Uebergang

[1189] Uebergang. (Redende Künste)

Die verschiedenen Arten wie Redner und Dichter von einem Gedanken auf den folgenden, von einem vorgetragenen Punkt auf einen andern übergehen, verdienet in der Theorie der redenden Künste besonders betrachtet zu werden; weil sie sehr viel zur Annehmlichkeit, Klarheit und dem Charakter der Rede überhaupt beytragen. Dieser Uebergang geschiehet entweder unmittelbar, so daß zwey ganz verschiedene Gedanken, ohne etwas dazwischen geseztes auf einander folgen, oder mittelbar durch Bindewörter, oder kurze Bindesäze und Formeln, wodurch der Grund oder die Art der Verbindung angezeiget wird.

[1189] Wir betrachten hier vornehmlich die Uebergänge, die mittelbar durch einzele Wörter, oder Formeln geschehen, was von den römischen Lehrern der Redner transitus, und transitio genennt wird.1 Was die Bindewörter, oder Conjunktionen in einzelen Perioden sind, das sind die Uebergangsformeln in Absicht auf die ganze Rede. »Ohne die Bindewörter, sagt ein großer Kunstrichter, kämen in der Rede nur abgerissene zerstükte Glieder heraus, die nichts festes ausmachten. Die Rede würde, wie eine Liste von gesammelten Ausdrüken und Redensarten aussehen. Sie dienen zu verknüpfen, zu erweitern, zu vermehren, zu bedingen, entgegen zu sezen, gegen zu halten, zu entwikeln, den Zeitpunkt, die Ursache, den Schluß anzudeuten; die Rede fortzusezen und abzuführen.«2 Der historische, der lehrende, der unterhaltende Vortrag, und überhaupt die Schreibart, darin mehr Verstand, als Einbildungskraft und Empfindung herrscht, können den mittelbaren Uebergang nicht entbehren, und gewiß hängt ein großer Theil der Deutlichkeit und Annehmlichkeit des Vortrages davon ab.

In dem Vortrag einer ganz strengen Lehrart, wie z.B. in mathematischen und philosophischen Beweisen, ist man sorgfältig jeden zum Beweis dienenden Saz durch ein Bindewort an den vorhergehenden zu hängen: man findet da immer die Wörter; darum, nun aber, also, deswegen, folglich u. d. gl. Denn da ist es sehr wesentlich, daß der Leser überall den genauesten Zusammenhang aller Säze vor Augen habe. Zum erzählenden Vortrage schiken sich diese Formeln nicht; weil da die Sachen nicht einen wesentlichen, sondern mehr zufälligen Zusammenhang haben. Deswegen findet man da ganz andere Arten des Ueberganges: hierauf; inzwischen; dessen ungeachtet; nunmehr; darauf u.s.f. Andre Gattungen des Vortrages haben wieder ihre Formeln. In dem lyrischen Gedicht aber fallen sie fast ganz weg, und der Uebergang geschieht, der Empfindung gemäß, meistentheils unmittelbar. Doch kommen auch da noch Uebergangswörter vor, die aber mehr die Art der Ausrufungswörter, (Interjektionen) als der Bindewörter haben.

Man kann überhaupt anmerken, daß die verschiedenen Gemüthslagen, darin die redende Person sich befindet, auch die Verschiedenheit des Ueberganges natürlicher Weise verursache, und daß deswegen drey verschiedene Gattungen desselben vorkommen müssen, nach dem die Folge der Rede durch den Verstand, oder durch die Einbildungskraft, oder durch die Empfindung bestimmt wird. In Werken, die blos auf deutlichen Unterricht gehen, werden zum Uebergang Formeln gebraucht, die auf eine gerade, einfache Weise den Zusammenhang der Gedanken anzeigen; sie zeigen uns zum voraus, ob das Folgende ein Schluß sey, der aus dem vorhergehenden gezogen wird; oder ob es eine Erweiterung, eine Einschränkung und nähere Bestimmung, ein Gegensaz des vorhergegangenen sey; ob es wesentlich zur Sache diene, oder nur beyläufig angemerkt werde; ob es eine Fortsezung der vorgetragenen Materie, oder etwas davon verschiedenes sey u.s.w. Kurz, diese Formeln lassen uns die ganze Methode, nach welcher der Redner denkt, in völliger Klarheit sehen, und der Vortrag bekommt dadurch ein sehr helles Licht und mancherley angenehme Wendungen.

In Werken, wo schon mehr auf Annehmlichkeit, mannigfaltige Befriedigung des Geschmaks gesehen wird, kommen künstliche, dem Geschmak schmeichelnde Formeln des Ueberganges vor, die in dem Wiz, oder in der Laune des Redenden ihren Ursprung haben. Es giebt zierliche, lustige, satirische, poßirliche und andere Arten des Ueberganges, die vielleicht eben sowol, als die Figuren, über die so sehr viel geschrieben worden, verdienten in der Rhetorik betrachtet zu werden, da sie gewiß viel zur Vollkommenheit der Schreibart beytragen.

Ein unmittelbarer Uebergang von einem Hauptpunkt, oder von einem geendigtem Haupttheile der Rede auf einen neuen, hat oft etwas hartes. Man erwartet einen Wink, daß ein Hauptpunkt geendiget sey, und nun etwas neues anfange. Die Griechen bedienten sich in ihrem lehrendem Vortrag gar ofte der kurzen Formel: so viel hievon, oder eines diesem ähnlichen Schlusses, und zeigten alsdenn, ohne [1190] Umschweiff den neuen Punkt an, auf den sie übergiengen. Diese Art pflegte auch Winkelmann bisweilen nachzuahmen; z.B. Nach der Betrachtung über die Bildung der Schönheit ist zum zweyten von dem Ausdruke zu reden. In dem einfachen lehrenden Vortrage dienet dieses zur Deutlichkeit. Die Redner pflegen auf eine ähnliche Weise von einem Hauptpunkte zum folgenden überzugehen, worüber die vorher angeführte Stelle aus den Rhetoricis ad Herennium zum Beyspiehle dienet.

Die epischen Dichter bedienen sich bisweilen sehr feyerlicher Uebergänge, wobey sie wol gar eine neue Anrufung an die Muse thun. Ein merkwürdiges Beyspiehl eines solchen höchstpathetischen epischen Ueberganges ist der Anfang des dritten Buches im verlohrnen Paradies. Diese Art ist sehr schiklich, die Aufmerksamkeit aufs neue zu erweken, und den Leser in große Erwartung zu sezen; daher fast alle Dichter in der Epopöe sich derselben bedient haben.

So hingegen sind Uebergänge die erzwungene, blos eingebildete Verbindungen der auf einander folgenden Materien enthalten, sehr frostig und kindisch, welches Quintilian an den rhetorischen Schulübungen seiner Zeit, und am Ovidius tadelt.3

1Der Verfasser der IV Bücher über die Rhetorik an Herennius, sagt: Transitio vocatur quæ, cum ostendit breviter, quod dictum sit, proponit item brevi quod sequatur, hoc modo; In patriam eujusmodi fuerit habetis, nunc in parentes qualis extiterit considerate. Quintilian spricht von den Uebergängen an mehr Orten unter dem Namen transitus.
2Bodmer in den Grundsäzen der deutschen Sprache im VIII Abschnitt.
3 Illa vero srigida et puerilis est in scholis affectatio, ut ipse transitus efficiat aliquam ubique sententiam – ut Ovidius lascivire in Metamorphosi solet. Inst. L. IV. c. 2.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1189-1191.
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