Helldunkel

[533] Helldunkel. (Mahlerey)

Dieses ist ein neues Kunstwort, das ein einsichtsvoller Kunstrichter1 gebraucht hat, um das auszudrüken, was in der französischen Sprach durch eine ähnliche Zusammensetzung zweyer einander entgegenstehender Begriffe clair-obscur genennt wird. Die Sache selbst, die dadurch ausgedrükt wird, bestimmt der Erfinder des Worts genau durch diese Bemerkung, daß Licht und Schatten, helle und dunkele Farben für das einstimmige Ganze2 sich wechselsweise erhöhen oder mäßigen. Dieses will sagen, daß die Haltung und Harmonie des Gemähldes nicht allemal blos von genauer Beobachtung des Lichts und Schattens abhänge, sondern, daß bisweilen die Stärke des Lichts durch dunkele Localfarben geschwächt, und die Schatten durch hellere klar gemacht werden müssen.

Demnach beruhet die vollkommene Behandlung des Helldunkeln, welches einen wichtigen Theil der Farbengebung ausmacht, auf der Geschiklichkeit Lichter und Schatten, da, wo es nöthig ist, durch dunklere oder hellere Localfarben zu stärken, oder zu schwächen. Bey gleich starkem Lichte scheint eine helle Farbe immer mehr Licht zu haben, als eine dunkele, und in gleich dunkeln Schatten, wird die helle Farbe weniger verfinstert, als die dunkele. Daraus läßt sich leicht abnehmen, wie der Mahler, wenn er Licht und Schatten nach Maaßgebung der Beleuchtung auf das genaueste beobachtet hat, den im völligen Schatten liegenden Gegenständen, durch hellere Localfarben aufhelfen, und wie er die im stärksten Lichte stehenden, durch dunklere Farben dämpfen könne, wo er es zur besten Haltung und Harmonie für nöthig hält. Wo man nach der Natur der Beleuchtung kein Licht hinbringen kann, und es dennoch für nöthig hält, da thun helle Localfarben den Dienst, und so die dunkelen im vollen Lichte. Darum muß man nicht, wie so ofte geschieht, das Helle und Dunkele, das von den eigenthümlichen Farben abhängt, mit dem Licht und Schatten verwechseln, obgleich beyde einerley Würkung thun können.3 Der Mahler muß sich nicht begnügen, die Harmonie und Haltung blos in der verschiedenen Beleuchtung zu studiren, wiewol sie größtentheils von ihr abhangen4; sondern, bey einerley Beleuchtung, die durch abgeänderte Localfarben entstehenden Veränderungen in der Haltung beobachten. Wer diesen Theil der Kunst vollkommen studiren wollte, könnte sich die Sache dadurch erleichtern, daß er für eine Anzahl kleinere Figuren, oder Gliedermänner, eine hinlangliche Anzahl Gewänder von verschiedenen Farben hätte, und bey einerley Anordnung und Beleuchtung seiner Gruppen, die Farben der Gewänder verschiedentlich abänderte.

Wir wollen damit gar nicht sagen, daß der Mahler jedesmal, wenn er in der Arbeit begriffen ist, auf diese ängstliche und mechanische Weise das beste aussuchen soll. Denn dergleichen Veranstalltungen können gar leicht das Feuer der Einbildungskraft, ohne welches kein Werk gut wird, dämpfen: wir schlagen dieses blos zum Studiren vor, und müssen auch hier, wie schon bey so viel andern Gelegenheiten geschehen ist, dem Mahler das Beyspiel des Leonhardo da Vinci vorhalten, dem nichts zu subtil noch zu mühesam war, was immer Gelegenheit geben konnte, die Kunst mit neuen Beobachtungen zu bereichern. Währender Arbeit muß der Künstler sich blos auf sein Genie verlassen, aber zum Studiren gehört Fleis, Veranstalltung, forschendes Nachdenken, Maaß und Gewicht; weil dadurch dem Genie die nöthigen Begriffe, auf die es sich bey der Ausführung stützet, herbey geschaft werden. [533] Seltsam, aber vollkommen richtig, ist die Beobachtung des oben erwähnten Kunstrichters, daß selbst der Kupferstecher, der doch zur Haltung und Harmonie nichts, als Licht und Schatten zu haben scheinet, aus dem Helldunkeln Vortheile ziehen könne. Er hat angemerket, daß die Kupferstecher, die unter der Aufsicht des Rubens gearbeitet haben, dieses zuerst erreicht haben,5 und daß mit diesen Meisterstüken des Grabstichels ein neuer Zeitraum der Kunst anfange. Gegenwärtig scheinet es bisweilen, daß der Grabstichel in der Kunst des Helldunkeln sich mit dem Pinsel selbst in einen Wettstreit einzulassen getraute. Die Mittel, wie der Grabstichel durch die Verschiedenheit der Behandlung, die hellen und dunkeln, strengen und sanften Localfarben ausdrükt, verdieneten wol von den Meistern der Kunst besonders entwikelt zu werden; denn der feineste Kenner oder Kunstrichter wird, durch das bloße Studiren der besten Werke, sie niemal deutlich genug entdeken.

1der Hr. v. Haged.
2Betrachtungen über d. Mahlerey S. 653.
3S. Eigenthümliche Farbe.
4S. Beleuchtung.
5S. Hagedorn Anmerk. S. 651.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 533-534.
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