Elastische Nachwirkung

[589] Elastische Nachwirkung ist die Eigenschaft der festen Körper, beim Angriff von äußern Kräften (Dehnung, Biegung, Drillung etc.) nicht augenblicklich die Lage ihres definitiven Gleichgewichts anzunehmen, sondern im Laufe der Zeit bei fortdauernd wirkenden äußern Kräften noch weitere Änderungen zu erfahren und nachdem die äußern Kräfte zu wirken aufgehört haben, nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit in den ursprünglichen Zustand wieder zurückzukehren. Die Geschwindigkeit, mit der die Körperteilchen in ihre Gleichgewichtslage zurückkehren, ist bei gleicher Verschiebung nicht stets gleich, sondern abhängig von der Zeit, welche die Verschiebung (z. B. Torsion) gedauert hat. Hat man einen Draht gedrillt, so daß Nachwirkung eintritt, so werden durch eine entgegengesetzte Torsion die Teilchen nicht in derselben Weise verschoben, wie wenn man dem ungedrillten Draht dieselbe Torsion erteilt hätte, sondern die Nachwirkung der ersten Torsion ist zurückgeblieben und tritt nach Aufhören der zweiten Torsion und der von ihr herrührenden Nachwirkung wieder hervor: Übereinanderlagerung (Superposition) der elastischen Nachwirkungen. Man kann daher die Nachwirkung nicht aufheben, indem man den Draht durch eine äußere Kraft in die ungedrillte Lage zurückführt; selbst wenn man ihn in dieser Lage einige Zeit festhält, geht er aus ihr wieder heraus in die durch die frühere Torsion bedingte Lage und kehrt endlich ganz allmählich in die ungedrillte Lage zurück. Die e. N. ist zum großen Teil jedenfalls durch die innere Reibung bedingt. Dehnt man z. B. einen Lederriemen und läßt ihn dann durch sukzessive Entlastung wieder in seinen Anfangszustand zurückkehren, so zeigt sich, daß die zur Dehnung aufgewendete Arbeit erheblich größer ist als die bei der Entlastung zurückgewonnene. Der Überschuß wird in Wärme umgesetzt (elastische Hysteresis). Auch durch allmähliche Dämpfung von Schwingungen elastischer Körper selbst im Vakuum macht sich die innere Reibung geltend. Sehr auffällig zeigt sich deren Existenz bei Erhöhung der Temperatur bei harzartigen Körpern, wie Schellack, Guttapercha etc. Wie allgemein, nimmt die Elastizität mit steigender Temperatur ab, weshalb die innere Reibung immer stärker hervortritt. Besonders in der Nähe des Punktes, wo die Elastizitätsgrenze = 0 wird,[589] d.h. der Körper aus dem festen in den flüssigen Aggregatzustand übergeht, werden die Nachwirkungserscheinungen außerordentlich auffallend, und schließlich bleibt, während die Elastizität, auch die unvollkommene, rasch ganz verschwindet, nur noch die innere Reibung (Viskosität) übrig. Scheinbar sind noch elastische Deformationen, z. B. Verdrillungen, möglich. Hält man indes die Verdrillung aufrecht, so wird die Torsionsgegenkraft rasch immer kleiner und kleiner und ist bald ganz verschwunden. Die Zeit, bis sie auf den eten Teil (e bedeutet die Basis der natürlichen Logarithmen = 2,7183) ihres anfänglichen Wertes gesunken ist, nennt man Relaxationszeit.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 589-590.
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