Perücken

[455] Perücken oder dem natürlichen Haupthaar des Menschen mehr und weniger ähnlich nachgebildete Kopfbedeckungen von fremdem Haar, waren den Alten vom Theater her eine bekannte Sache, indem die üblichen Masken der Schauspieler alle zur Bedeckung des Hinterkopfs, mit angemessenen Perücken versehen waren. Blonde Perücken aus deutschem Haar zu tragen ward in Rom herrschende Mode, nachdem die Römer die deutschen Völkerschaften am Rhein und an der Schelde und Maas hatten kennen lernen, denen damals hochblondes und goldgelbes Haar eigen war. Als die Verschwendung aber aufs höchste stieg, puderte man, um recht goldgelbes Haar zu tragen, die Perücken mit Goldstaub. Nach dem Untergange des röm. Reiches scheint der Gebrauch der Perücken aufgehört zu haben und erst zu Anfang des 16. Jahrh. erinnert daran ein vom Herzog Johann zu Sachsen seinem Amtmanne in Koburg gegebener Auftrag, ihm ein künstliches Haar in Nürnberg heimlich machen zu lassen, das »grauß und geel« sein sollte und »also zugericht, daß man es bequem auf den Kopf setzen könne«. Im 17. Jahrh. wurden seit Ludwig XIII. (1610–43) die Perücken zuerst in Frankreich und danach in ganz Europa Mode, sodaß selbst die Geistlichen Perücken trugen und 1692 beim dresdner Landtage die Frage berathen wurde: ob sie es mit gutem Gewissen könnten? Die Antwort fiel bejahend aus, empfahl ihnen aber dabei weniger Aufwand und mehr Anstand, der Papst dagegen verbot sie 1693 den Geistlichen gänzlich. Im Preußischen wurde sogar 1698 eine Perückensteuer eingeführt. Die Form der Perücken wechselte von der hundertlockigen, über den halben Rücken herabreichenden Allongenperücke und der Quarré-Perücke, deren Locken und Zipfel an allen Seiten herunterhingen, bis zur Stutzperücke, die im Nacken endigte, und der glatten Zopfperücke, die hinten in einen Zopf ausging. Der Tadel dieser unnatürlichen Mode fehlte nicht und der Satiriker Moscherosch nannte sie unter Anderm »Diebeshaare der Welschen, erdacht zur Verhüllung abgeschnittener Ohren«, allein auch Lobredner waren genug vorhanden und man pries grade die größten, »weil sie den Menschen fast dem Löwen gleich machten«. Erst zu Anfange des 19. Jahrh. ging man von dieser thörichten Kopfbedeckung ab und sucht seitdem für Personen, denen der Verlust des Haars eine Perücke zum Bedürfniß macht, diese dem natürlichen Haare täuschend ähnlich zu verfertigen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 455.
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