Schaubühne

[1015] Schaubühne. (Baukunst; Schauspielkunst)

Ist der Plaz auf welchem das, was im Drama vor den Augen der Zuschauer geschieht, verrichtet wird, der deswegen über den Grund, worauf ein Theil der Zuschauer steht, erhöhet ist. Die Beschaffenheit der Schaubühne hat einen großen Einfluß auf die vollkommene Aufführung des Drama. Wenn alles so soll vorgestellt werden, wie es in der Natur würklich geschehen wäre, so muß die Beschaffenheit des Orts der Scene jedesmal genau beobachtet, mithin die Schaubühne für jede Handlung besonders eingerichtet werden. Also muß schon in der Anlage der Schaubühne dafür gesorget seyn, daß sie auf mancherley Weise veränderlich sey; weil die Scene bald groß, bald klein, bald ein offener, bald ein verschlossener Ort, bald einen Garten, oder ein offenes Land vorstellen muß.

Hieraus ist überhaupt zu sehen, daß die Schaubühne in dem, was ihr Bau beständiges hat, ein sehr großer, breiter und tiefer Saal seyn sollte, der durch leichte, auf dem Boden des Saales hin und her zu schiebende Wände und durch Vorhänge, bald zu einer großen, bald zu einer kleinen Scene könnte gemacht werden.

Wenn dieses seine Richtigkeit hat, so müssen wir nothwendig an der Einrichtung so wol der alten Schaubühne der Griechen und Römer, als der neuern verschiedenes aussezen. Jene war so beschaffen, daß der hintere Grund ein festes Werk war, so daß die Bühne nach ihrer Tiefe oder Länge, die ohne dem gering war1, nicht konnte erweitert werden. Diese hintere Wand stellte insgemein Aussenseiten von Gebäuden vor, aus denen die handelnden Personen durch drey verschiedene Thüren hervortraten, und der Plaz wo sie spiehlten, war insgemein eine Strasse, ein Markt, oder ein Plaz außer einer Stadt, aber immer gleich tief.

In unseren Bühnen macht ein bis auf den Boden herunterhangender Vorhang den hinteren Grund der Bühne aus. Dieses giebt den Vortheil, daß nicht nur die Tiefe der Schaubühne nach Belieben größer oder kleiner kann gemacht werden, nachdem man den Vorhang von dem vodersten Ende der Bühne mehr oder weniger entfernet; sondern daß vermittelst der darauf angebrachten Mahlerey die Scene sich so weit erstreken kann, als man will.

Hingegen haben unsre Schaubühnen noch verschiedene sehr wichtige Fehler. Erstlich sind sie, einige Opernbühnen ausgenommen, viel zu schmal; so daß sie zwar sehr tiefe, oder lange, aber nie keine breite Pläze vorstellen können. Die Schauspiehler können sich zwar in Ansehung der Tiefe insgemein weit genug von einander entfernen, aber in einerley Entfernung von dem Zuschauer stehen sie immer nahe neben einander, obgleich die Handlung ofte das Gegentheil erfodert.

Denn hat unsere Scene mit der alten den Fehler gemein, daß Straßen, öffentliche Pläze und die inneren Zimmer der Häuser dieselbe Breite haben; weil die Schaubühne sich in der Breite, nicht so wie in der Länge größer und kleiner machen läßt, sondern immer gleich bleibet. Wär unsre Bühne überhaupt viel breiter, als sie wirklich ist, so könnten die handelnden Personen sich nach der Breite weiter von einander entfernen, und man könnte nicht nur sehr tiefe, sondern wenn die Mahlerey an den beweglichen Seitenwänden zu Hülfe genommen würde sehr breite Pläze vorstellen.

Freylich entstünde denn eine neue Schwierigkeit, wenn die Scene in kleine Zimmer zu verlegen wäre. Doch wär dieser größten theils dadurch abzuhelfen, daß die vodersten zwey oder drey Wände perspektivisch geschoben würden, wie die beystehende Figur zeiget.

Schaubühne

A B stellet das voderste Ende der Schaubühne in ihrer ganzen Breite vor; C D den Vorhang im Grund. Die kleinern Striche die gemahlten Wände; E ein kleines Zimmer. So könnten die Wände, die F gegenüberstehen einen Vorsal, oder einen andern Plaz vor dem Cabinet E vorstellen. Die einzige Unbequämlichkeit [1016] hiebey wäre, daß dergleichen kleine Zimmer etwas tief in die Bühne hereinkämen und die Schauspiehler etwas lauter sprechen müßten, um verstanden zu werden.

Unter der Menge der dramatischen Stüke der Alten, sind wenige, die sich auf unsern gar zu schmalen Bühnen auf eine schikliche Weise vorstellen ließen, und auch von viel guten neuern Stüken wird die Vorstellung dadurch, daß die spiehlenden Personen ofte zu nahe aufeinander stehen müssen, sehr unschiklich. Solche doppelte Auftritte, dergleichen Plautus und Terenz bisweilen haben, und die sehr lustig sind, können auf unsern engen Bühnen gar nicht angebracht werden.

Es ist schade, daß der Herr von Riedesel, dessen ich vorher gedacht habe, da er in den Ruinen eines alten Theaters in Sicilien gewesen ist, nicht eine genaue Beschreibung von allem gegeben hat, aus welcher vielleicht einiges Licht über die wahren Ursachen des sich von der Scene so sehr leicht bis auf die entlegensten Stellen des Schauplazes verbreitenden Tones, hätte gezogen werden können. Denn dieses scheinet noch ein ziemlich allgemeiner Mangel unsrer Bühnen, daß sie den Ton der spielenden Personen eher schwächen, als verstärken.

1Der Herr von Riedesel sagt in seiner Reise durch Sicilien und Groß- Griechenland, S. 152. daß er die Scene in dem Theater von Tavormina, dem alten Taurominium nur von 5 Neapolitanischen Palmen gesunden, welches freylich eine unbegreifliche Einschränkung ist.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1015-1017.
Lizenz:
Faksimiles:
1015 | 1016 | 1017
Kategorien: