Eisenbahnschiedsgerichte

[113] Eisenbahnschiedsgerichte, fallweise zusammengesetzte oder ständige Schiedsgerichte, die auf Grund der durch die gesetzliche Anerkennung der Möglichkeit einer gerichtlichen Austragung von Rechtsstreiten auf den dem Eisenbahnwesen angehörigen oder mit ihm zusammenhängenden Rechtsgebieten, Recht sprechen. Neben den eigentlichen, lediglich auf privaten Schiedsverträgen beruhenden Schiedsgerichten finden sich solche, deren Bildung im Gesetz angeordnet ist.

Am häufigsten ist die Inanspruchnahme von Schiedsgerichten zur Austragung von Streitigkeiten aus dem Eisenbahnfrachtgeschäfte.

Eine über den Bereich eines einzelnen Staates hinausgehende Bedeutung besitzt das auf Art. 57 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890 beruhende Berner Zentralamt, das gemäß Zahl 3 der angeführten Bestimmung, auf Begehren der Parteien zur Entscheidung von Streitigkeiten aus internationalen Eisenbahntransporten zwischen den unter das Übereinkommen fallenden Eisenbahnen berufen ist (s. Berner Zentralamt).

In dem Reglement zum Internationalen Übereinkommen, betreffend die Errichtung eines Zentralamtes, wird der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft beauftragt, das Zentralamt zu organisieren und seine Geschäftsführung zu überwachen. Nach der Verordnung des Bundesrates vom 29. November 1892 werden die in Art. 57, Z. 3, des Internationalen Übereinkommens vorgesehenen schiedsrichterlichen Entscheidungen durch den Direktor des Zentralamtes unter Mitwirkung von zwei Schiedsrichtern gefällt. Diese Schiedsrichter werden vom Bundesrate ernannt. Der Direktor besorgt die Prozeßleitung und führt den Vorsitz im Schiedsgericht. Im Verhinderungsfalle wird er durch den Vizedirektor vertreten. Hat der Direktor des Amtes eine andere Ansicht als die beiden Richter, so hat er das Recht, die beiden Stellvertreter zu einer gemeinschaftlichen Sitzung mit den Richtern einzuberufen. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die Ansicht des Direktors. Die Beamten des Zentralamtes, die bei der Instruktion des Prozesses mitgewirkt haben, können mit beratender Stimme zur Gerichtsverhandlung beigezogen werden. Das Urteil wird vom Direktor und von demjenigen Sekretär, der als Gerichtsschreiber mitgewirkt hat, unterzeichnet und den Parteien kostenfrei zugestellt.

Im Gebiete des VDEV. bestehen nach den Satzungen vom 1. Januar 1911 für die Vereinsbahnen ständige Schiedsgerichte, die insbesondere[113] auch Streitigkeiten aus dem Frachtgeschäfte zu entscheiden haben.

Alle Rechtsstreitigkeiten unter Vereinsverwaltungen, die aus den Vereinsbestimmungen, betreffend

a) den Diensttelegrammverkehr und die Vereinsabrechnungsstelle,

b) den Personenverkehr,

c) den Gepäck- und Güterverkehr (einschließlich der Beförderung von Leichen, Fahrzeugen und lebenden Tieren),

d) die gegenseitige Wagenbenutzung, entstehen, sind mit Ausschluß des Rechts weges lediglich durch Schiedsspruch der Ausschüsse zu entscheiden.

Rechtsstreitigkeiten, die unter Vereinsverwaltungen aus anderen als den bezeichneten Vereinsbestimmungen entstehen, sind in gleicher Weise durch den betreffenden Ausschuß zu entscheiden, wenn die am Streit beteiligten Verwaltungen dies einstimmig beantragen.


Es sind zu entscheiden die Streitigkeiten der bezeichneten Art

zu a durch den Satzungsausschuß,

zu b durch den Personenverkehrsausschuß,

zu c durch den Güterverkehrsausschuß,

zu d durch den Wagenausschuß und, sofern es sich

um technische Angelegenheiten handelt, durch

den Technischen Ausschuß.

Einer Genehmigung der in Streitfällen gefaßten Beschlüsse durch die Verwaltungen bedarf es nicht. Ausschußmitglieder, die selbst an den Streitigkeiten beteiligt sind, sind von der Teilnahme an der Beratung und Beschlußfassung auszuschließen. Dagegen können die am Streit beteiligten Verwaltungen, auch wenn sie nicht Mitglieder des Ausschusses sind, in dem Ausschuß selbst vor Beginn der Beratung des Streitfalles ihren Standpunkt mündlich vertreten. Dieses Recht ist gewahrt, wenn auch nur eine der streitenden Verwaltungen spätestens vierzehn Tage vor dem Tage der betreffenden Ausschußsitzung ihre Zuziehung zur mündlichen Verhandlung beantragt hat. Die Vorsitzende Verwaltung hat daher die am Streit beteiligten Verwaltungen rechtzeitig von dem Verhandlungstage sowie von jedem Antrage auf Zuziehung zur mündlichen Verhandlung zu benachrichtigen.


Als E. können auch die Reklamationskonferenzen bezeichnet werden, die in verschiedenen internationalen Tarifverbänden für die Austragung von Streitigkeiten unter den Vereinsbahnen über die Verteilung von Entschädigungen aus dem Frachtgeschäft u.s.w. vorgesehen sind.

Soweit in Verbänden keine ständigen Reklamationskonferenzen vorgesehen sind, pflegen derartige Streitigkeiten in den Verbandkonferenzen erledigt zu werden.


In Österreich werden nach Art. 16 des Übereinkommens zum Betriebsreglement für die Eisenbahnen Österreichs, Ungarns, Bosniens und der Hercegovina vom 1. Januar 1904 Reklamationsfälle wegen Verlust, Minderung, Beschädigung und Lieferfristversäumungen, über die zwischen den beteiligten Bahnen auseinandergehende Ansichten bestehen, gleichfalls durch Reklamationskonferenzen ausgetragen.

Sämtliche Verwaltungen beschicken die Reklamationskonferenz durch die Vorstände ihrer Reklamationsbureaus oder durch andere bevollmächtigte Vertreter.

In der Reklamationskonferenz entscheidet die Mehrheit der Stimmen. Die Beschlüsse sind endgültig, wenn der Anteil keiner Verwaltung mehr als 100 K beträgt; andernfalls kann jene Verwaltung, deren Anteil 100 K übersteigt, innerhalb einer Frist von 14 Tagen das schriftliche Verlangen auf schiedsrichterliche Entscheidung bei der geschäftsführenden Direktion der Reklamationskonferenzen stellen.

Jede am Streitfalle beteiligte Bahnverwaltung hat dann innerhalb 14 Tagen nach Anmeldung des Streitfalles einen Funktionär der dem Übereinkommen beigetretenen Bahnverwaltungen zum Schiedsrichter zu wählen.

Sind die Schiedsrichter verschiedener Meinung und ist eine Majorität der Stimmen nicht zu erzielen, so wählen sie einen Obmann. Können sie sich auf einen solchen nicht einigen, so hat jeder Schiedsrichter einen Funktionär der dem Übereinkommen beigetretenen Bahnverwaltungen als Obmann namhaft zu machen und der Obmann wird dann aus der Zahl der nahmhaft Gemachten durch das Los bestimmt. Die Meinung, der der Obmann beitritt, gibt den Ausschlag. Weder der Obmann, noch die Schiedsrichter dürfen einer an dem Streitfalle beteiligten Bahnverwaltung angehören oder an der Beratung des Streitfalles in der Reklamationskonferenz teilgenommen haben.


Zur Entscheidung über Klagen von Parteien gegen die Eisenbahnen wegen Ansprüche aus dem Frachtgeschäfte wurde auf Anregung der Wiener Handels- und Gewerbekammer im Jahre 1872 ein Schiedsgericht für Streitigkeiten aus dem Frachtgeschäfte der Eisenbahnen eingesetzt, das von der Partei neben den ordentlichen Gerichten angerufen werden konnte. Dieses Schiedsgericht, das fallweise aus je 2 Vertretern der Kammer und Bahnverwaltung zusammengesetzt war und unter Vorsitz eines Advokaten tagte, wurde im Jahre 1901 aufgehoben, weil es die gehegten Erwartungen nicht erfüllte.

Eine ungleich größere Bedeutung als die erwähnten E., besitzen die auf den Gebieten der Unfall- und Krankenversicherung bestehenden Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen den von Eisenbahnverwaltungen geschaffenen Versicherungsanstalten und den Eisenbahnbediensteten als Versicherungsnehmern.

