Individualismus

[806] Individualismus, in der Philosophie Bezeichnung für diejenige Weltanschauung, die in der physischen wie in der geistigen Welt nur den Einzeldingen[806] (Individuen) eine wesenhafte und selbständige Bedeutung zuerkennt, das Ganze aber lediglich als Resultat des äußern Nebeneinanderseins vieler Individuen auffaßt. Ihr Gegensatz ist der Universalismus, der nur dem Weltganzen substanzielle Bedeutung beilegt, die Individuen dagegen als unselbständige und vergängliche Modifikationen im Rahmen des Ganzen betrachtet. Im allgemeinen genommen decken sich somit die genannten Begriffe mit denen des Pluralismus und des Monismus, gewöhnlich haben sie aber einen bestimmtern Sinn. So nimmt der historische I. an, daß in der Geschichte alles durch einzelne (hervorragende) Persönlichkeiten gemacht wird; der ethische I. betrachtet das Individuum als Selbstzweck und sieht in dem Glück oder der allseitigen freien Entfaltung der Einzelpersönlichkeit das letzte Ziel alles Strebens; der politische I. sieht Gesellschaft und Staat nur als Hilfsmittel zur Erreichung der Lebenszwecke der Einzelnen an. In allen diesen Fällen kann der I. ein aristokratischer oder ein demokratischer sein, je nachdem ein Rangunterschied der Individuen und demgemäß ein Vorrecht einiger vor den andern anerkannt wird oder nicht. – In der Volkswirtschaft wird I. oft als Bezeichnung für diejenige Richtung gebraucht, welche die Gestaltung der gesamten Wirtschaftsordnung den freien individuellen Bestrebungen überlassen will; daher auch soviel wie Freihandel (s. d.) im weitern Sinne.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 806-807.
Lizenz:
Faksimiles:
806 | 807
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika