Gabriel Honore' Riquetti Graf von Mirabeau

[140] Gabriel Honoreʼ Riquetti Graf von Mirabeau kann mit Recht unter die Anzahl der Männer gerechnet werden, von welchen es zweifelhaft ist, ob sie mehr Gutes oder Böses in der Welt gestiftet haben, und ob sie wegen ihrer Talente mehr Bewundrung oder wegen ihres verderbten Herzens mehr Abscheu verdienen. Die Jugendgeschichte Mirabeauʼs enthält ein solches Gewebe von Ausschweifungen, Betrügereien und Lastern, daß man sich schwerlich überzeugen kann, wie der Held derselben seine Laufbahn so ungestört hat beschließen und sich sogar den Ruhm eines großen, wohlthätigen Mannes, eines Befreiers seines Volks, erwerben können. Mirabeau wurde zu Egreville in der ehemahligen [140] Provence, im Jahre 1749 geboren, und betrat sehr frühzeitig die militairische Laufbahn, um sich der strengen Zucht seines Vaters zu entziehen. Er blieb jedoch nicht lange Soldat, sondern setzte sich durch eine reiche Heirath (wobei er ein junges und schönes Mädchen beredete, ihren Geliebten, dem sie längst versprochen war, zu verlassen) in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens, von welchem er in Gemächlichkeit leben und seine leidenschaftlichen Bedürfnisse hinlänglich zu befriedigen hoffen konnte. Sein unmäßiger Aufwand erschöpfte jedoch bald die ansehnliche Mitgabe seiner Frau und sein eignes Vermögen, und brachte ihn dem Abgrund des Verderbens so nahe, daß sein Vater für nöthig hielt, ihn auf einige Zeit in ein Gefängniß sperren zu lassen. Aber er war weit entfernt, durch die traurige Einsamkeit des Kerkers zur Besonnenheit und zum Nachdenken zurückzukommen, und benutzte die Augenblicke der Freiheit, welche man ihm gelassen hatte, um zu Pontarlier (welche Stadt nicht weit von dem Orte seines Gefängnisses gelegen war) eine gewisse Madame de Monnier zu entführen und mit ihr aus Frankreich zu entfliehen, nachdem er sie so eingenommen hatte, daß sie sich nicht scheute, ihrem alten betrogenen Ehemanne beträchtliche Summen zum Reisegelde zu entwenden. Mirabeau reiste nun mit seiner Gebiebten außer Frankreich umher, verschwendete leichtsinnig alle mitgenommenen Summen, wurde als Flüchtling endlich im Haag entdeckt, nach Frankreich zurückgebracht und im Jahre 1777 in den Kerker zu Vincennes geworfen. Aber er hinterging seinen Vater mit täuschenden Versprechungen, und dieser bewirkte daher in dem darauf folgenden Jahre seine Befreiung. Gebessert war Mirabeau durch diese Folge von Thorheiten und Elend keineswegs; seine heftigen Leidenschaften ließen ihn nicht ruhen, und um das zur Befriedigung derselben nöthige Geld aufzutreiben, dünkte ihm kein Mittel zu schlecht und jede Betrügerei erlaubt. Sobald er den Kerker verlassen hatte, ging er nach Paris, lebte da auf Kosten einiger leichtsinnigen Weiber, und schiffte, nachdem auch bei diesen die Gelder erschöpft waren, nach England über. Hier schrieb er mehrere Bücher, und lebte von dem Ertrage derselben, machte dabei neue Betrügereien, und kehrte endlich nach Paris zurück, um sich dem übeln Ausgange [141] eines Prozesses zu entziehen, der gegen ihn bei der Justiz anhängig war. Man hätte nun kaum erwarten sollen, daß ein solcher Mann, dessen bisheriger Lebenswandel keine vortheilhafte Empfehlung für ihn abgeben konnte, es wurde gewagt haben, der Französischen Regierung seine Dienste anzubieten: allein seiner Dreistigkeit war kein Schritt zu gewagt; und nachdem er den meisten seiner Leidenschaften die besten Jahre der Jugend geopfert hatte, so war er im Ernst darauf bedacht, auch für den Ehrgeitz und die Ruhmbegierde etwas zu thun. In dieser Absicht nahm er sehr gern einen geheimen Auftrag von der Regierung an den Preußischen Hof an, und zweifelte keinen Augenblick, daß man ihm in der Folge weit höhere und wichtigere Aemter antragen würde. Da diese Sendung in das Jahr 1786 fiel, und also dem Ausbruch der Revolution nur wenige Jahre vorherging, so konnte Mirabeau nicht unwahrscheinlich vorher berechnen, daß sich bald eine Gelegenheit zeigen werde, wo er als ein unternehmender und muthiger Mann sich dieser oder jener Partei würde wichtig machen können. Die Reise an den Preußischen Hof veranlaßte sein weirläuftiges Werk über die Preußische Monarchie: allein nicht er, sondern der bekannte Mauvillon hatte den meisten Antheil daran; und Mirabeau nannte sich als Verfasser, weil er gewohnt war, die Schriften anderer Männer, wozu er entweder die erste Idee gegeben oder sonst Antheil daran genommen hatte, für die seinigen auszugeben. Die Zusammenberufung der National-Versammlung beschäftigte nach seiner Zurückkunft nach Frankreich seine ganze Aufmerksamkeit. Er hätte gern eine Stelle unter der Adlichen der Provence erhalten: da aber diese Classe nichts von ihm wissen wollte, und ihn wegen seiner schlechten Sitten verachtete; so warf er sich auf einmahl zum Beschützer des dritten Standes auf, und schwur nun ewigen Haß den Privilegien und privilegirten Ständen. Noch im Mai 1789 bot er dem Hofe seine Dienste an, und verlangte deßwegen eine Zusammenkunft mit Necker. Der bekannte Malouet wurde der Vermittler, aber die Unterredung hatte nicht die gewünschte Wirkung: der eitle Necker betrug sich äußerst kalt und zurückhaltend; und von nun an äußerte Mirabeau den heftigsten Abscheu gegen den Hof. Er [142] war der erste, der