In Deutschland wurde im Versicherungswesen durch das Gesetz vom 30. Juni 1900, RGB. 573, betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, die Entscheidung von Streitigkeiten über Entschädigungen auf Grund der Unfallversicherungsgesetze den gemäß § 103 ff. des Invalidenversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten übertragen.[114] Diese führen die Bezeichnung: »Schiedsgericht für Arbeiterversicherung«, mit Angabe des Bezirkes und des Sitzes. Bei Streitigkeiten über Entschädigungen für die Folgen von Unfällen in Betrieben, für die zugelassene besondere Kasseneinrichtungen bestehen, treten die für diese errichteten Schiedsgerichte an die Stelle der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung.

Jedes solche Schiedsgericht besteht aus einem ständigen Vorsitzenden und aus 4 Beisitzern. Der Vorsitzende und dessen Stellvertreter wird aus der Zahl der öffentlichen Beamten – mit Ausschluß jedoch der Beamten der Staatseisenbahnverwaltung – von den zuständigen Ministern ernannt. Von den 4 Beisitzern werden zwei als Vertreter der Staatseisenbahnverwaltung von der königlichen Eisenbahndirektion aus ihren Mitgliedern oder Hilfsarbeitern oder aus den Vorständen der Inspektionen und Bauabteilungen ernannt 2 als Vertreter der Versicherten von den für die Generalversammlung der Betriebskrankenkasse gewählten Vertretern der Kassenmitglieder nach der vom Minister der öffentlichen Arbeiten erlassenen Wahlordnung gewählt. Für jeden Beisitzer sind 3 Stellvertreter zu ernennen, bzw. zu wählen. Die Mitglieder des Schiedsgerichtes dürfen nicht Mitglieder des Vorstandes oder eines Bezirksausschusses der Pensionskasse sein, auch nicht als Mitglieder oder Hilfsarbeiter der Eisenbahndirektion an der Festsetzung der Entschädigungen auf Grund der Unfallversicherungsgesetze beteiligt sein. Verweigern die zu Beisitzern Gewählten ihre Dienstleistung oder kommt eine Wahl nicht zu stande, so hat, solange und soweit dies der Fall ist, die Eisenbahndirektion die Vertreter zu ernennen. Die Entscheidungen erfolgen nach Stimmenmehrheit.

Nach § 38 des österr. Gesetzes vom 28. Dezember 1887, RGB. Nr. 1 ex 1888, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, und nach § 43 des Statutes der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungsanstalt der österr. Eisenbahnen ist für jede Versicherungsanstalt an ihrem Sitze ein Schiedsgericht errichtet, das zur Entscheidung über die gegen die Versicherungsanstalt erhobenen, von ihr nicht anerkannten Entschädigungsansprüche ausschließlich zuständig ist.

Es besteht aus einem ständigen Vorsitzenden, 4 Beisitzern und den nötigen Stellvertretern. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter werden vom Justizminister im Einvernehmen mit dem Minister des Innern aus der Zahl der richterlichen Staatsbeamten ernannt. Von den Beisitzern werden 2 sowie ihre Stellvertreter von dem Minister des Innern im Einvernehmen mit den beteiligten Ministern in das Schiedsgericht auf bestimmte Zeit berufen.

Ein Beisitzer und sein Stellvertreter werden von den versicherungspflichtigen Betriebsunternehmern, der letzte Beisitzer und sein Stellvertreter von den Versicherten gleichzeitig mit der Wahl in den Vorstand, u. zw. für die Funktionsdauer des letzteren gewählt. Von den Mitgliedern des Schiedsgerichtes darf keines dem Vorstande der Versicherungsgesellschaft angehören oder in dessen Dienst stehen.

Das Schiedsgericht hält öffentliche und nichtöffentliche Sitzungen ab. Zu jeder Beschlußfassung ist die Anwesenheit des Vorsitzenden und der vier Beisitzer oder ihrer Stellvertreter nötig. Entschädigungsansprüche sind vor Ablauf eines Jahres von der an den Ansprecher erfolgten Zustellung des Bescheides, durch den die Entschädigung festgestellt oder der Entschädigungsanspruch abgelehnt oder die Minderung, bzw. Aufhebung der festgestellten Rente ausgesprochen wurde, mittels Klage vor dem Schiedsgericht zu erheben.

Das Schiedsgericht schöpft seine Erkenntnisse in nichtöffentlicher Sitzung. Zur Beschlußfassung ist die Anwesenheit aller Mitglieder erforderlich, die bei der Verhandlung als Schiedsrichter anwesend waren. Der Beschluß ist nach Stimmenmehrheit auszufertigen. Das Schiedsgericht entscheidet nach seiner freien, aus der Verhandlung und aus der gewissenhaften Prüfung der vorgebrachten Beweise gewonnenen Überzeugung, ohne an Beweisregeln gebunden zu sein. Rechtsmittel oder Klagen gegen das schiedsgerichtliche Erkenntnis sind unzulässig.

Auch über die Ansprüche der Krankenkassenmitglieder gegen die Betriebskrankenkassen der Eisenbahnen entscheiden Schiedsgerichte, gegen deren Erkenntnisse Rechtsmittel oder Klagen nicht zur Verfügung stehen.

Die Zusammensetzung dieser Schiedsgerichte erfolgt in der Weise, daß jeder Streitteil zwei Schiedsrichter bezeichnet, die sodann mit Stimmenmehrheit einen Obmann kooptieren. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Wenn der beklagte Streitteil die Bestellung von Schiedsrichtern verweigert oder binnen vier Wochen nicht vornimmt, ernennt die Eisenbahn die Schiedsrichter an seiner Statt.

Was sonstige E. anbelangt, so seien insbesondere noch jene erwähnt, die vielfach in Gemeinschafts-, Anschluß-, Bau- und Lieferungsverträgen vereinbart werden.

In letzterer Hinsicht ist durch Erlaß des preuß. Ministeriums für öffentliche Arbeiten[115] vom 22. März 1912 die Entscheidung über Rechtsansprüche, die aus Verträgen über Ausführung von Staatsbauten, Leistungen und Lieferungen (Erd-, Fels-, Rodungs- und Böschungsarbeiten) erwachsen, einem Schiedsgericht vorbehalten, wenn nicht Verwaltung und Unternehmer im einzelnen Falle vereinbart haben, daß die Austragung der Rechtsstreitigkeiten im ordentlichen Rechtswege erfolgen soll.

In Österreich enthalten einzelne Konzessionsurkunden Bestimmungen über Austragung von Streitigkeiten durch E., so z.B. die Gesellschaftssatzungen der Kaschau-Oderberger Eisenbahn.

Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß im § 34 der Konzessionsurkunde für die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn Streitigkeiten zwischen dem Staat und der Bahn über die im § 21 dieser Konzessionsurkunde vorgesehenen Tarifreduktionen sowie über den nach § 33 zu ermittelnden Reingewinn mit Ausschluß jedes weiteren Rechtszuges vor ein Schiedsgericht gewiesen waren.

In Frankreich ist in den von der Regierung im Dezember 1910 eingebrachten Gesetzentwürfen zur Verhütung von Eisenbahnerausständen die Einführung obligatorischer E. vorgesehen (s. Bulletin, April 1913).

In der Schweiz ist für zahlreiche Fälle in den Rückkaufsbestimmungen der Konzessionen die schiedsgerichtliche Erledigung von Streitigkeiten zwischen dem Bunde und der Eisenbahn vorgesehen. Die Bestimmungen der Konzessionen, die von der Aufstellung von Schiedsrichtern zur Festsetzung der Rückkaufsentschädigungen und Entscheidung anderer mit dem Rückkauf in Beziehungen stehender Streitfragen handeln, wurden jedoch durch Art. 21 des Bundesgesetzes über das Rechnungswesen der Eisenbahnen vom 27. März 1896 aufgehoben und die Schiedsgerichte durch das Bundesgericht ersetzt.

In Italien war nach dem Eisenbahngesetz vom 27. April 1885 zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten, die zwischen dem Staat und dem Konzessionär der Bahn über die Auslegung und die Ausführung des Betriebsüberlassungsvertrages und des Bedingnisheftes sowie dessen Anlage entstehen sollten, ein aus 5 Personen zusammengesetztes Schiedsgericht eingesetzt. Die Schiedsrichter erkennen nach den gesetzlichen Bestimmungen, doch können die Parteien sie nach Übereinkunft ermächtigen, als freundliche Vermittler zu urteilen. Die Appellation und Kassation, wie die Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Schiedssprüche werden bei den betreffenden Gerichten, dem Appellhof und dem Kassationshof in Rom, angebracht.


Die Regierung und der Konzessionär ernennen je zwei Schiedsrichter und ebensoviele Stellvertreter. Die Ernannten wählen den 5. Schiedsrichter und einen Stellvertreter. Falls sie sich nicht einigen können, ernennt der Kassationshof in Rom in einer Plenarsitzung den 5. Schiedsrichter und einen Stellvertreter aus der Mitte der Kassationsräte. Der 5. Schiedsrichter führt den Vorsitz des Kollegiums, das auf 3 Jahre gewählt wird und in Rom seinen Sitz hat.

Die Errichtung eines E. für die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen der Staatsbahnverwaltung und den Angestellten wurde von der Regierung unter Berufung auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des Anstellungsvertrages abgelehnt.


Das niederländische Eisenbahngesetz vom 22. Juli 1890 nebst den zugehörigen Verträgen vom 21. Januar 1890 zwischen dem niederländischen Staate einerseits und der Gesellschaft zum Betriebe der Staatseisenbahnen, bzw. der holländischen Eisenbahngesellschaft anderseits sieht in Fällen, wenn eine Einigung zwischen Staat und Gesellschaft nicht erzielt werden kann, ein Schiedsgericht vor, u. zw. beim Entwurf von Bauplänen hinsichtlich der Eisenbahnen, die etwa vom Staate noch gebaut und von der Gesellschaft gemäß Art. 2 des Vertrages in Betrieb genommen werden müssen, dann hinsichtlich Änderungs-, Verbesserungs- und Erweiterungsanlagen an den Staatsbahnen.

Die Schiedsrichter werden durch die Parteien gemeinsam ernannt. Können sie sich nicht einigen, so sollen die Schiedsrichter auf Antrag durch den hohen Rat ernannt werden. Die Parteien sind befugt, Personen, die sich für eine Ernennung eignen, dem hohen Rat in Vorschlag zu bringen. Der Schiedsrichterspruch entscheidet endgültig.

Auch das Übereinkommen vom 27. August 1890 zwischen der Gesellschaft für den Betrieb niederländischer Staatseisenbahnen einerseits und der holländischen Eisenbahngesellschaft anderseits, betreffend die gemeinschaftliche Benutzung von Bahnstrecken, bestimmt, daß aus Anlaß des Übereinkommens entstehende Streitigkeiten zwischen den Gesellschaften durch Schiedsrichter entschieden werden.

Außerdem ist bei der Gesellschaft für den Betrieb der niederländischen Staatsbahnen für die Entscheidung über Beschwerden gegen die Verhängung von Disziplinarstrafen über Bedienstete ein Schiedsgericht vorgesehen (s. Disziplinarvorschriften).

In England bestehen besondere Schiedsgerichtskollegien beim Clearing House, die Streitigkeiten zwischen den einzelnen[116] Bahnen bezüglich der Reklamationen wegen Wagenbeschädigungen und aus dem Personen- und Güterverkehr entscheiden. Nach dem englischen Gesetz vom Jahre 1873 haben die Railway Commissioners bei Streitigkeiten zwischen Eisenbahngesellschaften als Schiedsgericht zu dienen, wenn eine Partei es verlangt, und kein anderes Schiedsgericht für den betreffenden Fall bestimmt ist. Jeder Streit, bei dem eine Eisenbahngesellschaft Partei ist, kann auf Verlangen beider Parteien und mit Zustimmung der Commissioners letzteren zur Entscheidung vorgelegt werden.

In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde am 3. April 1886 ein Gesetz (Labour Arbitration Bill) veröffentlicht, wonach für folgende Fälle die Entscheidung durch Schiedsspruch vorgeschrieben wird: Wenn Uneinigkeiten und Streitigkeiten zwischen Eisenbahngesellschaften, die Güter und Reisende zwischen zwei oder mehreren Staaten und Territorien befördern, und ihren Angestellten derart entstehen, daß dadurch die Beförderung von Gütern und Reisenden gehindert, unterbrochen oder sonstwie nachteilig beeinflußt wird, so ist, falls einer der streitenden Teile dem andern einen Vergleich durch Schiedsspruch schriftlich vorschlägt, der andere Teil verpflichtet, dem Vorschlage Folge zu geben. Sowohl die Eisenbahngesellschaft, als auch die Angestellten haben sodann je einen Schiedsrichter zu ernennen, die gemeinsam einen dritten wählen. Das von den ernannten Schiedsrichtern gewählte 3. Mitglied führt bei den Verhandlungen den Vorsitz. Nach Abschluß der Untersuchungen und Erhebungen hat das Schiedsgericht seinen Spruch zu veröffentlichen, wobei zugleich die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Gründe anzugeben sind.

Die Verhandlungen, die Zeugenaussagen und der Urteilsspruch sind schriftlich bei dem Commissioner of Labour of the United States niederzulegen, der seinerseits wieder die Aussprüche des Schiedsgerichtes zu veröffentlichen hat. Die Kosten des Verfahrens werden von der Regierung der Vereinigten Staaten getragen mit der Maßgabe, daß die gesamte Summe, die für die Erledigung eines einzelnen, dem Schiedsgerichte unterbreiteten Streitfalles vom Bundesschatzamt zu zahlen ist, den Betrag von 1000 $ nicht überschreiten darf.

Nach dem für den zwischenstaatlichen Verkehr und das im Fahrdienste beschäftigte Personal geltenden Bundesgesetze vom 1. Juni 1898 (Erdman Act) sollen, zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zwischen den Frachtführern und ihren Bediensteten, wenn im Geltungsbereich des Gesetzes Arbeitsstreitigkeiten entstehen, die den zwischenstaatlichen Verkehr lahmlegen oder ernstlich bedrohen, der Obmann des Bundesverkehrsamtes und der Vorsteher des Bundesarbeitsamtes auf Anrufen auch nur einer der Parteien den Versuch machen, die Streitigkeiten gütlich beizulegen. Weigert sich eine Partei, die Dienste der von der Gegenseite angerufenen staatlichen Vermittler anzunehmen, so ist deren Mandat erloschen; aus eigenem Antriebe können sie in derartige Streitigkeiten nicht eingreifen. Schlagen die amtlichen Vermittlungsversuche fehl, so soll die Schlichtung des Streites, wenn die Parteien damit einverstanden sind, einem dreiköpfigen Schiedsgerichte übertragen werden.


Jede Partei bestimmt einen Schiedsrichter; die zwei so Berufenen wählen einen dritten zum Obmann des Schiedsgerichtes. Kommt die Wahl des Obmannes nicht binnen 5 Tagen nach dem ersten Zusammentreffen der beiden anderen Schiedsrichter zu stande, so wird er von den beiden staatlichen Vermittlern ernannt. Der Schiedsspruch bindet die Parteien ein Jahr lang; doch kann er wegen eines Rechtsirrtums binnen 10 Tagen nach seiner gerichtlichen Eintragung im gerichtlichen Verfahren angefochten werden. Die Eisenbahngesellschaften dürfen während der ersten 3 Monate nach Inkrafttreten des Schiedsspruches Entlassungen aus dem Grunde, daß sie mit dem Schiedssprüche nicht zufrieden sind, nur mit 30tägiger Kündigungsfrist vornehmen; notwendige Betriebseinschränkungen werden hierdurch nicht behindert. Anderseits sind die Bediensteten während der gleichen Zeit an dieselbe Kündigungsfrist gebunden, es sei denn, daß sie den Dienst aus »gerechter Ursache« verlassen.

In den Jahren 1899–1911 waren 48 Streitfälle zu schlichten, von denen 36 durch die amtlichen Vermittler endgültig beigelegt wurden, während nur 12 Fälle dem schiedsrichterlichen Verfahren unterbreitet werden mußten.

Im letzten Lohnstreit der Lokomotivführer der Eisenbahnen im Osten der Vereinigten Staaten scheiterten die Einigungsverhandlungen auf Grund der Erdman Act. Die Parteien verabredeten, die Schlichtung des Streits einem Schiedsgericht zu übertragen, das – abweichend von dem Gesetze – aus 7 Mitgliedern gebildet wurde, u. zw. aus je einem Vertreter der Parteien und aus 5 (statt einem) Unparteiischen.

Jäckl.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 113-117.
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