Anamorphose

[172] Anamorphose, botan. Kunstausdruck von Link eingeführt, bezeichnet die regelwidrige Entwicklung einzelner Pflanzentheile, welche entweder durch äußere Einflüsse oder absichtlich durch Cultur erzeugt werden. Diese letztern sind von großer Bedeutung für die Landwirthschaft und Gärtnerei, während die ersteren, die eigentlichen Mißbildungen und bizarren Formen, mehr den Naturforscher und Blumenfreund ansprechen. Die gewöhnlichsten Anamorphosen gehen mit der Wurzelbildung vor, dann mit Stängeln und Blättern. Der wilde Rettig z.B., die Möhre u.a. haben eine dünne und holzige Wurzel, die Cultur aber hat das Parenchym ihrer Wurzeln ausgedehnt und in dasselbe haben sich Amylumkörner abgesetzt, so daß sie nahrhafte Culturpflanzen geworden sind. Das Gleiche ist mit dem unterirdischen Stengel der Kartoffel und dem oberirdischen der Kohlpflanze vor sich gegangen. Diese (brassica oleracea L.) hat ihren Stengel in Kohlraben und Karviol, das Blatt zu Wirsing, Winterkohl, Rosen-, Blattkohl u.s.w. umwandeln lassen. Andererseits hat die Natur ganzen Pflanzenfamilien Anamorphosen auferlegt; solche sind z.B. die sonderbaren Formen der Stängel von Cactus und Euphorbienarten, die Blattformen der Palmen, Farrenkräuter u.a. – Optische Anamorphosen sind Bilder, die entweder nur von einem ganz bestimmten Standpunkte aus, oder durch das reflektirte Licht eines gekrümmten Spiegels, oder durch das gebrochene Licht eines vieleckig geschliffenen Glases in ihrer Ebenmäßigkeit gesehen werden können; erstere heißen optische, letztere katoptrische und dioptrische Anamorphosen. Anders besehen sind sie Zerrbilder, erhalten also erst durch die richtige Anwendung der optischen Gesetze Sinn und Zusammenhang.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 172.
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