Canstein, Karl Hildebrand Freiherr von

[134] Canstein, Karl, Hildebrand, Freiherr von. Die früheste Ausgabe der Lutherschen Bibelübersetzung, welche in der Buchhandlung des Waisenhauses in Halle erschienen ist, stammt aus dem Jahre 1702. »Biblia, das ist, die gantze H. Schrift A. u. N. T.[134] nach der teutschen Uebersetzung Dr. Martin Luthers, mit jedes Kapitels kurzen summarien, concordanzien und Joh. Arnd's Informatorio biblico, benebens A. H. Franckens Unterricht, wie mann die H. Schrift zu seiner Erbauung lesen soll« in Duodezformat – ihr folgte 1708 eine Großoktavausgabe der Lutherbibel. Mit dem Jahre 1705 wurde mit der Herausgabe der Biblia hebraica begonnen, unter der Direktion des Theologen J. H. Michaelis in Gemeinschaft mit dem Collegium orientale theologicum, einer von Francke ins Leben gerufenen Gelehrtenverbindung, die als Ziel das Studium der heiligen Schrift in den Grundsprachen sich vorgesteckt hatte.

Dem rastlosen Eifer Franckes genügte jedoch dies alles viel zu wenig; seine Idee, die Lutherbibel, mit revidiertem Text, als Massenbibel zu billigem Preise ins Volk zu bringen, veranlaßte ihn, von seinem damaligen Geschäftsführer der Waisenhausbuchhandlung, Julius Elers ein Gutachten darüber einzufordern, wie sich die Buchhandlung zur Verwirklichung dieser Idee zu stellen vermöge. Elers glaubte, daß von neuem Schriftmaterial, dessen Anschaffung er auf 3-4000 Thaler veranschlagte, gedruckt werden müsse und vom stehen bleibenden Satz 600000 Bibeln abgezogen werden könnten, bis das Material gänzlich abgenutzt sei.

Zur Verwirklichung des Planes fehlte Geld, da kam Francke sein treuer Freund, K. H. Freiherr von Canstein, zu Hilfe.

Canstein wurde am 4. August 1667 auf seinem väterlichen Gute Lindenberg geboren, bezog 1683 die Universität Frankfurt, um dort 3 Jahre Jura zu studieren, machte dann in Gesellschaft seines Bruders eine 2jährige Reise durch Holland, England, Frankreich, Italien und Süddeutschland. Vom ersten preußischen König zum Kammerjunker ernannt, ging er nach 2 Jahren als Volontär mit den Brandenburgischen Truppen nach Flandern zum damaligen Kriegsschauplatz. Hier wurde er von der roten Ruhr befallen und that nach Aussage seines Kammerdieners das Gelübde: »Wenn ihn Gott von derselben errette, so wolle er ihm sein lebenlang dienen«. Die Bethätigung dieses Gelübdes wäre dann später in der Unterstützung der Franckeschen Liebeswerke zu suchen. Canstein starb am 19. Aug. 1719 in Berlin.

Die Geschichte der Bibelanstalt verzeichnet Folgendes: Canstein begann mit der Anregung, einen Fond zur Fundamentierung des Unternehmens – vorerst sollte nur das Neue Testament gedruckt werden – zu sammeln und brachte auch wirklich zuzüglich seiner eigenen Beisteuer 11285 Thaler 4 Groschen zusammen. Schon nach[135] Eingang der ersten Spenden, Mitte 1710, schickte man sich an, die Herstellung des Neuen Testamentes in Angriff zu nehmen. Canstein stieß aber auf Schwierigkeiten, da die Druckerei des Waisenhauses nicht mit dem nötigen Material versehen war. Doch wollte er jetzt nicht mehr stehen bleiben. Im Einverständnis mit Francke wurde die Buchdruckerei von Stephan Orban in Halle mit dem Druck beauftragt, während die Buchhandlung des Waisenhauses dazu bestimmt war, den ganzen Vertrieb in die Wege zu leiten. Mit einer Vorrede Cansteins versehen, erschien sodann 1712 das Neue Testament in einer Auflage von 5000 Exemplaren; im nämlichen Jahre folgte die 2., 1713 die 3. Auflage. In 11/2 Jahren wurden 38000 Exemplare abgesetzt. 1715 folgte dem neuen Testament eine Handbibel und in den 7 Jahren, in welchen die nun befestigte Bibelanstalt unter Cansteins Leitung stand, wurden abgesetzt 100000 Testamente, 40000 Großoktavbibeln und die gleiche Anzahl von Duodezbibeln.

Als Canstein 1719 starb, ging das Bibelwerk an Francke über, dem Institute fielen aus Cansteins Hinterlassenschaft 3000 Thaler zu.

Nachdem 1728 das Institut in eigenem Hause untergebracht war, wurde 1734-35 das erweiterte Druckhaus angebaut. 1736 konnte die erste Foliobibel, 1741 die erste Quartbibel verausgabt werden.

Seit 1775 wird die Bibelanstalt zum dauernden Andenken an Canstein unter der Firma »Cansteinsche Bibelanstalt« fortgeführt.

Ein interessanter Vorgang, wie ihn Schürmann in seinem Buche »Zur Geschichte der Buchhandlung des Waisenhauses« (1898) erzählt, möge auch hier einen Platz finden. Friedrich Wilhelm I., welcher dem Waisenhaus das Privilegium zur zweiten Buchdruckerei und der Bibeldruckerei verlieh, trat ihr auch mit einem größeren Auftrage näher und zwar in der Eigenschaft als Editor. 1733 erhielt Professor Gotthilf Francke folgendes Handschreiben des Königs:

»Würdiger lieber Getreuer. Ich habe resolviret, eine Anzahl von denen im Waisenhause zu Halle gedruckten Testamenten von der Cansteinischen Edition, kommen zu laßen. Da ich aber solche zum Gebrauch meiner Armée haben will, so sollen selbige folgender Gestalt eingerichtet seyn; Erstens soll das hiebey liegende Titul Blat voran gedruckt werden, nachher soll keine Vorrede, noch sonsten dergleichen etwas, dabey seyn, sondern sogleich die Bücher des Neuen Testaments in gehöriger Ordnung folgen. Auf solche soll die Anweisung der Sontags Evangelien und Episteln, desgleichen die Psalmen ganz weg bleiben, dagegen aber 100 geistliche Lieder, die ich Euch nechstens schicken will, nebst[136] einem Register von solchen dabey gedruckt werden, nach welchen endlich einige Morgen und Abend Gebete vor einen christlichen Soldaten folgen sollen, die ich Euch gleichfalls zuschicken werde. Zu denen Liedern sowohl, als zu denen Gebeten, muß aber solches Pappier auch eben dergleichen lettern genommen werden, als zu dem Cansteinischen Neuen Testament gebraucht worden, nicht kleiner noch größer. Es sollen auch hiernechst diese Neuen Testam. dorten bey euch eingebunden werden, und zwar in braun Leder und auf dem Schnitt roth. Ihr sollet mir dahero zuförderst schreiben, wieviel iedes dergl. Stück fertig und gebunden kosten wird, und will ich vor erst 1200 Stück haben, nach deren Empfang ich noch weit mehrere bestellen werde. Ich bin

Wusterhausen den 17. Oct. 1733.

Euer wol affectionirter König

Fr. Wilhelm

Der beigefügte Titel lautete: »Das Neue Testament unseres Herrn Jesu Christi. (Nach der Cansteinischen Edition.) Mit einem Anhange von 100 geistlichen Liedern, auch Morgen und Abend Gebeten eines christlichen Soldaten. Zum Gebrauch der Königl. Preuß. Armée im Felde so wol als in denen Garnisonen. Gedruckt Halle im Waisenhause 1733.«

Friedrich Wilhelm kümmerte sich um jede Einzelheit in einer Weise, wie es jemand vom Metier nicht besser hätte machen können. Nach Vollendung des Drucks verlangte er vier Exemplare ungebunden, die Formen sollten aber stehen bleiben, denn er werde weit mehr Exemplare brauchen. In der That schwoll der Auftrag von 1200 auf 19750 Exemplare an. Den Einband bestimmte der König ebenfalls in allen Einzelheiten, verlangte auch Proben. 17000 Exemplare sollten in braun Leder mit Rotschnitt gebunden werden; sodann 200 in Saffian, 350 in rot Leder vergüldet und 2200 in rot Leder schlecht, wonach man die Rangverhältnisse der Empfänger zu deuten vermag.

Einmal treibt der König zur Eile an, »weil meine Regimenter nunmehro sehr nach diesen Büchern verlangen, Ich ihnen aber keine weiter schicken kann.« Die Sendungen gingen gewöhnlich nach Berlin und Potsdam; bloß das Regiment Anhalt, welches in Halle garnisonierte, erhielt seine Exemplare direkt geliefert. Der König hatte schon früher gemahnt, das Waisenhaus solle beim Einreichen der Rechnung seinen Profit nicht vergessen, »den ich Euch, wie Ihr wißt, gern gönne.« Im Handschreiben vom 28. Nov. 1733 approbiert er den ihm vorgelegten Probeband in rot Leder und teilt nebenbei mit: er habe resolviert, daß das Waisenhaus von jedem Exemplar einen Groschen haben solle, womit der Auftrag ein höchst lohnender wurde.[137]

Am 5. Januar 1734 wünscht ihm Gotthilf Francke das Neujahr an. Darauf antwortet der König unterm 8. Januar: »Ich habe Euer Schreiben vom 5. d. erhalten, und bin Euch zuförderst vor die wohlgemeynte Gratulation, so Ihr Mir zu dem angefangenen Jahre erstattet, obligiret, wogegen Ich Euch nebst beständiger Gesundheit des Höchsten Seegen zu allen Euren Verrichtungen anwünsche«. Unterm 17. Februar ersucht endlich der Könige, über die Zahl der von ihm in Auftrag gegebenen Exemplare noch eine Quantität herzustellen und dieselben nach Potsdam, Berlin, Königsberg etc. in Kommission zu geben, da von vielen Leuten bereits Nachfrage geschehen sei und er es gern sehen werde, wenn diese Bücher in den gedachten Städten zu haben wären.

Bei den 19750 Exemplaren ist es in der Folge ebenfalls nicht geblieben, vielmehr bürgerte sich das »Neue Testament nebst Gesang- und Gebetbuch« des königlichen Herausgebers als kleines Garnison-Gesangbuch ein und erschien bis zum J. 1779 in 26 Auflagen – 105000 Exemplaren.

Quellen: Zur Geschichte etc. (siehe oben); Freundesgabe, Taschenbuch 1835.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 1. Berlin/Eberswalde 1902, S. 134-138.
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