Tiënschan

[533] Tiënschan (chines., »Himmelsgebirge«, bei den Osttürken Tengri-tagh, »Geisterberg«), mächtiges Gebirgssystem in Innerasien (s. Karte »Zentralasien«), dessen Ausdehnung etwa von 68–92° östl. L. gerechnet wird, während die Breite etwa je 3° zu beiden Seiten des 43.° nördl. Br. sich erstreckt. Im W. wird der Karatau, im O. der Beischan (Peschan) als Fortsetzung des T. betrachtet. Die orographische Streichrichtung erscheint hauptsächlich W. bis O. (genauer W. zu S. bis O. zu N.), doch ist der Aufbau des Systems aus seinen einzelnen Zügen recht verwickelt. Nach der Auffassung von Sueß setzt sich der T. aus einer Reihe von Ketten zusammen, die aus einem westlichen Teil (Streichen etwa NW. bis SO.) und einem östlichen (Streichen etwa W. bis O.) bestehen und demnach je einen etwa gegen SW. konvexen Bogen bilden; diese Ketten sind durch Gebirgsschub in einem festern, rumpfartigen Verband zusammengedrängt, wobei zuweilen der Ostflügel einer Kette durch den westlichen der (nach O. hin) nächstfolgenden überdeckt worden ist. Die wichtigsten dieser auch in sich noch gegliederten Ketten sind (von W. nach O.): Alexanderkette-Kungei Alatau-Ischkilik-Naratgebirge; Iliberge-Kungeslinie; Borochoro-Irenchabirga-Tschol-tagh (die längste Kette). Die Vielheit der einzelnen Ketten und Faltungen namentlich gegen W. wird durch diese wenigen Namen nicht annähernd ausgedrückt. Die Anordnung der Talzüge entspricht im großen dieser Anordnung der Ketten; Längstäler, meist nach W. erweitert, herrschen vor. Die wichtigsten Talzüge werden durch die Flüsse Naryn und Kunges-Ili (gegen W.), Tekes und Chaldyk-gol (gegen O.) bezeichnet. Dazu kommt, gleichfalls in der Längsrichtung, die Pri-Tiënschansche Senke zwischen 881/2 und 951/2° östl. L., also über die angenommene Ostgrenze des T. erheblich hinausreichend (Oase Luktschun bis 102 munter dem Meeresspiegel). Die Gipfelhöhen, noch vielfach unbekannt, sind in den verschiedenen Ketten sehr verschieden; als höchste Erhebung gilt der Chan Tengri oder Tengri Chan (»Geisterkönig«) mit 6950 m im zentralen Teil. Die wichtigsten Pässe liegen hier in 3–4000 m ü. M.; zu nennen sind (von W. nach O.): Ak-bel (3720 m), Tes (3600 m), Naryn-kol (4120 m), Musart (3660 m), Kuikule (3510 m), Narat, Kotyl (3020 m), die hauptsächlich den Verkehr zwischen Ostturkistan (s. d.) einerseits und Ili-Turkistan, bez. der Dsungarei anderseits vermitteln. In den Gesteinen walten im W. Gneis, im zentralen und östlichen Teil Schichtgesteine vor; doch haben Granite und Syenite überall einen großen Anteil am Aufbau des Gebirgsgerüstes. Die Grundanlage des T. ist sehr alt, die Hauptfaltung geschah wahrscheinlich im mittlern Tertiär, und zwar nach Sueß durch eine gegen S. wirkende Kraft (umgekehrt wie beim Alpensystem), worauf auch das häufige Auftreten jungvulkanischer Gesteine in den nördlichen Vorketten hinführt. Das Klima ist auch in den Tälern durchaus kontinental mit großen Temperaturgegensätzen im täglichen und jährlichen Gang; sommerliche Niederschläge wiegen vor (250–500 mm im Jahr). Die Grenze des ewigen Schnees scheint im Durchschnitt bei 3700 m zu liegen. Die noch höhern Teile sind stark vergletschert, namentlich im zentralen Gebiet um den Chan Tengri (Semenowgletscher 26 km lang), doch reichen die Gletscher nicht unter 3400 m hinab; früher war die Vergletscherung ohne Zweifel bedeutender. Bis zur Schneeregion sind zu unterscheiden: Steppenzone (bis 500 m), Kulturzone (bis 1300 m), Nadelholz (bis 2500 m), Alpenwiesen (bis 2900 m), hochalpine Zone. Die nomadische Bevölkerung geht im Sommer aus der Steppe bis in die Alpenwiesen hinaus. Vgl. Sewerzow, Erforschung des Tiënschangebirgssystems 1867 (Ergänzungsheft 42 u. 43 zu Petermanns Mitteilungen, Gotha 1874–75); M. Friederichsen, Morphologie des T. (in der »Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin«, 1899) und Forschungsreise in den Zentralen T. (Hamb. 1904); Merzbacher, Forschungsreise in T. (Münch. 1904) und An expedition into the Central Tian Shan mountains (Lond. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 533.
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