Zwerge.

[169] Auf dem Wege, die Aepfel der Hesperiden zu pflücken, kämpfte Herakles mit dem 60 Ellen langen Riesen Antäus, dem Sohne des Poseidon und der Erde, und erwürgte ihn nach hartem Kampfe. Als hierauf der Held im Sande schlief, tauchten plötzlich aus der Erde die Verwandten jenes Riesen, die kleinen Pygmäen, hervor und giengen dem schlafenden Herakles zu Leibe, bis dieser erwachte und das ganze Heer in seine Löwenhaut sammelte. Es waren dies die Zwerge, die Liliputer der antiken Märchenwelt; sie wohnten, wie Ameisen, in der Erde und hatten da ihr Wesen ganz wie unsere Zwerge und Gnomen mit Rossen und Wagen, Waffen und Geräthen zum Ackerbau. Diese Pygmäen nun nennt der alte Wacehrad im Böhmischen trpaslek. Auch in der gegenwärtigen Sprache heißt der Zwerg trpaslík. Doch treten die Zwergsagen im čechischen Volksglauben sehr in den Hintergrund. Desto häufiger erscheinen sie in deutschen Gegenden.

Nach deutschem Volksglauben bilden die Zwerge ein besonders[169] Volk unter einem Könige mit eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen. Im dritten Jahre ihres Lebens sind sie ausgewachsen, im 7. Greise. Sie bewohnen die Schluchten und Höhlen des Gebirges, und überall wo sie wohnen, zeigt man die Löcher, aus denen sie plötzlich hervorkommen und in die sie eben so verschwinden. Bleiben sie in ihrem stillen Treiben ungestört, so halten sie Friede mit den Menschen und erweisen ihnen, wo sie können, Dienste durch Schmieden, Weben und Backen. Doch bedürfen sie auch oft der Hilfe der Menschen, belohnen dieselbe aber durch geschenkte Kleinode, die dem Hause und den Nachkommen des Menschen Glück bringen. Sie kennen die verborgenen Heilkräfte der Natur und wissen sich so ein langes Leben zu erhalten. Indem sich die Zwerge so und noch auf andere Weise, dem menschlichen Geschlecht nähern, scheinen sie doch überhaupt vor ihm zurückzuweichen und machen den Eindruck eines unterdrückten bedrängten Volksstammes, der im Begriff steht, die alte Heimat den neuen mächtigeren Ankömmlingen zu überlassen. Daher sind sie in stetem Fortziehen begriffen. Bald werden sie durch Glockengeläute vertrieben, bald durch das Ausreuten der Wälder oder durch den Lärm der Pochwerke. Alle diese Züge finden wir auch in den deutschböhmischen Zwergsagen mehr und minder deutlich wieder. In den Bergstädten sind natürlich die Sagen von Bergmönchen und Berggeistern sehr zahlreich. Sie konnten aber ihres geringeren mythologischen Gehaltes wegen nur wenig berücksichtigt werden.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 169-170.
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