Harn

[339] Harn oder Urin ist eine eigenthümliche Flüssigkeit, welche der Mensch und die rothblutigen Thiere aus dem Blute absondern und ausscheiden. Beim Menschen und bei den Säugthieren bildet sich der Harn in den Nieren und wird dann durch zwei Harnleiter tropfenweise nach der Harnblase geführt, einem eigenthümlichen häutigen Behälter von eiförmiger Gestalt, aus welchem er nach hinreichender Ansammlung durch die Harnröhre, die in die Geschlechtstheile ausgeht, aus dem Körper geführt wird. Die Vögel haben keine Harnblase, sondern bei ihnen münden die Harnleiter sogleich in das untere Ende des Darmkanals, wo sich der Harn mit dem Koth vermengt. Bei dem Straus und dem Kasuar geschieht jedoch die Ausleerung des Harns und des Unraths zu verschiedenen Zeiten. Die Beschaffenheit in der Zusammensetzung, die Menge, das Ansehen und der Geruch des Harns sind nicht allein bei den verschiedenen Thiergattungen, sondern auch bei einzelnen Thieren derselben Gattung, ja sogar bei demselben Individuum ungemein verschieden, indem sowol die genossenen Nahrungsmittel und Getränke, als auch das Alter und das körperliche Wohlbefinden von ungemeinem Einfluß auf die Harnbildung sind. Nach dem Genuß gewisser Getränke, sowie aller in großer Menge genossener, ist die Absonderung besonders stark und erfolgt so schnell, daß man unmöglich annehmen kann, das eben erst genossene Getränk sei erst durch das Blut den Harnbereitungsorganen zugeführt worden. Die Bestandtheile des Harns sind größtentheils Wasser, ein eigner Harnstoff und verschiedene Salze. Wegen der mannichfachen Wechsel, welchen in Krankheitszuständen die Zusammensetzung und schon die äußere Erscheinung des Harns ausgesetzt sind, hat man ihn in der Medicin beobachtet, um den Zustand des Patienten zu erkennen; doch hat man diesen Beobachtungen häufig einen viel zu hohen Werth beigelegt und Quacksalber haben damit vielen Unfug getrieben. Die Krankheiten, welchen die Harnwerkzeuge ausgesetzt sind, sind zahlreich und größtentheils gefährlich, sodaß sie stets unausgesetzter ärztlicher Sorgfalt bedürfen; doch gibt es auch verschiedene von selbst schnell vorübergehende Harnbeschwerden, sowie solche, welche die begleitenden Erscheinungen und Folgen anderer Krankheiten oder natürlicher Zustände (z.B. der Schwangerschaft) sind. Eins der beschwerlichsten Leiden entsteht, wenn die im Harn enthaltenen Stoffe zu steinartigen Körpern im Innern der Harnwerkzeuge erstarren. (S. Gries und Steinkrankheit.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 339.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: