Nichts / Etwas

[393] Nichts (lat. nihil) und sein Gegenteil, Etwas, sind die dem Begriffe des Möglichen und Unmöglichen übergeordneten Begriffe. Nichts bezeichnet logisch 1. den leeren Begriff ohne Gegenstand der Anschauung, ein bloßes Gedankending (ens rationis), wie es die Nooumena ohne korrespondierende Anschauung sind; 2. den [393] Begriff des fehlenden Gegenstands, wie den Schatten, die Kälte, die Finsternis (nihil privativum); 3. die leere Anschauung ohne Gegenstand, wie den leeren Raum, die leere Zeit (ens imaginationis); 4. den unmöglichen Begriff oder den Widerspruch m sich selbst (nihil negativum), z.B. die geradlinige Figur mit zwei Seiten, also ein Unding, von dem man sich überhaupt gar keinen Begriff machen kann.

Im metaphysischen Sinne bedeutet Nichts die Aufhebung aller Realität (metaphysisches Nichts). Nach griechischer und indobrahmanischer Metaphysik wird aus dem metaphysischen Nichts nichts, oder das Sein ist ewig; also das Entstehn des einen Seins aus dem andern ist nur Schein (Eleaten). Die jüdisch-christliche und buddhistische Lehre behauptet dagegen, daß aus dem Nichts das Sein (durch Schöpfung) geworden sei und daß das Nichts aus dem Sein (Übergang in das Nirwana) werde. Leugnung des Seins überhaupt heißt absolute Leugnung, Leugnung eines vom Denken unterschiedenen Seins relativer Nihilismus, dagegen Leugnung allgemein gültiger Rechts- und Sittengesetze schlechthin Nihilismus.

Das Nichts mit Hegel (1770-1831) zu einem Realprinzip der Wirklichkeit zu machen, ist unzulässig. Vgl. Negation. Platon (427-347) bezeichnete die Materie als Nichts (non ens, mê on) was aber in einem mehr relativen als absoluten Sinne zu verstehn ist; der Stoff für sich, sofern er noch nicht Form trägt, ist für Platon nichts. Vgl. Form, Materie, möglich.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 393-394.
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