sich den königlichen Befehlen widersetzte und dadurch, daß er am 23. Juni 1789 den Ceremonienmeister, welchen der König abgeschickt hatte, um die Sitzung der Versammlung aufzuheben, trotzig zurückschickte, ohne sich durch die königlichen Drohungen schrecken zu lassen, gleichsam die Sturmglocke zur Revolution zog. Aus dieser Ursache und weil er an dem Aufruhre des Pöbels zu Versailles am 5. und 6. Oct. 1789 thätigen Antheil nahm, glaubte man, er sei ein Mitverschworner des Herzogs von Orleans; aber wahrscheinlich gehörte er damahls zu gar keiner Partei, und begünstigte die Bewegungen des Pöbels nur deßwegen, um das Gemeinwesen erst absichtlich zu verwirren und sich, bei seinem anerkannten Einflusse auf das Volk, dem Hofe recht wichtig zu machen. Allein er erreichte die letzte Absicht nicht frühzeitig genug, ließ daher dem Volke, das ihn bis zu dem Jahre 1791 mit der größten Anhänglichkeit verehrte, immer mehr den Zügel, und verlor darüber endlich seinen eignen Einfluß. Die meisten und wichtigsten Beschlüsse, welche die constituirende National-Versammlung faßte, gingen auf Mirabeauʼs Antrag durch. Seine Beredsamkeit glich einem reißenden Strome, der die Herzen der Zuhörer unwillkührlich mit sich fortzog und desto unwiderstehlicher war, je lebhafter man fühlte, daß Mirabeau nicht bloß Talente hatte, schöne Reden zu halten, sondern auch hinlänglichen Muth und Thätigkeit besaß, wenn es aufs Handeln ankam. Wie viel würde dieser Man für die Monarchie gethan haben, wenn er in Zeiten dafür gewonnen worden wäre! Aber sein abschreckendes Aeußere empfahl ihn den Hofleuten eben so wenig als seine ehemahlige Lebensart; man glaubte ihn entbehren zu können, hoffte ihn sogar mit einem Schattenbilde von ehemahliger Macht zu bekämpfen, und bedachte nicht, daß jede Zögerung dem königlichen Ansehen eine neue Wunde schlug. Endlich aber kam doch ein geheimes Verständniß zwischen ihm und dem Hofe zu Stande, vermöge welches er große Summen erhalten haben soll, um das Interesse des Hofes in der National-Versammlung zu befordern. Man hat zwar bis jetzt noch nicht völlige Gewißheit darüber; indessen kann nicht geläugnet werden, daß Mirabeau in den letzten Zeiten seiner politischen Laufbahn die voreiligen Schritte der Demokraten [143] laut mißbilligte und sich zum Vertheidiger der Monarchie aufwarf. Da ohne Bestechungen nichts ausgerichtet werden konnte, und Mirabeauʼs eignes Vermögen nicht hinreichte, diese erschöpfenden Ausgaben zu bestreiten; so könnte man es ihm nicht zum Verbrechen anrechnen, wenn er sich zu diesem Behufe von dem Hofe hätte unterstützen lassen. Aber mitten unter diesen Bemühungen, die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, und die wankende Monarchie, die sich von der jacobinischen Anarchie schon damahls mächtig bedroht sah, zu unterstützen und zu befestigen, wurde Mirabeau gegen das Ende des Monaths März 1791 von einem Entzündungsfieber überfallen, welches ihm im kurzen das Leben raubte. Die Ursachen dazu waren wohl mehr Folge seiner unmäßigen Lebensart, als Wirkung empfangenen Gifts, welches ihm auf Anstiften der beiden Lameths, seiner unversöhnlichsten Feinde, beigebracht worden sein soll. Die Nachricht von seiner Krankheit verbreitete durch ganz Paris Schrecken und Bestürzung: alle Parteien nahmen Antheil an dem Schicksale dieses merkwürdigen Mannes; und selbst die Jacobiner, mit welchen er in keinen guten Vernehmen stand, ließen sich nach seiner Gesundheit erkundigen. Am 4. April wurde er mit glänzenden Feierlichkeiten begraben. Eine geraume Zeit nach seinem Tode war er immer noch der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung: je mehr sich aber in der Folge die Häuptet der Regierung dem Republicanismus näherten, desto mehr sank auch Mirabeauʼs Ruhm; und man darf sich daher nicht wundern, daß während der Zeit der Convents-Herrschaft sein Andenken auf alle mögliche Weise beschimpft, und ihm eine Stelle unter den eifrigsten Royalisten angewiesen wurde. Aber selbst seine Feinde konnten ihm große Geistesanlagen, Beharrlichkeit in Bekämpfung von Hindernissen und Gefahren und sichere Verfolgung eines einmahl angelegten Plans nicht absprechen. In Vergleichung mit den spätern Französischen Demagogen erscheint Mirabeau beinahe unbefleckt und sogar liebenswürdig. Keiner erreichte ihn im Guten, und alle übertrafen ihn weit im Bösen; nur der einzige Danton scheint gewisse Züge des Charakters mit ihm gemein gehabt zu haben. Sein Bruder, der unter dem Namen des jüngern Mirabeau bekannte Anführer eines Corps [144] Emigranten im Jahre 1792, war ihm ganz unähnlich und ein höchst abenteuerlicher, verdienstloser Mensch, dessen Gestalt Lachen erregte, und der keinen andern Zweck hatte, als durch Unruhen, die er in mehrern Regimentern anstiftete, die Contre-Revolution herbeiführen zu helfen. Da dieses nicht glückte, und er in der National-Versammlung allgemein verachtet wurde; so wanderte er aus und stellte sich an die Spitze der Emigranten, mit denen er überall zurückgeschlagen wurde. Er starb noch vor Ausgange des Jahres 1792, und sein Corps schlug sich zu dem Condeischen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 140-145.
Lizenz:
Faksimiles:
140 | 141 | 142 | 143 | 144 | 145
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Adelung-1793: Graf, der

