Eigenthümliche Farbe

[290] Eigenthümliche Farbe. (Mahlerey)

Mit diesem Worte bezeichnen wir das, was man sonst Localfarbe nennt, nämlich die natürliche Farbe eines Körpers, z. E. die rothe Farbe eines Kleides von Scharlach, in so fern sie durch den Ort, wo der Körper steht, in ihrer Art eingeschränkt wird. Wenn man die Wissenschaft der Localfarben recht verstehen will, so bedenke man zuvoderst, daß die Farbe eines jeden Körpers nichts anders sey, als ein auf ihn fallendes und von ihm ins Auge prallendes Licht. Dieses kann von unendlich verschiedener Art seyn, sowol in Ansehung der Stärke, als in Ansehung seiner übrigen Eigenschaften. Wenn das helleste Sonnenlicht auf einen Körper fällt, so giebt es ihm eine andre Farbe, als wenn es schwächer ist, und jeder Grad der Stärke dieses Sonnenlichtes dringt im Körper eine andere Farbe hervor, ob sie gleich von derselben Art bleibt. Dasselbe Stük Scharlach hat eine andre Farbe, wenn die Sonne sehr hell darauf scheinet, als wenn sie schwach scheinet; und in diesem Fall wieder eine andre, als wenn das blosse Tageslicht darauf fällt; und auch in diesem wieder eine andre, wenn der Tag heller ist, als wenn er dunkel ist, anders wenn das hellere oder dunklere Tageslicht unmittelbar darauf fällt, oder es erst durch vielerley Abprellungen trift. Dennoch wird es immer Scharlach genennt, weil es nicht möglich wäre, diese unzähligen Grade der Scharlachfarbe mit so viel verschiedenen Namen zu benennen.

Eben so groß wird die Mannigfaltigkeit der eigenthümlichen Farbe des Körpers durch die verschiedene Arten sowol des ursprünglichen, als des zurük geworfenen Lichts. Das Sonnenlicht giebt dem Körper eine andre Farbe, als das Licht einer Lampe, oder einer Wachskerze, oder das blaue Licht des Himmels. Denn das ursprüngliche Licht, welches auf den Körper fällt, hat schon eine herrschende Farbe, und ist entweder weiß, gelb, roth, blau oder von andrer Art, und muß demnach nothwendig der Farbe des Körpers ein anderes Ansehen geben.

Drittens wird die eigenthümliche Farbe des Körpers durch die Vermischung mehrerer Arten des Lichts wieder neu eingeschränkt. Es kann röthliches und blauliches Licht zugleich auf den Körper fallen. Die Vermischung beyder bringt eine abgeänderte Farbe hervor. Endlich ändert sich die Farbe auch nach Beschaffenheit des Raums, der zwischen dem Aug und dem Körper ist. Das Licht der auf- oder untergehenden Sonne ist ganz anders, als das Licht der hohen Mittagssonne, weil es durch eine mehr mit Dünsten angefüllte Luft geht; und das Licht des Körpers, das durch ein gefärbtes Glas in die Augen fällt, ist ganz anders, als wenn es blos durch die Luft geht; in der Luft anders, wenn sie rein als wenn sie voll Dünste ist, anders wenn der Körper entfernt, als wenn er nahe ist.

Die Farbe eines jeden im Gemählde vorkommenden Körpers, in so fern sie durch alle diese Umstände eingeschränkt wird, ist das, was die Mahler die Localfarbe, und wir die eigenthümliche Farbe desselben nennen. Die eigenthümlichen Farben aller einzeln Gegenständen eines Gemähldes, in eine einzige Haupterleuchtung geschikt verbunden, machen die Harmonie der Farben aus. Mithin kann diese, und folglich die Einheit in der Farbe und die allgemeine Haltung, ohne die Wissenschaft der Localfarben nicht erreicht werden.

Diese Wissenschaft betrift zwey Hauptpunkte, die eigenthümliche Farbe jedes einzeln Gegenstandes muß wahrhaft, oder natürlich seyn; zugleich aber muß sie eine gute Würkung zur Haltung des Ganzen thun. Jener Punkt betrift die Wissenschaft, die für einen Gegenstand gewählte Farbe, nach Beschaffenheit des Lichts und der Erleuchtung zu bestimmen. Wenn man z. B. angenommen hat, daß eine Figur des Gemähldes einen Purpurmantel zur Bekleidung haben soll, so ist zu überlegen, welcher Grad der Purpurfarbe sowol an hellen, als an dunkeln Stellen genommen werden soll. Man sieht, daß diese Frage die ganze Farbenmischung, die Wissenschaft der Wiederscheine und der Schattirungen in sich [290] begreife. Weil man aber insgemein nur alsdenn die Localfarben nennt, wenn man ihre Würkung auf das Ganze betrachtet, so wollen wir nur von diesem zweyten Punkt sprechen, da von dem ersten in andern Artikeln gesprochen worden.

Wir betrachten demnach hier die Wissenschaft der Localfarben, nur in so fern sie dienet, dem Ganzen die Harmonie und Haltung zu geben. Wir setzen zum voraus, daß der Mahler sein Werk erst auf der Leinwand gezeichnet habe, und daß er ietzo sich mit der Wahl der Farbe eines jeden einzeln Gegenstandes beschäftige. Einige dieser Farben sind ganz willkührlich, z. E. die Farbe der Kleider, hingegen sind auch andre, die nur zum Theil willkührlich sind, wie z. E. die Farbe des hellen Himmels, die mehr oder weniger blaß, hell oder dunkel kann gewählt werden, noch andre sind gar nicht willkührlich, als das Grüne des Grases oder der Bäume. Ueberall, wo eine Wahl statt hat, muß der Mahler auf die beste Uebereinstimmung und die vollkommenste Haltung des Ganzen sehen. Jede dieser beyden Absichten erfodert viel Erfahrung und Ueberlegung.

Noch ehe er die geringste Entschliessung in Ansehung der Localfarben nehmen kann, muß er die Art seines Colorits, den Ort der Scene, den Grad des allgemeinen Lichts und der Einschränkung desselben genau erwogen haben. Wenn er sich dieses alles fest eingeprägt und ganz geläufig gemacht hat, so kann er an die Localfarben denken. Versäumet er diese vorläufigen Bestimmungen, so wird er ofte, wenn sein Gemählde ganz angelegt, oder wol gar halb ausgemahlt ist, alles wieder umarbeiten müssen, weil eine einzige Localfarbe, die er unrecht gewählt hatte, ihm Harmonie oder Haltung zernichtet. So wie der Tonsetzer bey seiner Melodie die Harmonie nicht einen Augenblik bey Seite setzen kann, so muß der Mahler, wenn er ans Farbengeben denkt, gar alles was zum Gemählde gehört, die Anordnung, die Grupirung, das Licht und alles übrige beständig vor Augen haben.

In Sachen, die so sehr auf lange Erfahrungen ankommen, wo so gar vielerley auf einmal und als eine einzige Hauptvorstellung der Einbildungskraft vorschweben muß, ist es fast unmöglich und auch unnütze, besondre Regeln zu suchen. Man muß sich begnügen, den Künstler überhaupt auf alle wesentliche Umstände aufmerksam zu machen.

In der Wahl der eigenthümlichen Farben habe der Mahler die Harmonie des Ganzen beständig vor Augen. Ist er genöthiget zwey Farben neben einander zu setzen, die sich schweer vereinigen, so suche er sich durch die Dämpfung der einen durch starken Schatten, oder durch verbindende Wiederscheine zu helfen. Es kömmt hiebey fast alles auf die Wahl des Lichts und der Erleuchtung an. Hat er z. B. sein Gemählde so angeordnet, daß der hinterste Grund gegen den vodern zu helle wird, so wähle er eine stärkere Erleuchtung für diesen und eine schwächere für jenen.

In Ansehung der Haltung bietet sich eine ganz einfache Regel von selbst an. Wo das Licht und der Schatten in dem Grade, den sie auf gewissen Stellen haben müssen, nicht hinreichen, den Gegenstand genug zu heben oder zu dämpfen; da wähle man im ersten Falle sehr helle, im andern sehr dunkle eigenthümliche Farben; jene müssen ofte die Stelle des hellern Lichts, diese aber des Schattens vertreten. Mancherley sehr feine, aus Betrachtung würklicher Gemählden genommene Anmerkungen über die Localfarben wird man in des Hrn. v. Hagedorn Betrachtungen über die Mahlerey finden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 290-291.
Lizenz:
Faksimiles:
290 | 291
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon