er ließ ihn auf ein Schiff bringen und schickte ihn ins Exil914. Das geschah vier Monate nach Platos Ankunft (366?); damit war diesem die Stütze entzogen. Plato zu entlassen, war indessen nicht Dionys' Absicht; das hätte seinem Ansehen geschadet. Er hielt Plato fest und ließ ihn in die Burg übersiedeln. Mit seinem politischen Einfluß allerdings war es vorbei; aber Dionys wollte auch in der Philosophie glänzen; in raschem Fluge hoffte er ihr Wesen zu erhaschen. Sein Wunsch freilich, Plato von Dion loszureißen und auf seine Seite zu ziehen, erfüllte sich nicht, trotz alles schmeichelnden Werbens. Plato hielt dem Freunde die Treue und gab sich alle Mühe, ihm die Gunst des Herrschers wieder zuzuwenden; aber auch die Hoffnung gab er noch nicht ganz auf, Dionys doch noch für die Philosophie gewinnen zu können. [493] Schließlich, als ein Krieg915 den Herrscherzwang, zur Armee zu gehen, hat Dionys Plato entlassen, mit dem Versprechen, nach dem Frieden sich mit Dion zu versöhnen und ihn wie Plato aufs neue zu sich zu berufen. Sie schieden in Freundschaft. Plato vermittelte auf der Heimreise in Tarent die Anknüpfung näherer Beziehungen zwischen Dionys und Archytas und den Tarentinern, besorgte ihm in Athen mehrere Kunstwerke und sandte ihm Abhandlungen916 und Freunde zu; Dionys stellte ihm dafür seine Unterstützung für Steuern und andere Ausgaben zur Verfügung und benutzte ihn als Vertrauensmann in den Verhandlungen mit Dion und bei anderen diplomatischen Anlässen. In Athen drängte sich alle Welt an den Philosophen, um durch ihn Empfehlungsschreiben an den mächtigen Herrscher zu erhalten.

Der Erfolg, den Plato erzielt zu haben schien, lockte andere an: Aristippos ging nach Syrakus, der rechte Lehrmeister für einen Tyrannenhof; auch Äschines (o. S. 337), der in Athen ein armseliges Dasein fristete, fand hier eine Zufluchtsstätte und wurde von Aristipp hochherzig protegiert917. Der Astronom und Philosoph Eudoxos von Knidos hatte schon vorher durch Plato bei Dionys Eingang gefunden; jetzt sandte Plato ihm einen Schüler desselben, Helikon von Kyzikos918. Auch Xenophon hat seine Stimme erhoben: in einer Broschüre, die deutlich für Dionys bestimmt ist, läßt er durch Simonides vor Hieron entwickeln, wie die Tyrannis in ein [494] Königtum umgewandelt und das politische Ideal des willigen Gehorsams der Untertanen (o. S. 359f.) verwirklicht werden könne919. Dionys sah es gern, daß die Weisen Griechenlands sich um ihn drängten; zwischen den Festgelagen mit ihren Lustbarkeiten und Tänzen wurden metaphysische und logische Probleme erwogen, und die Geometrie wurde Modesache am Hofe von Syrakus. Der Herrscher war intelligent genug, um zu erkennen, daß alle anderen ihm doch nicht dasselbe bieten konnten wie Plato; überdies plagte ihn die Begierde, hinter das eigentliche Geheimnis seiner Lehre zu kommen; die Sehnsucht wuchs mit der Trennung. Dazu kam das Verhältnis zu Dion. Dieser war nach Athen gegangen und lebte hier ganz in den Kreisen der Akademie, mit deren Jüngern er Freundschaft schloß920. Einen Teil seines Vermögens hatten seine Verwandten ihm heimlich zugestellt; das übrige belegte Dionys mit Beschlag, schickte ihm aber zuerst regelmäßig die Zinsen. Den gefährlichen Mann zurückzurufen, war niemals ernstlich seine Absicht gewesen; dagegen hat er Plato den Auftrag gegeben, zu sondieren921, ob er einwilligen werde, daß Dionys seine Gattin einem anderen gäbe. Dion wies das mit Entrüstung zurück: er bewies dadurch, daß er den Gedanken an die Heimkehr nicht aufgegeben hatte. Da hielt Dionys die Zinsen zurück und verkaufte einen Teil seines Vermögens922. Zugleich bemühte er sich, Plato aufs neue an seinen Hof zu ziehen. Die erste Einladung wies Plato zurück; aber von allen Seiten wurde er bestürmt, nicht durch seine Weigerung die Durchführung des großen Werks, das er begonnen habe, unmöglich zu machen. Überdies erklärte Archytas, seine Stellung in Tarent sei gefährdet, wenn es durch einen Bruch zwischen Dionys und Plato auch zwischen ihm und dem mächtigen Herrscher zum Konflikt käme; er verbürgte sich, daß ihm nichts geschehen werde. [495] Dion aber forderte, daß der Freund sich ihm nicht versage. Als dann ein Jahr später Dionys die Einladung wiederholte und erklärte, wenn Plato komme, werde er Dion alles bewilligen, was dieser fordere, im anderen Falle aber keine Rücksicht mehr nehmen, da blieb Plato nichts übrig, als »sich noch einmal in die Charybdis zu wagen« (Frühjahr 361 v. Chr.). Mehrere seiner Schüler nahm er mit sich, darunter seinen Neffen Speusippos und Xenokrates von Chalkedon923. Auch diesmal wurde er freundlich aufgenommen; aber er mußte erfahren, daß Dionys ihn zu sich gelockt habe, um mit ihm zu prunken und zugleich um ihn als Pfand gegen jede Unternehmung Dions in der Hand zu haben. Von irgendwelchem Abkommen über das Vermögen war keine Rede; wohl aber zeigte Dionys seinen Unwillen, daß Plato zu seinem Feinde halte und nicht zu ihm. Plato wollte wieder gehen; aber Dionys zwang ihn, noch ein Jahr zu bleiben, während er Dions Vermögen alsbald vollständig konfiszierte und Arete wirklich einem anderen vermählte. »Dabei«, sagt Plato, »galten Dionys und ich in ganz Sizilien als Freunde.« Endlich brachte eine Revolte von Veteranen, denen Dionys den Sold kürzen wollte, die Entscheidung. Der Herrscher sah in dem Feldhauptmann Heraklides den Urheber und wollte ihn verhaften; dessen Oheim Theodotes und mit ihm Plato verwendeten sich für ihn. Es kam zu einer heftigen Szene924 zwischen dem Tyrannen und dem Philosophen; voll Hohn hielt Dionys ihm vor, daß er ihn erst habe erziehen wollen, ehe er an das Reformwerk Hand anlegen dürfe, und zwar durch Geometrie. Heraklides war entkommen; Plato aber wurde vom Hofe verwiesen. Sein Leben war durch die Soldateska gefährdet; denn er galt für den Urheber aller Maßregeln des Herrschers. Auch mochte bekannt geworden sein, daß Xenokrates und Speusippos inzwischen die Bürgerschaft sondiert und für Dion Stimmung gemacht hatten. Es gereicht Dionys zur Ehre, daß er auch diesmal [496] nicht zum Äußersten geschritten ist. Ohne seine Einwilligung konnte Plato die Stadt nicht verlassen; aber als Archytas sich zu seinen Gunsten verwandte, hat er ihm die Heimkehr gewährt. Auch diesmal schieden sie äußerlich in freundschaftlichen Formen (Sommer 360)925.

Über Plato hatte Philistos gesiegt; aber von einer Rückkehr zu dem Regierungssystem seines Vaters wollte Dionys nichts wissen. Vielmehr erklärte er jetzt, Plato habe ihn gehindert, die Griechenstädte wiederherzustellen – das war nicht unrichtig, da dieser erst die Erziehung des Herrschers verlangt hatte, ehe man an Weiteres gehen dürfe –; jetzt wolle er das Programm allein ausführen. Anstelle des zerstörten Rhegion erbaute er selbst eine neue Stadt, die nach dem Sonnengotte den Namen Phoibia926 erhielt; auf dem Berge von Tauromenion (o. S. 112ff.) ließ er im J. 358927 durch Andromachos (den Vater des Historikers Timäos) eine neue Griechenstadt anlegen, die mit den Resten der Bevölkerung von Naxos besiedelt wurde. Für die Konstitutionen wurden Platos Entwürfe der Motive benutzt928. Im übrigen setzte Dionys seine philosophischen Studien eifrig fort; auch an Plato wandte er sich noch mit Fragen über das Urprinzip, an das er noch nicht recht glauben wollte, und legte ihm geometrische Konstruktionen vor; ja er verfaßte eine Schrift oder ließ sie auf seinen Namen verfassen, in der er der Welt das tiefste Geheimnis der platonischen Philosophie [497] enthüllte929. Daneben begann er zu dichten930 wie sein Vater. Im übrigen gingen die Dinge, wie sie unter einem schwachen und eitlen dilettierenden Schöngeist gehen mußten. Die festen Grundlagen der Macht waren erschüttert und der Respekt vor dem Herrscher geschwunden, aber befriedigt war niemand; wohl aber lernte der Herrscher immer mehr seinen Lüsten fröhnen. Er beging Exzesse aller Art, und die Verbannungen und Konfiskationen mehrten sich, zumal er für seine Bedürfnisse viel Geld brauchte; dem Trunk war er so unmäßig ergeben, daß er sich ein schweres Augenleiden931 zuzog. – Nach außen stand das Reich unerschüttert. Die Karthager, bei denen etwa um diese Zeit Hanno932, der Feldherr der letzten Kriege (o. S. 485), einen rasch unterdrückten und grausam bestraften Aufstandsversuch machte, hielten Frieden. In Italien führte Dionys einen längeren Krieg gegen die Lukaner, die schließlich zurückgeschlagen wurden933; in Apulien wurden zwei Kolonien angelegt934 (o. S. 156). Sparta hat Dionys II. im J. 365 noch einmal unterstützt (o. S. 439); auch zu Athen und zum Perserreich935 hielt er die vom Vater ererbten Beziehungen aufrecht.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 487-498.
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