Brockhaus-1809: Moritz, Graf von Sachsen · Moritz August, Graf von Benjowsky · Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf · Philipp Dormer Stanhope Graf von Chesterfield · Peter Alex. Wasiliowitsch Graf von Suwarow-Rimnitzkoi · Graf von Essek · Graf von Buffon · Horace Walpole Graf von Orford · Johann Tzerclas, Graf von Tilly · Johann Friedrich, Graf von Struensee · Robert Walpole Graf von Orford · Graf Heinrich von Brühl · Graf Carlo Gozzi · Graf von Rumford · Johann Baptiste Carl Graf d'Estaing · Jean François Galoup Graf de la Perouse oder Peyrouse · Andreas Peter Graf von Bernstorf · Wiprecht, Graf von Groizsch · Carl, Graf von Clerfayt · Der Graf Stanislas von Clermont-Tonnerre · Claudius Alexander Graf von Bonneval · Dagobert Siegmund Graf von Wurmser · Carl Gravier Graf von Vergennes · Der Graf Gorani · Der Graf Saint Germain · Der Graf Joseph von Puisaye · Albrecht Graf von Wallenstein · Adam Philipp Graf von Cüstine · Anton Asthley Cooper, Graf von Shaftesbury · Carl Eduard, Graf von Albani · Axel, Graf von Oxenstierna · Der Graf von Lally-Tolendal · Franz Joseph, Graf von Thun · Ewald Graf von Brand · Gottfried Heinrich Graf von Pappenheim · Graf von Artois · Graf Cagliostro · Der Graf von Sombreuil · Der Graf von Maurepas · Emerich Graf von Tököly (Teckeli) · Ewald Friedrich Graf von Herzberg · Ernst Graf von Gleichen

Brockhaus-1837: Mirabeau

Brockhaus-1911: Mirabeau · Graf [2] · Graf · Gräf

DamenConvLex-1834: Cagliostro, Graf · Buffon, Georg Louis Graf von

Eisler-1912: Fabri, Honoré

Herder-1854: Mirabeau

Meyers-1905: Mirabeau · Salvo honōre · Saint-Honoré

Pierer-1857: Riquetti de Mirabeau · Mirabeau [1] · Mirabeau [2] · Honore · Honöre

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon