Graf Carlo Gozzi

[402] [402] Graf Carlo Gozzi, geb. zu Venedig1, machte als dramatischer Schriftsteller in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts ein eben so großes Aufsehen, als es vorher Goldont (s. dies. Art.) erregte Ohne es eigentlich zu wollen – denn sein hauptsächlichstes, eifrigstes Studium war das Alterthum – ward er nicht nur Theaterdichter, sondern auch zugleich dadurch, daß er eben aus Liebe zum Alterthum es nicht mehr mit ansehen konnte, daß die alte Kunstcomödie, zu deren Wesen hauptsächlich das Improvisiren der Schauspieler gehörte, durch Goldoni und den ganz mittelmäßigen Chiari gestürzt werden sollte, der entschiedenste Gegner dieser beiden. Eine Gesellschaft von Improvisatoren der italiänischen Kunstcomödie unter einem gewissen Sacchi, welche eben aus Portugal zurückgekommen war, und im Extemporiren sich ganz vorzüglich auszeichnete, gab Gozzi im Jahr 1761 zu Venedig die erste Veranlassung, durch ein dramatisirtes Ammenmährchen, die Liebe zu den drei Pomeranzen (lʼAmore delle tre Melarance), jener Bewunderung und jenem Beifalle, den man den beiden gedachten Dichtern bisher gezollt, und über welche er schon oft seinen Spott ausgegossen hatte, entgegen zu arbeiten. Sein Zweck wurde über alle seine Erwartung erreicht: man nahm, weil er darin Goldoniʼs und Chiariʼs Manier parodirte, ein außerordentliches Interesse daran, das durch die trefliche Darstellung der Sacchischen Gesellschaft noch mehr erhöht wurde. Es wurde mit so außerordentlichem Beifall aufgenommen, daß man es gar nicht oft genug wiederholen konnte, und da nunmehro Gozzi einmal auf diesem Punkte stand, so bearbeitete er jetzt, hauptsächlich zum Besten der Sacchischen Gesellschaft, mehrere Mährchen zu tragikomischen Schauspielen, jedoch alle in jener Art, nemlich indem er blos nur den Entwurf zu den Scenen [403] machte, und (mit Ausnahme mehrerer, die er etwa förmlich bearbeitete) die Ausführung den extemporisirenden Schauspielern selbst überließ; und so waren nach einigen Jahren Goldoniʼs und Chiariʼs Stücke gänzlich in Venedig verdrängt. Diese dramatisirten Mährchen nun von Carlo Gozzi – die drei Pomeranzen, der Rabe, das grüne Vögelchen etc. die auch noch durch die geheimen Allegorien auf Goldoni, Chiari, Voltaire, Helvetius, Rousseau etc. interessant sind, und welche er meistentheils Tragicomödien genannt hat, weil sehr ernsthafte Scenen und Situationen mit komischen abwechseln – haben unstreitig sehr, und ohne daß es ihr Verfasser ahndete, zur Emporbringung der dramatischen Poesie beigetragen, obgleich es wohl unstreitig zu weit in seinen Lobeserhebungen gegangen ist, wenn man ihn mit Shakespear – eine Ehre, auf die gewiß Gozzi selbst am wenigsten Anspruch gemacht hat – vergleichen will, und nach dem Urtheil eines unserer wichtigsten Aesthetiker (Bouterwek) sind Gozziʼs Charakterzeichnungen natürlich und bestimmt, auch nie ohne Interesse; allein der psychologische Tiefblick Shakespearʼs mangelt ihm dennoch. Auch war es seine Absicht nur, die Zuschauer immer in unaufhörlicher Bewegung vom Lachen zum Weinen, und vom Weinen zum Lachen zu erhalten. Außer Gozziʼs theatralischen Schriften ist wohl sein scherzhaftes Heldengedicht Marfisa bizarra in 12 Gesängen (eine scharfe Satyre gegen das verderbte 18. Jahrhundert), so wie mehrere satyrische Gedichte noch der Aufmerksamkeit werth. Uebrigens aber verdienen noch besonders seine außerordentliche Verehrung der Alten (in deren Schriften, seiner Behauptung nach, alle Kenntnisse lägen, womit die Neueren so sehr sich brüsteten), seine Liebe und Anhänglichkeit an Tugend und Religion (welche er sogar bis zur Intoleranz trieb), sein hoher Eifer wider die Laster und Irreligion seines Jahrhunderts ausgezeichnet zu werden, obgleich er auf der andern Seite von Vorurtheilen außerordentlich eingenommen war.


Fußnoten

1 Es ist merkwürdig, daß man über die Lebensumstände, ja über das Geburts- und Sterbe- (?) Jahr dieses so berühmten ital. Dichters nirgends etwas befriedigendes finden kann. Wenigstens hat es dem Verfasser, trotz seiner angestrengten Bemühungen, nicht glücken wollen, nur einige Nachrichten darüber zu erhalten.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 402-404.
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