Waldenser

[662] Waldenser, eine Sekte, die schon zur Apostelzeit od. durch Schüler des Claudius von Turin entstanden sein wollte, in der That aber einem reichen Kaufmanne aus Lyon, Pierre de Vaux, latinis. Petrus Waldus, Ursprung u. Namen verdankt. Ein Unglücksfall bewog diesen, seine ganze Habe wegzugeben, sich einer vermeintlich evangelischen Armuth zu widmen und um 1170 als apostolischer Lehrer aufzutreten. Er ließ die Evangelien mit erläuternden Aussprüchen der Kirchenväter ins Romanische übersetzen u. sammelte um sich Anhänger, Humiliaten (Demuthsvolle), Leonisten (die von Lyon), noch gewöhnlicher Arme von Lyon (pauperes de Lugduno) genannt. Der Erzbischof von Lyon untersagte ihnen das Predigen, aber sie erklärten, man müsse Gott mehr als den Menschen gehorchen und als man ihnen keine Ruhe ließ, so beschwerten sie sich 1179 beim Papste Alexander III. u. übermachten diesem zugleich die Uebersetzung einiger biblischen Bücher mit Glossen. Von Alexander III. zum Gehorsam gegen ihren Bischof ermahnt, wendeten sie sich an seinen Nachfolger Lucius III., wurden aber 1184 auf der Synode zu Verona excommunicirt. Ungeachtet des Bannes setzten die W. ihr Predigen fort und gewannen Anhang selbst im Königreich Aragon, bis Alfons II. sie 1194 als »Feinde des Kreuzes Christi, als Schänder der christlichen Religion und als Feinde des Königs u. des Staates« vertreiben ließ. 1212 versuchten sie bei Innocenz III. abermals die Anerkennung ihrer Conventikel durchzusetzen u. erreichten mindestens so viel, daß ein Zweig der W. in Metz Versammlungen halten und die heilige Schrift lesen durfte. Der Papst hoffte, die evangelische Armuth der W. würde zuletzt zu einem Mönchsgelübde ausschlagen, aber sie zählten bereits viele fanatisirte Köpfe in Südfrankreich, Piemont und der Lombardei und ihre genauer entwickelte Lehre war mit der der Kirche vollkommen unvereinbar: nicht nur daß sie jeden weltlichen Besitz der Geistlichkeit als der evangelischen Armuth zuwider verwarfen und selber den Zehnten unchristlich fanden, sie behaupteten auch, man schulde dem Papst und dem Klerus keinen Gehorsam, weil jeder Christ ein Priester sei und griffen Sacramente und Sacramentalien, Ceremonien, Fast- und Festtage der Kirche an, besonders auch die Beichte; von der [662] Eucharistie aber behaupteten sie, die Verwandlung werde keineswegs durch den Priester, sondern vielmehr durch den würdigen Empfang bewirkt. Die W. theilten sich in Vollkommene u. Unvollkommene, scheinen eine Art Communismus eingeführt zu haben, hatten Vorsteher (Aelteste, Priester, Diakone) ohne besondern priesterlichen Character, hielten den Gottesdienst in der Landessprache, machten die Predigt zur Hauptsache, die Bibel zur einzigen Glaubensquelle. Mit den Katharern wurden sie schwer verfolgt, doch gibt es noch heute W. in der Dauphiné und etwa 22000 in drei Alpenthälern Piemonts (Diöcese Pignerol); sie haben in neuester Zeit viel Gunst von den Engländern erfahren und der Radicalismus unter engl. Schutz setzte durch, daß, nachdem sie durch das königliche Patent vom 17. Februar 1848 vollkommene Religionsfreiheit erhalten, 1848 in Turin der Bau einer Kirche für sie unternommen wurde, die man 1853 pomphaft einweihte. – Vgl. Jean Leger: hist. générale des églises évangéliques de Piémont etc. (Leyd. 1669), Brez: hist. des Vaudois (Lauf. u. Utr. 1796), die Schriften des Bischofs Charvaz (origine dei Valdesi, Turin 1834; le guide du catéchumène vaudois 1839), von Dickhoff (die W. im Mittelalter, Göttg. 1851) u. besonders von Herzog: die romanischen W., Halle 1853.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 662-663.
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