Terpentinöl [1]

[527] Terpentinöl, ätherisches, aus den verschiedenen Terpentinen durch Destillation gewonnenes Oel. Das übergehende Terpentinöl wird aufgefangen und eventuell noch rektifiziert. Das deutsche und russische Terpentinöl (Kienöl) allein ist Destillationsprodukt der Wurzelstöcke von Fichten, Kiefern und Föhren und hat durchdringenden, unangenehmen Geruch, der sich auch durch wiederholte Rektifikation nicht beseitigen läßt.

Im Handel unterscheidet man: 1. Oesterreichisches Terpentinöl von Pinus laricio Poir., farblos oder schwach gelblich, vollkommen klar, spez. Gew. 0,864, Siedepunkt 155–157° C, lenkt den polarisierten Lichtstrahl nach links ab, löslich in 6 Teilen 90 prozentigem Alkohol. Das rektifizierte Terpentinöl hat ein spez. Gew. von 0,862 und ist in 8 Teilen 90%igem Alkohol löslich. 2. Französisches Terpentinöl von Pinus maritima, der Seestrandskiefer, farblos oder schwach gelblich gefärbt, vollkommen klar, spez. Gew. 0,86, Siedepunkt 156–157° C.; es riecht eigentümlich, schmeckt brennend und lenkt im polarisierten Lichtstrahl nach links ab. Es gibt mit 7 Teilen 90 prozentigem Alkohol eine klare Lösung. 3. Amerikanisches Terpentinöl von Pinus australis und Pinus taeda gleicht dem französischen, hat aber weniger seinen Geruch; spez. Gew. ist 0,864, Siedepunkt 150–156° C, lenkt den polarisierten Lichtstrahl nach rechts ab. 4. Deutsches Terpentinöl (Kienöl), von 0,86–0,87 spez. Gew., gleicht mit Ausnahme des Geruches dem vorhergehenden. Siedepunkt 155–160° C, ist linksdrehend.

Terpentinöl ist im allgemeinen farblos, leicht brennbar, hat terpentinartigen Hauptgeruch mit für die verschiedenen Sorten charakteristischem Nebengeruch. Mit Wasser bildet es Hydrate;[527] bei der Destillation mit Chlorkalk bildet sich Chloroform; mit Salzsäure bildet es zwei saure Verbindungen, von denen die eine der künstliche Kampfer ist. Die enorme Absorptionsfähigkeit des Terpentinöls für Sauerstoff ist charakteristisch; es wirkt dann in hohem Grade oxydierend und verwandelt z.B. schweflige Säure in Schwefelsäure u.s.w.; bei längerer Aufbewahrung in offenen Gefäßen erzeugt es durch Aufnahme von Sauerstoff Harz, wird dickflüssig, selbst zähflüssig und reagiert sauer. In lose verschlossenen Glasflaschen absorbiert es gierig Ozon aus der Luft und bildet so das ozonisierte Terpentinöl, ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für alle Harze. Gutes Terpentinöl muß vollkommen wasserhell ohne Wassertröpfchen von scharfem, aber nicht unangenehmem Geruch sein. Zwischen den Handflächen gerieben, muß es schnell flüchtig gehen, nicht kleben oder ein diesem ähnliches Gefühl und nur einen sehr schwachen Geruch hinterlassen, der aber nach einigen Minuten vollständig verschwinden muß. Rektifiziertes Terpentinöl darf nicht sauer reagieren und muß sich, ein Tropfen auf ein großes Objektglas gegeben, in der Wärme des Wasserbades vollständig verflüchtigen, darf also keinen Rückstand hinterlassen. Mit einem gleichen Volum Salmiakgeist geschüttelt, muß sich die Mischung in der Ruhe in zwei gleiche farblose Schichten sondern; unreines Oel gibt eine trübe wässerige Schicht.

Terpentinöl ist vielen Verfälschungen unterworfen und finden Benzol, Benzin, Stein- und Braunkohlendestillate mit sehr verschiedenen Siedepunkten, dann Petroleum, Kampferöl u.s.w. vielfach Verwendung. Mit Benzin verfälschtes Oel hat ein geringeres spezifisches Gewicht und ist meist im zwölffachen Volumen 90%igen Alkohols löslich. Surrogate für Terpentinöl (Kohlenwasserstoffe mit ätherischen Oelen, namentlich Kampferöl versetzt) kommen unter der Benennung Larixolin, kanadisches Terpentinöl, Patentterpentin, Turpentyne, Turpenteen, Terpentinölersatz, Paint oil u.s.w. vielfach in den Handel, können aber bei einzelnen Verwendungen das Terpentinöl niemals ersetzen, weil sie nicht dessen chemische Zusammensetzung und insbesondere nicht die Sauerstoffabsorption des Terpentinöls besitzen. Als Verdünnungsmittel sind Surrogate aus Petroleumdestillaten nur dann brauchbar, wenn dieselben einen Flammpunkt von mindestens 21° C. und engbegrenzte, hochliegende Siedepunkte aufweisen und ohne Rückstand verflüchtigen; sind solche vorhanden, so stören sie das Trocknen und Erhärten der Lack- und Farbenüberzüge.

Den Terpentinölen werden noch die folgenden Oele, ohne Bedeutung für den technischen Gebrauch, zugezählt: 1. Venezianisches Terpentinöl, aus venezianischem Terpentin von Larix decidua, der Lärche, gleicht dem französischen, riecht aber angenehmer; es lenkt den polarisierten Lichtstrahl nach links ab. 2. Tannenzapfenöl, aus den Zapfen von Abies pectinata durch Destillation mit Wasser gewonnen, riecht viel seiner als Terpentinöl; es ist in 7 Teilen 90%igem Alkohol löslich. 3. Latschen- oder Krummholzöl, aus jungen Spitzen und Zapfen der Pinus Pumilio durch Destillation mit Wasser gewonnen, hat einen entfernt an Wacholder erinnernden Geruch, spez. Gew. 0,865, Siedepunkt 170°, linksdrehend, in 12–15 Teilen 90%igem Alkohol löslich. 4. Fichtennadel- oder Waldwollöl, durch Destillation mit Wasserdämpfen aus den Nadeln von Pinus silvestris und Pinus abies gewonnen, hat einen außerordentlich seinen Geruch, aromatisch, spez. Gew. 0,875–0,876, Siedepunkt 160° C, rechtsdrehend. Als Templinöl (Kienöl) bezeichnet man im Handel ein Terpentinöl, welches durch Destillation des Holzes, der Zweige, Zapfen und Nadeln mit Wasser gewonnen und namentlich in der Schweiz und in manchen Gegenden Deutschlands erzeugt wird; es riecht zitronenartig, spez. Gew. 0,86–0,88, Siedepunkt 160–164° C, linksdrehend.

Terpentinöl findet ausgedehnte Anwendung in den Lack und Farben verarbeitenden Gewerben, in der Fabrikation von Lack, Wachstuch, künstlichem Kampfer und ätherischen Oelen, zu Extraktionszwecken, zu Desinfektionsmitteln, in der Medizin u.s.w.

Andés.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 527-528.
Lizenz:
Faksimiles:
527 | 528
Kategorien: