Peter Alex. Wasiliowitsch Graf von Suwarow-Rimnitzkoi

[460] Peter Alex. Wasiliowitsch Graf von Suwarow-Rimnitzkoi, Russisch kaiserl., auch kaiserl. königl. Feldmarschall, und Generalissimus der Russischen Heere, einer von den berühmtesten Russischen Feldherren des vorigen Jahrhunderts, war 1730 in einem kleinen Dorfe in der Ukraine, Suskoy geboren, und wurde schon im eilften Jahre von seinem Vater, auch einem Officier, zur Cadettenschule nach Petersburg geschickt. Hier schon oft das Muster seiner Cameraden, trat er im siedzehnten Jahre in die Dienste seines Vaterlandes, [460] kam in dem Kriege mit Schweden 1742 nach Finnland, und erwarb sich schon da Ehre und den Posten eines Lieutenants. Noch mehr zeigte er seinen Muth und seine Tapferkeit in der bekannten Schlacht bei Zorndorf, wo er, trotz der empfangenen Wunden, dennoch nicht von seiner Mannschaft wich, und diese zuletzt, obgleich sehr ruinirt, aus dem Treffen führte. An der Schlacht bei Cunnersdorf und dem Sturme auf Schweidnitz nahm er ebenfalls sehr thätigen Theil, und wurde nach der Eroberung von Colberg als Platzmajor in Königsberg angestellt. In der Folge commandirte er, in dem wegen der Thronbesteigung Stanislaus mit Pohlen 1764 ausgebrochenen Kriege, 1768 den Sturm auf Krakau, welches eingenommen wurde; übernahm das Commando gegen die Jaikzischen Rebellen, und besetzte nachher in dem Kriege mit der Pforte die Krimm, wo er denn auch 1772 von der Kaiserin Catharina zum Commandirenden en Chef auf dieser Halbinsel ernannt wurde. Im Treffen bei Kindurn 1787 ließ er als Oberbefehlshaber die Infanterie ihre Patrontaschen ablegen und mit gefälltem Bajonet auf den verschanzten Feind losgehen: die Angriffe wurden zurückgeschlagen, Suwarow selbst in den Leib geschossen, und dennoch setzte er sich wieder zu Pferde, jagte seinen fliehenden Kosaken nach, warf sich mitten unter sie vom Pferde herab, und schrie: »Lauft nur, lauft, und gebt euern General den Türken Preis!« – die Kosaken kamen wieder zu sich, machten Halt, und ließen sich nun von ihrem General gegen die Türken anführen, die auch alle niedergemacht wurden. Bei der Belagerung von Oczakow, zu welcher ihn der Fürst Potemkin commandirte, ließ er sich von seinem Muth zu weit verleiten; und beinahe wäre er mit seinen 600 Mann verloren gewesen, hätte ihm nicht Repnin noch zu rechter Zeit Hülfe geleistet. In Verbindung mit dem Prinzen Coburg schlug er 1789 (1. Aug.) den Seraskier Mehemed Pascha; aber noch rühmlicher war der ebenfalls in jener Verbindung errungene Sieg über das 100,000 Mann starke Heer des Großvezier Hassan Pascha am Flusse Rymnik. Kaiser Joseph II. machte ihn jetzt mit Genehmigung der Monarchin Catharina, zum Reichsgrafen, und diese erhob ihn, unter Begleitung sehr ansehnlicher Geschenke, [461] in den Russischen Grafenstand, mit dem eben von jener Schlacht hergenommenen Beinamen Rymnitzkoi, machte ihn auch zum Ritter des militairischen St. Georgen-Ordens, 1. Classe. Das schauderhafteste Ereigniß, das in seiner Biographie eine Stelle einnimmt, ist wohl unstreitig die Eroberung von Ismael, einem Orte nicht weit vom Ausflusse der Donau in Bessarabien. Suwarow ward den 11. Decbr. 1789 vom Fürsten Potemkin dahin berufen, und den 22. nahm er den Ort mit Sturm unter dem schrecklichsten Blutvergießen ein: der hartnäckigste Widerstand der Türken reitzte ihn zu dem Befehle, keinen Pardon zu geben, und nur erst als die Besatzung, die sich auf die steinerne Bastion, als den letzten Zufluchtsort, gerettet hatte, um Schonung ihres Lebens hat, hielt das Blutvergießen an: 11,000 Mann wurden zu Gefangenen gemacht, 24,000 hatte das Schwerdt der Sieger getödtet. Schrecklich und für das letzte Jahrhundert beispiellos war das Blutbad gewesen, da von beiden Seiten mit der schrecklichsten Wuth sieben Stunden lang war gekämpft und gemordet worden. Acht Tage Zeit waren nöthig, um die 29,000 von beiden Seiten Gefallenen zu begraben! – Als der Krieg mit den Türken geendigt war, ernannte die Kaiserin den Suwarow wegen seiner 50 jährigen Dienste, die er dem Vaterlande durch ausgezeichnete Kriegstalente erwiesen hatte, zum Chef der Gouvernements Katharinoslaw, der Krimm etc. Bei den Unruhen, welche 1794 aufs neue in Pohlen unter Kosciuskoʼs Leitung ausbrachen, wo die Russen (am grünen Donnerstage) in Warschau gemordet wurden, rief die Kaiserin Suwarow dorthin, und dieser machte dem blutigen Kriege bald ein Ende; aber auch hier mußte wieder ein sehr blutiger Sturm Suwarowʼs Lorbeeren erhöhen. Den 4. Novbr. erfolgte die schreckliche Einnahme von Praga (bei Warschau), das nach einem vierstündigen Kampfe endlich mit Sturm genommen wurde: 13,000 Pohlen fielen hier, wie man sagt, durch das Racheschwerdt der Russen, und bei dem schrecklichen Drängen der Flüchtlinge über die Schiffbrücke nach Warschau stürzten allein auf 2000 in das Wasser. Den 9. Novbr. hielt Suwarow seinen feierlichen Einzug in Warschau, und ward darauf zum Generalfeldmarschall ernannt, wobei er zugleich einen goldnen Commandostab [462] nebst einem Eichenkranz, woran bloß die Diamanten auf 60,000 Rubel geschätzt wurden, zum Geschenk erhielt. Auch von dem Deutschen Kaiser wurde er 1799 zum kaiserl. königl. Feldmarschall und zum Oberbefehlshaber der Oestreichischen und Russischen Armee in Italien ernannt, wo er denn auch mehrere glänzende Siege – bei Piacenza, bei Novi (in einer der mörderischsten Schlachten) u. m. erfocht. Sein Zug, den er dann über den St. Gotthardsberg durch die Schweiz, trotz aller Hindernisse der Natur, die ihm über die schrecklichen Gebirge und durch die engen Pässe entgegen standen, und trotz des zahlreichen Feindes, machte, wird ebenfalls, und gewiß mit Recht, zu seinen glänzenden Thaten gerechnet, obgleich er nachher mit seiner Armee sich zum Rückzuge bequemen mußte. Sein Tod erfolgte, nachdem er kaum zurückgekehrt war, den 18. Mai 1800 zu Petersburg (oder nahe dabei auf einem Gute), und sein Begrädniß ward sehr feierlich, unter Begleitung von 15,000 Mann Truppen, begangen. Wie hoch ihn Paul I., trotz dem, daß Suwarow eine Zeit lang bei ihm in Ungnade gefallen war, schätzte, läßt sich daraus schließen, daß er ihm auf dem Marsfelde zu Petersburg 1801 eine kolossale Statüe errichten ließ. – Artig, höflich und zuvorkommend, zeigte dieser Held auch noch im grauen Alter außerordentliche Thätigkeit1, und jede Anstrengung theilte er mit seinen Truppen redlich, ohne sich die mindeste Bequemlichkeit zu erlauben. Kaltblütig und unerschrocken wußte er immer die zweckmäßigsten Maaßregein zu nehmen. Auf Mannszucht hielt er sehr scharf, »Wenn Sie – schrieb er an einen Russischen General – den Unordnungen nicht Einhalt thun, so werde ich Sie arquebusiren lassen.« Seine ganze Taktik – erklärte er mehrere Mahle – bestehe nur in zwei Worten: Vorwärts und schlage (Stupai i be); dessen ungeachtet hatte er taktische Kenntnisse, nur das Kleinliche [463] darin konnte er nicht leiden. Bei Pauls Umformung der Soldaten, welche Zöpfe, Locken etc. erhielten, sagte er: »Locken sind keine Kanonen, Zöpfe keine Piken.« Diese und ähnliche Aeußerungen zogen ihm des Kaisers Ungnade zu, und er mußte eine Zeit lang auf einem seiner Güter im Exil leben. Paul gab endlich den Bitten seiner Familie, und des Oestreichischen Hofes, und den Wünschen der Truppen nach, und rufte ihn zurück: Suwarow ging ohne Murren gegen den Kaiser, der ihn empfindlich gekränkt hatte, wieder zur Armee. Bekannt ist es übrigens, daß seine Adjutanten den Auftrag hatten, ihm, wenn er sich bisweilen vergaß, etwas im Namen des Feldmarschalls Suwarow zu befehlen. Als er einst einen Soldaten wegen eines Dienstfehlers prügelte, kam ein Adjutant zu ihm, und sagte: Der Feldmarschall hat befohlen, man soll sich von seinem Zorne nicht beherrschen lassen. – »Wenn er es befohlen hat, so muß man gehorchen,« sagte er, und ließ ab vom Prügeln. – Uebrigens war er, wenigstens in Beobachtung des äußern Gottesdienstes, sehr religiös; aber auch ziemlich eitel: man wollte dieß zum mindesten aus den vielen Orden, mit denen er sich immer zu behängen pflegte, abnehmen. Gegen den Vorwurf der Grausamkeit suchen ihn seine Lobredner, namentlich Seume, aufs möglichste zu rechtfertigen, obgleich vielleicht alle Schuld in dieser Hinsicht nicht ganz von ihm zu wälzen sein möchte. Ausgemacht ist es aber, daß er ein guter Chef, menschlich gegen seine Leute und ein edler Mann war.


Fußnoten

1 Von seiner großen Lebhaftigkeit und Munterkeit gab er noch wenig Monathe vor seinem Tode, als er durch Krakau ging, Beweise. Hier tanzte er bei dem ihm zu Ehren gegebenen Balle noch Masurisch, und schlug, trotz dem jüngsten Tänzer, immer dabei mit den Füßen in der Luft zusammen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 460-464.
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