Johann Christian Freiherr von Wolf

[428] Johann Christian Freiherr von Wolf, 1679 zu Breslau geboren, erhielt durch die Vorsorge seines Vaters, der, obschon ein bloßer Brauer, doch ein sehr gebildeter Mann war, eine sehr gute Erziehung und Ausbildung. 1699 ging er auf die Universität Jena, von da 1703 nach Leipzig, wo er sich bald durch die Dissertation über die Lehrart der Philosophie bekannt, und durch mehrere andere Schriften so berühmt machte, daß er 1707 zu gleicher Zeit einen Ruf nach Gießen und Halle erhielt, von denen er den letztern annahm. So wie er hier seinen Ruhm vermehrte, und durch neue Untersuchungen die Philosophie systematisch zu begründen suchte, setzte er sich auch dem Neide und den Verfolgungen der Theologen aus, die es so weit brachten, daß ihm Friedrich Wilhelm II. 1723 am 15ten November befahl, die Universität binnen 24 Stunden zu verlassen. Er begab sich nach Hessen, und wurde in Marburg angestellt. Sowohl diese Verfolgungen, als seine fortgesetzten [428] Bemühungen um die Philosophie und Mathematik vermehrten seinen Ruhm so, daß er Mitglied mehrerer Akademien und Societäten ward, und mehrere ehrenvolle Anträge zu wichtigen Aemtern erhielt, die er aber nicht annahm, so wie er auch den wiederhohlten Versuchen des Königs von Preußen, ihn der Universität Halle wiederzugeben, nicht folgte, sondern erst nach dessen Todte, auf den Ruf Friedrichs des Einzigen, mit dem er schon lange in einem gelehrten und philosophischen Briefwechsel stand, nach Halle als Professor des Natur- und Völkerrechts zurückging. In der Folge ward er Kanzler der Universität, und von dem Churfürsten von Bayern während des Vicariats zum Reichs-Freiherrn erhoben. Er starb den 9ten April 1754 im 76. Jahre. Wolf hat auf die philosophische Bildung der Deutschen nachdrücklich gewirkt, ohne eben um die Philosophie, als solche, bleibende Verdienste zu haben. Der Untersuchungs-Geist der Deutschen war vorher durch Leibnitz geweckt, aber nicht zu einer streng systematischen Consequenz und Einheit gebracht worden; Wolf suchte nur die einzelnen Bruchstücke und Ideen Leibnitzens zu einem consequenteni Lehrgebäude der Philosophie zu erheben und auszubilden, ohne einerseits die Tiefe der Leibnitzischen Speculation fassen, noch andernseits das Fehlende mit gleicher Consequenz und Tiefe zu einem vollendeten Systeme ergänzen oder aufstellen zu können. Er hat daher mehr Verdienste um das Philosophiren der Deutschen, als um die Philosophie, und ist gewisser Maßen eine Mittelstufe in der philosophischen Bildung geworden, von da aus sie durch den Kriticismus Kants sich zur wahren Wissenschaftlichkeit erheben konnte. Er hat, wie gewöhnlich, eine Schar von Anhängern und Gegnern um und gegen sich versammlet, unter welchen letztern Crusius der bedeutendste und gründlichste Gegner ist. Unter den Händen seiner Anhänger, der Wolfianer, artete seine Philosophie gar bald zu einem rohen und blinden Dogmatismus aus, der sich aber nicht lange erhielt, sondern, durch Kant verdrängt, sogleich verscholl. Das Eigenthümlichste von Wolf war die mathematische Methode, die [429] er in der Philosophie einzuführen suchte, so wie seine Verdienste um die Mathematik noch jetzt gar sehr anerkannt werden. Er hatte über dieß den Ruhm eines moralischen und edlen Charakters.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 428-430.
Lizenz:
Faksimiles:
428 | 429 | 430
Kategorien: