Graf, der

[770] Der Graf, des -en, plur. die -en, Fämin. die Gräfinn, plur. die -en, ein sehr altes Wort, welches, 1) in seinem weitesten Umfange einen Vorgesetzten über ein gewisses Geschäft, besonders aber einen Richter über einen gewissen Bezirk, den Präsidenten eines Gerichtes, im mittlern Lat. Comes bezeichnet, in welcher Bedeutung es noch in vielen Gegenden Ober- und Niederdeutschlandes üblich ist. In Cöln ist Graf und Scheffen noch so viel als Richter und Schöppen. In Niedersachsen, wo dieses Wort Grefe lautet, ist es noch in vielen einzelnen Fällen üblich, den Vorgesetzten über ein gewisses Geschäft zu bezeichnen. Daher Deichgraf oder Deichgrefe, der Vorgesetzte oder Richter bey dem Deichbaue, Salzgraf oder Salzgräfe, der Vorgesetzte eines Salzwerkes u.s.f. S. auch die Zusammensetzungen Burggraf, Freygraf, Hansgraf, Hofgraf, Holzgraf, Pfalzgraf, Rügegraf, Zentgraf u.s.f. 2) In engerer und vorzüglicher Bedeutung führete in dem Deutschen Reiche diejenige obrigkeitliche Person den Nahmen eines Grafen, welche einem Gaue vorgesetzet war, und besonders das peinliche Recht in demselben zu sprechen hatte; ein kaiserlicher Landrichter, der in seinem Gaue oder in seiner Grafschaft den Königsbann im Nahmen des Kaisers oder Königes handhabete, und dessen Würde anfänglich nicht erblich war, sondern von der Willkühr des Königes[770] abhing. Als diese Grafen in dem eilften Jahrhunderte diejenigen Gaue, in welchen sie die Rechtspflege hatten, erblich und eigenthümlich überkamen, so ward aus diesem bisherigen Amtstitel ein erblicher Ehrentitel, und das Wort Graf bezeichnete nunmehr, 3) einen edlen Herren, welcher in der Würde unmittelbar auf den Herzog oder Fürsten folget, und so fern er seine Grafschaft von dem Kaiser und Reiche zu Lehen trägt, auch ein Reichsgraf genannt wird. Indessen gab es von Alters her auch Arten von Grafen, deren Würde der fürstlichen gleich gehalten wurde, und ihr noch jetzt gleich ist, S. Burggraf, Markgraf, Landgraf, Pfalzgraf; wohin auch die gefürsteten Grafen gehören, dergleichen die ehemahligen Grafen von Tyrol und Henneberg waren. Nunmehr wird aber auch der Ehrentitel eines Grafen so wohl von den Kaisern als auch von Königen oft Personen verliehen, welche keine Grafschaft besitzen, dergleichen von den Kaisern auch mit dem Titel und der Würde eines Reichsgrafen geschiehet.

Anm. Dieses Wort lautet im Fränkischen schon im 9ten Jahrhunderte Gravu, im Angels. Gerefa, im Nieders. Grefe, im Engl. Grave, und zuweilen auch Reve, im Dän. Gräve, im Schwed. Grefwe, im mittlern. Lat. Grafio. Es ist wohl nicht leicht ein Wort, dessen Abstammung man mühsamer nachgeforschet hätte, als dieses, und dessen ungeachtet ist doch das Beste, was davon gesaget worden, weiter nichts als Muthmaßung. Diejenigen, welche es von grau abstammen lassen, weil man zu Grafen nur alte erfahrne Männer genommen, werden unter andern auch dadurch widerleget, daß das G zu Anfange des Wortes nicht zum Stamme gehöret, sondern die Vorsylbe ge ist, wie aus dem Angelsächsischen Refa und Engl. Reve erhellet. Spelman leitet es von raffen her, und behauptet, daß die Grafen ursprünglich Einnehmer der königlichen Gefälle gewesen. Wachter glaubt, es habe ehedem Gefera gelautet, und das Latein. Comes ausgedruckt, woraus durch Versetzung der Buchstaben nachmahls Graf geworden. Frisch lässet es von dem alten recan, regieren, abstammen, und glaubt, daß das c nachmahls in den Blaselaut f übergegangen sey. Ihre endlich leitet es von dem alten reffan, refsan, strafen, züchtigen, ab, weil solches die vornehmste Obliegenheit eines Richters ist; anderer Ableitungen zu geschweigen. Wenn man bedenkt, daß dieses Wort überaus alt ist, und bey allen mitternächtigen Völkern angetroffen wird, daher es vermuthlich von ihnen mit aus ihren ersten Wohnsitzen gebracht worden, so wird man gerne die Hoffnung aufgeben, dessen Abstammung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erforschen. Auch die heidnischen Letten nannten ihren obersten Priester, der zugleich ihr oberster Richter war, Kriwe, und die zwölf obersten Richter, welche Odin in Skandinavien verordnete, hießen gleichfalls Grewe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 770-771.
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