Wasserstoffsuperoxyd

[424] Wasserstoffsuperoxyd H2O2 entsteht sehr allgemein bei Oxydationsprozessen, erhält sich aber wegen seiner leichten Zersetzbarkeit stets nur in geringen Mengen und findet sich in solchen auch in der Atmosphäre nach Gewittern und starken Schneefällen. Regenwasser enthält im Liter 0,05–1 mg W. Es entsteht bei freiwilligen Oxydationen, bei Verbrennung von Wasserstoff, Kohlenwasserstoffen, Kohlenoxyd, bei Einwirkung von Ozon auf Wasser. Zur Darstellung von W. trägt man Baryumsuperoxydhydrat in stark gekühlte, verdünnte Schwefelsäure oder in kaltes Wasser[424] unter Einleiten von Kohlensäure. Die filtrierte 3proz. Lösung von W. kann man durch Ausfrierenlassen oder durch Verdampfen im trockenen Luftstrom unter 30° konzentrieren. Durch Destillation unter einem Druck von 10–70 mm kann man reines W. erhalten. Es bildet einen farblosen Sirup, riecht eigentümlich, schmeckt schrumpfend bitter, löst sich in Wasser, Alkohol und Äther, spez. Gew. 1,4996, erstarrt in starker Kälte zu farblosen Kristallen, die bei -2° schmelzen, siedet unter einem Druck von 26 mm bei 68,7°, hält sich unter 25° im Dunkeln monatelang, zersetzt sich aber, bisweilen unter Explosion durch sein verteilte feste Substanzen (auch durch Staub), durch Erschütterungen und unvorsichtiges Erhitzen. Schwach saure Lösung ist haltbarer als reine, und ein Zusatz von 0,04 Proz. Phenacetin macht auch unreine Lösungen haltbarer. W. wirkt stark oxydierend, bleicht Pflanzenfarben, scheidet aus Jodkalium Jod ab etc. Es wirkt aber auch reduzierend, es verwandelt Übermangansäure in Mangandioxyd und bei Gegenwart von Schwefelsäure in Manganosulfat, Chromsäure in Chromoxyd, unterchlorigsaures Natron in Wasser, Sauerstoff und Chlornatrium. Durch viele Körper wird W. katalytisch zersetzt. Auf der Zunge erzeugt W. einen weißen Fleck, die Haare färbt es aschblond. Man benutzt es daher als kosmetisches Mittel (golden hair wash, Aureol), zum Bleichen von Elfenbein, Knochen, Federn, Seide, Wolle, Baumwolle, zum Färben von Pelzwerk (Ursol), auch zur Restauration alter Ölgemälde, um vergilbtes und gedunkeltes Bleiweiß wiederherzustellen, und zum Waschen von Photographien, zum Entfernen der letzten Spuren von unterschwefligsaurem Natron, zur Reinigung kostbarer Zeichnungen, als Antichlor, Antiseptikum, Desinfektionsmittel, als Mund- und Waschwasser etc. In allen diesen Fällen muß man die zu behandelnden Stoffe durch Seife, Ammoniak, Äther, Benzin etc. von Fett sorgsam reinigen. Im chemischen Laboratorium dient es zur Bereitung von Sauerstoff, als depolarisierendes Mittel bei galvanischen Elementen, auch in der analytischen Chemie. W. wurde 1818 von Thénard entdeckt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 424-425.
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