Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf

[477] Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, geb. d. 26. Mai 1700 zu Dresden, verlor schon 6 Wochen nach seiner Geburt seinen Vater, der Chursächsischer [477] geheimer Rath und Kammerherr, und ein Mann von großen Verdiensten war. Von seiner mütterlichen Großmutter, der geh. Räthin Gersdorf in Großhennersdorf, bis ins 10te Jahr erzogen, kam er nach Halle ins Pädagogium, bezog dann die Universität Halle (wo er schon als Beförderer religiöser Gesellschaften mehrere dergleichen stiftete, unter andern auch den Senfkernorden etc.), und 1716 auch Wittenberg. Hier gab er sich schon mehr mit geistlichen Wissenschaften ab, und, wenn gleich für die Rechtsgelehrsamkeit bestimmt, widmete er sich doch mehr dem geistlichen Studium. Im Jahr 1719 ging er auf Reisen; und bei seiner Zurückkunft mußte er, auf beständiges Antreiben seiner Großmutter, eine weltliche Bedienung als Hof- und Justiz-Rath zu Dresden (1721) annehmen. Allein er war immerfort den geistlichen Uebungen, dem Predigen etc. ergeben. Endlich, der weltlichen Geschäfte überdrüßig, nahm er Urlaub, und ging auf sein Gut Berthelsdorf in der Oberlausitz, wo er sich nun vorsetzte, die alte Böhmische Kirchenordnung und evangelische Lehre zu erneuern. Er machte sich, nachdem er seine völlige Dimission am Dresdner Hofe genommen hatte, 1732 näher mit den Mährischen Brüdern bekannt, und trat zur Mährischen Brüdergemeinde, nachdem er vorher bei der Tübingischen Facultät erst darüber ein Responsum eingehohlt hatte. Jetzt hatte er nun mit nichts als mit seiner Herrnhutischen Anstalt zu thun; überall suchte er diese in der ganzen Welt auszubreiten. Ja, er ging, da ein Kaufmann aus Stralsund einen Informator verlangte, und der Graf keinen fand, selbst als solcher unter dem Namen von Freydeck dahin, predigte auch hier als Candidat, und ging dann 1734 nach Tübingen, wo er ebenfalls predigt, und sich gewöhnlich von seinem Heiducken in und aus der Kirche begleiten ließ. Allerdings machten alle diese und noch weit mehrere Sonderbarkeiten großes Aufsehen: vom Dresdner Hofe bekam er (1736) das Consilium abeundi aus allen Chursächsischen Landen. Er ging nun nach Berlin, um sich ordiniren zu lassen, unterwarf sich auch dem deßhalb erforderlichen Examen, und ließ sich endlich (1737) zum Bischof der Böhmisch-Mährischen Brüder ordiniren; als solcher reiste er nun allenthalben [478] herum, und suchte seine Gemeinde immer mehr zu verstärken. Auch die Gräfin, seine Gemahlin, nahm an diesen Bemühungen Antheil, und fing selbst (1737) in Frankfurt a. M. an, Versammlungen zu halten, denen aber vom dortigen Ministerium gesteuert wurde. Der Graf selbst reiste nun auch nach Amerika, auf welcher Reise er zugleich das neue Testament übersetzte. 1740 schrieb er sogar nach Gotha eine allgemeine Versammlung der Brüder und Schwestern aus; allein der Herzog störte sie aus einander. Eine zweite Reise unternahm der Graf nach Amerika, und zwar nach Pensylvanien, nahm auch seine Tochter mit, welche ihn zugleich in seinen Geschäften mit unterstützen mußte. 1743 ging er nach Rußland, wohin schon seine Gemahlin vorausgegangen war, und auf einem angekauften Gute ein Bethaus erbaut hatte, welches ihr aber verschlossen, und alle Zusammenkünfte verboten worden waren. Der Graf selbst wurde arretirt und über die Grenze zurückgebracht. Dennoch fuhr er ununterbrochen in seinen Bemühungen fort, ging auch nach der Schweiz, und von da nach Tübingen etc. und starb erst 1760 am 9. Mai zu Herrnhut. Die Lehrsätze dieses höchst sonderbaren Mannes haben viel Streitigkeiten erregt. Man findet in dem Art. Herrnhut (Th. II. S. 195.) das nähere dieser von ihm gestifteten Gemeinde, wohin wir unsere Leser verweisen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 477-479.
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