Mensch

[354] Mensch (ahd. mannisco, substantiviertes Adj. [menschlich], abgel. von mann, dessen Grundbedeutung nicht feststeht) ist das leiblich und geistig vollkommenste aller organischen Wesen auf der Erde. Der Mensch hat das ausgebildetste Nervensystem und Gehirn; seine Glieder, welche symmetrisch geordnet sind, und die Richtung seiner Wirbelsäule bedingen den aufrechten Gang, er übertrifft alle Tiere durch seine Sprachfähigkeit und seinen Verstand. An Körperstärke wird er von manchem Tiere weit überholt; auch haben diese vor ihm vielfach die Ausstattung mit natürlichen Waffen voraus. Aber gerade durch seine Hilflosigkeit, Nacktheit und physische Schwäche wird der Mensch zur Ausbildung seines Verstandes genötigt. Er entwickelt sich langsamer als alle Tiere; aber um so höher reift sein inneres Wesen, und er allein kommt unter allen Klimaten fort und nährt sich durch die mannigfaltigste Nahrung.[354]

Vor allem aber unterscheidet sich der Mensch von den Tieren dadurch, daß er sich zur Person herausbildet, d.h. zu einem selbstbewußten freien Wesen, das sein eigner letzter Zweck ist. Während jene in die ihnen angeborenen Instinkte und Vorstellungskreise gebannt bleiben, entwickelt er seinen Geist zu größerer Feinheit, Fülle und Tiefe. Sein Denken verwandelt die Empfindungen und Anschauungen durch Reproduktion und Verallgemeinerung in Vorstellungen, Begriffe und Ideen; es verbindet sie zu Urteilen und Schlüssen; es macht Versuche, stellt Hypothesen auf und konstruiert Systeme. Alles das geschieht mit Hilfe des Verstandes und der Sprache, welche sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben, fortentwickeln und vervollkommnen. Durch Vernunft erhebt sich sein Wille über das dunkle, blinde Triebleben, durch jene erhält er Motive, welche ihn von diesem frei machen, und Wissenschaft und Sittlichkeit führen ihn zum religiösen Glauben hin. – Der Mensch ist aber nicht bloß ein leiblich-geistiges, sondern auch ein soziales Wesen (politikon zôon Aristot. Pol. I, 2 p. 1253 a 7). Durch Geschlecht und Sympathie wird er zur Ehe, zur gesellschaftlichen Verbindung, zur Staatengründung geführt. Das soziale Leben des Menschen in seinem Fortschreiten bildet die Geschichte der Menschheit. Eine Charakteristik des Menschen gab Herder (1744-1803) in seinen »Ideen zur Geschichte der Menschheit« (1784-1791), ferner Kant (1724-1804) in seiner »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefaßt«. Königsberg 1798. Eine Charakteristik des Menschen zu geben, welche die ideale Fähigkeit desselben philosophisch bestimmen und empirisch ermitteln sollte, um in die praktische Spitze einer Theorie der Menschenbildung auszulaufen, war vor allem auch das Ziel W. v. Humboldts (1767-1835), und er hat diese Idee teilweise durch seine Sprachphilosophie verwirklicht. Vgl. Anthropologie, Geschichte, Geist, Tier, Humanität, Gesichtswinkel, Makrokosmos. Huxley, Stellung des Menschen, dtsch. v. Carus. Braunschweig 1863. Joh. Ranke, Der Mensch. Leipzig 1886.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 354-355.
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