Venerie

[568] Venerie, venerische Krankheit, Syphilis, Lustseuche wird eine Krankheit genannt, welche nur durch Übertragung eines eigenthümlichen thierischen Giftes, des venerischen Ansteckungsstoffs, unmittelbar auf eine Schleimhautfläche, gewöhnlich die Geschlechtstheile beider Geschlechter, oder einen zarten oder verletzten Theil der Oberhaut erzeugt wird. Die Ansteckung äußert sich zuerst durch Entzündung der angesteckten Hautstellen und durch schleimige, eiterartige Ausflüsse, Geschwüre, Auswüchse, Anschwellungen u.s.w., bei weiterer Verbreitung aber durch Entzündung und Verschwärung im Rachen, insbesondere der Mandeln, des Gaumensegels und Zäpfchens, durch mancherlei bösartige Ausschläge, Risse und Geschwüre der Haut, endlich auch durch höchst gefährliche Augenentzündungen, Entzündung der Beinhaut der Knochen, sowie dieser selbst mit Austreibung ihrer Substanz und in der Regel nur des Nachts sich einstellende, äußerst heftige, bohrende Schmerzen. Die Atmosphäre eines solchen Kranken bewirkt keine Ansteckung, deren Träger der krankhaft abgesonderte eiterartige Schleim einer angesteckten Schleimhautfläche oder der Absonderungsstoff venerischer Geschwüre zu sein pflegt. Die gewöhnlichste Mittheilungsweise des venerischen Ansteckungsstoffs ist der vertraute Geschlechtsumgang beider Geschlechter, doch kann derselbe auch durch Küssen, Säugen u.s.w. übertragen werden. Auf die Menge des übertragenen Gifts kommt hierbei nichts an, da eine sehr geringe Quantität desselben hinreicht, die ganze Säftemasse des Körpers zu vergiften. Die Krankheitserscheinungen treten nicht augenblicklich ein, sondern erst binnen 3–21 Tagen, und immer gehen die Erscheinungen der örtlichen Ansteckung der allgemeinern Verbreitung des Gifts durch den ganzen Körper, der allgemeinen Lustseuche voraus. Erstere bezwingt zuweilen die Heilkraft der Natur, letztere endet, wenn die Heilkunst nicht helfend einschreitet, stets mit Zerstörung des Körpers und die überstandene Krankheit hebt nicht, wie bei andern ansteckenden Krankheiten, die Empfänglichkeit für spätere Ansteckungen. Die allgemeine Lustseuche kann von den Ältern auf die Kinder forterhen. Über den Ursprung, das Alter, überhaupt über die Geschichte dieser Krankheit ist mit Gewißheit nur zu sagen, daß sie in Europa und zwar zunächst in Italien zu Ende des 15. Jahrh. als besondere Krankheit bekannt wurde. Indeß ist nicht in Abrede zu stellen, daß ganz ähnliche Übel schon im höchsten Alterthume vorgekommen sind, nur hat sie kein Arzt vor Ende des 15. Jahrh., wo die bisher nur vereinzelt beobachtete Krankheit einen bisher nie gehabten Grad der Ausbreitung und Bösartigkeit erreichte, ansteckend genannt. Mit Unrecht hat man Amerika aufbürden wollen, das eigentliche Vaterland dieser ebenso ekelhaften als furchtbaren Krankheit zu sein, aus dem sie durch Colombo und dessen Gefährten nach Europa eingeschleppt worden sei, denn es ist nirgend geschichtlich nachgewiesen, daß die Spanier sie bei ihrer ersten Ankunft in Amerika angetroffen und von da mit nach Spanien zurückgebracht haben. Bei welchem Volke Europas und in welchem Jahre das venerische Gift sich zuerst entwickelt, läßt sich nicht angeben, weil die Angaben gleichzeitiger glaubwürdiger Schriftsteller hierin voneinander abweichen, nur so viel ist gewiß, daß die Lustseuche um das Jahr 1496 eine ganz allgemein verbreitete Krankheit war. Andere betrachten dieselbe als eine Ausartung des vor Ende des 15. Jahrh. so allgemeinen und seitdem beinahe gänzlich verschwundenen Aussatzes. Ehemals gab man hier und da als Grund der Krankheit den übeln Einfluß der Gestirne, den Genuß von mit Menschenfleisch bereiteten Nahrungsmitteln und noch viel Abgeschmackteres an. Gegenwärtig hat sie zwar viel von dem furchtbaren Charakter verloren und zieht nur durch grobe Vernachlässigung oder schlechte ärztliche Behandlung die traurigen Folgen nach sich, die ehemals an der Tagesordnung waren, verlangt aber dennoch, daß man beim geringsten Argwohn venerischer oder syphilitischer Ansteckung jede etwaige Scheu überwinde und einen erfahrenen Arzt zu Rathe ziehe.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 568.
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