Rheuma

[698] Rheuma, Rheumatismus, Fluß sind gleichbedeutende Benennungen einer durch Erkältung herbeigeführten Krankheit, die sich hauptsächlich durch reißende, gern von einer Stelle zur andern ziehende, in der Bettwärme sich verschlimmernde Schmerzen in häutigen und muskulösen Partien des Körpers äußert; sie ist bald fieberlos und dauert wenige Tage, bald aber auch mit Fieber verbunden und hält in Folge von Vernachlässigung oder Fortdauer der sie ursprünglich bedingenden schädlichen Einwirkungen Monate und selbst Jahre lang an. In ersterm Falle, in welchem der Rheumatismus zuweilen einen entzündlichen Charakter annimmt, wird die Krankheit acuter (rasch verlaufender) Rheumatismus genannt; im letztern, wo die Krankheit viel von ihrer sonstigen gutartigen Beschaffenheit verliert, schwerer heilbar ist, die bisher vielleicht wandernden Schmerzen sich an einer bestimmten Stelle festsetzen und daselbst um so ärger wüthen, heißt sie chronischer (langwieriger) Rheumatismus. Dieser artet, wenn es nicht bei Zeiten gelingt, ihn zu beseitigen, gern in ein chronisches Nervenleiden aus, was oft hartnäckig allen Heilversuchen widersteht. Traurige Beispiele der Art sind das sogenannte Hüft-und Lendenweh, noch mehr aber der Gesichtsschmerz. Nicht selten nehmen auch andere Krankheiten etwas Rheumatisches an, wie namentlich manche Entzündungen häutiger Gebilde, so z.B. des Brustfells, Bauchfells u.s.w., wobei der Schmerz nicht an einer Stelle haftet, sondern von einer zur andern wandert, nachläßt und sich verschlimmert, das Fieber weniger [698] heftig ist und insbesondere auch beträchtliche Nachlässe macht. Ein Mensch besitzt vor dem andern besondere Anlage zu Rheumatismen, zu der auch eine sehr zarte und für äußere Einflüsse sehr empfängliche Haut gehört und die angeboren oder erworben sein kann, Letzteres durch eine Lebensart, bei welcher der Körper des Witterungswechsels zu sehr entwöhnt wird, durch Verzärtelung der Haut, wie z.B. durch allzu warme oder die Haut reizende Bekleidung, Misbrauch warmer Bäder, allzu langes Verweilen in denselben, Misbrauch schweißtreibender Arzneien und Getränke, endlich auch durch schon früher überstandene Hautkrankheiten und Rheumatismen. Die nächste Veranlassung zur Entstehung des Übels gibt, wie schon erwähnt worden, Erkältung, welche die naturgemäße Absonderungsthätigkeit der Haut stört und um so eher stattfinden kann, je mehr die Haut eben in erhöhter Thätigkeit begriffen ist. Am nachtheiligsten ist in dieser Beziehung die Einwirkung von Zugluft, d.h. von immer sich erneuender, über die Haut hinstreichender kalter Luft, sowie ein plötzlicher Wechsel in der Temperatur der Atmosphäre. Aus den genannten Entstehungsursachen erhellt, daß Rheumatismen mitunter eine große Anzahl Menschen zu gleicher Zeit befallen, also eine wahrhaft epidemische Verbreitung erlangen können, was besonders im Frühjahre und Herbste bei veränderlicher, bald warmer, bald kalter Witterung der Fall zu sein pflegt und die sogenannte rheumatische Witterungs- und Krankheitsconstitution begründet. Sie sind aber auch in manchen Gegenden mehr einheimisch als in andern, so z.B. in rauhen und kalten mehr als in warmen, insbesondere auch in feuchten und sumpfigen Ebenen, in der Nähe großer Landseen und Teiche, an den Ufern solcher Flüsse, die leicht austreten, in engen, der Sonne wenig zugänglichen Thälern u.s.w. So lange ein Rheumatismus noch nicht veraltet ist, mag er nun mit Fieber verbunden sein oder nicht, hält es nicht eben schwer, ihn zu beseitigen, wenn sich nur der Kranke sofort allen nachtheiligen Einwirkungen entzieht, die ihn unterhalten können, und sich namentlich in einer gleichmäßigen Temperatur aufhält. Ernster wird die Krankheit schon, wenn sie in Entzündung, und noch mehr, wenn sie in einen nervösen Zustand übergeht. Chronische, veraltete Rheumatismen sind meist sehr hartnäckig und schwer zu heilen, geben leicht zur Entwickelung von Gicht, mit welcher der Rheumatismus überhaupt große Ähnlichkeit hat, Veranlassung und haben in schlimmen Fällen zuweilen Lähmungen zur Folge, sowie sie überhaupt zu einer fast lebenslangen Qual werden können. Ein vortreffliches Schutzmittel gegen ihre Rückkehr gewährt Kräftigung und Stärkung der Haut und ihrer Nerven durch kalte Waschungen, das Baden im Flusse und ganz besonders in der See. Schnelle, aber meist nur vorübergehende, sogenannte Palliativhülfe leisten mitunter auch die russ. Dampfbäder.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 698-699.
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