Schlucken

[94] Schlucken wird eine convulsivische, von einem rauhen, unarticulirten Tone begleitete Art des Einathmens mit nachfolgendem natürlichen Ausathmen genannt, die sich gewöhnlich mehre Male rasch hintereinander wiederholt, die Brust und Unterleibseingeweide, manchmal aber auch den ganzen Körper auf eine unangenehme Weise erschüttert und zunächst dadurch hervorgebracht wird, daß sich das Zwerchfell plötzlich krampfhaft zusammenzieht, gleichzeitig aber die Luft durch die verengerte Öffnung der Stimmritze mit. Geräusch in die Lungen eindringt. Mit Unrecht hat man früher den Schlucken einer krampfhaften Bewegung des Magens zugeschrieben. Der Schlucken ist meist eine rein zufällige Erscheinung von keiner großen Bedeutung, die sich gern nach übermäßiger oder zu schneller Anfüllung des Magens einstellt, zumal wenn dies nach längerm Fasten geschieht, oder trockne und klebrige Nahrungsmittel mit Gier und ohne sie mit Getränken zu vermischen, genossen worden sind und nun [94] in der Speiseröhre verweilen, oder wenn das Schlingen plötzlich gehemmt oder übereilt wird, wie dies nicht selten bei Kindern der Fall ist. Auch findet sich der Schlucken zuweilen nach dem Trinken kalter oder weingeistiger Getränke, auf das Kaltwerden der Füße und nach lebhaften Gemüthsbewegungen ein. Mitunter artet er in eine wirkliche Krankheit aus. Dann pflegt er Tage lang anzuhalten oder auch nach längern oder kürzern Unterbrechungen sich immer wieder zu erneuern und so Jahre lang zu dauern. In solchen Fällen hat er zuweilen schlimme Wirkungen, indem das eigenthümliche Angstgefühl, welches ihn begleitet, sowie die wiederholten Erschütterungen der Brust- und Unterleibseingeweide den freien Umlauf des Blutes in der Brust stören, namentlich aber letztere Veranlassung werden, daß Alles, was in den Magen eingebracht wird, wieder durch Erbrechen ausgeworfen wird, worunter natürlich wieder die Ernährung leiden muß. In solchem Grade beobachtet man den Schlucken bei sehr reizbaren Personen als Folgeübel heftiger Gemüthsbewegungen. Ferner kann er durch eine Art Gewohnheit unterhalten werden oder auch durch bloße Nachahmung sich mittheilen und so gewissermaßen anstecken. Endlich begleitet er eine Menge von Krankheitszuständen, wie z.B. die Hysterie, die Hypochondrie, die mannichfaltigen Unregelmäßigkeiten des Monatsflusses, allerhand Verdauungsstörungen, die Einklemmung von Brüchen, Entzündungen des Bauchfells und Magens, Verwundung an den Unterleibseingeweiden, bösartige Wechselfieber u.s.w. Stellt er sich in den letzten Zeiträumen der Faul- und Nervenfieber, nach großem Blutverluste, überhaupt bei beträchtlicher Erschöpfung ein, so ist er immer eine sehr beunruhigende Erscheinung. Der durch eine geringfügige Ursache bewirkte Schlucken hört in der Regel schnell von selbst oder auf den Gebrauch sehr einfacher Mittel auf, wie z.B. dadurch, daß man eine sehr kalte oder sehr saure Substanz, ein Stückchen Eis oder etwas reinen Essig genießt, daß man den Athem so lange als möglich zurückhält, einige Male zu niesen sucht, seine Aufmerksamkeit fest auf einen andern Gegenstand richtet u.s.w. Hat er aber schon lange gedauert, kehrt er periodisch wieder zurück, dann hat seine Beseitigung mitunter große Schwierigkeiten und pflegt nicht eher zu gelingen, als bis die ihm zu Grunde liegende Ursache oder Grundkrankheit gehoben ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 94-95.
Lizenz:
Faksimiles:
94 | 95
Kategorien: