Sozialismus

[729] Sozialismus (lat.), im modernen (Marxistischen) Sinne diejenige nationalökonomische Richtung, welche das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und die kollektivistische Produktionsweise an Stelle der individualistischen anstrebt; im weitern Sinne die Bestrebungen, die auf eine völlige Umänderung der wirtschaftlichen Rechtsordnung abzielen und namentlich gegen das Privateigentum und den freien Wettbewerb gerichtet sind. Zu letzterm gehören: a. der Kommunismus (s.d.); b. der Agrar-S. (Henry George in »Progress and Poverty«, 1879, Alfred Russel, Wallace, Flürscheim), verlangt nur die Abschaffung des privaten Grundeigentums und des privaten Grundrentenbezugs (s. Bodenreform); c. der Genossenschafts-S. (Louis Blanc, Lasalle), fordert die Bildung von Arbeiterproduktivgenossenschaften mit Staatsunterstützung; d. der Mutualismus (Proudhon), wünscht die Beseitigung von Geld und Zins, sonst aber die Aufrechterhaltung der individualistischen Produktionsweise. Über den Staats- und Katheder-S., s. Kathedersozialisten. – Der S. in dem weitern Sinne ist sehr alt. Zu seinen Vertretern gehören Plato, im »Staat«, Thomas Morus (»Utopia«, 1516), Rousseau, Saint-Simon (1819), Fourier (1808), Louis Blanc, Robert Owen, Fichte, Wilhelm Weitling (1842), Karl Rodbertus (s.d.). Alt sind auch die Bestrebungen, den S. in die Wirklichkeit zu überführen. Dazu gehören: die Shakers (entstanden 1787 im Staate Neuyork), die deutschen Rappisten oder Harmoniten (s.d.). Andere Versuche, wie der von Hertzka (Freiland), sind gescheitert Das am weitesten verbreitete System des S. von Karl Marx (zuerst 1848) beruht auf der materialistischen Auffassung, daß alle bisherige Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen sei. Für das Verständnis der jetzigen Zeit glaubt Marx den Schlüssel in seiner Werttheorie gefunden zu haben, nach der der Arbeiter mehr Werte schafft, als ihm bezahlt werden. Den Mehrwert entzieht der Kapitalist dem Arbeiter und benutzt ihn zur Bildung des Kapitals. – Vgl. »Geschichte des S. in Einzeldarstellungen« (1895), Stegmann und Hugo (1894), Dühring (3. Aufl. 1879), Pöhlmann, »Geschichte des antiken Kommunismus und S.« (2 Bde., 1893-1901), Kathrein (6. Aufl. 1894), Laveleye (1895), Marx, »Das Kapital« (1890; 1893; 1894); Georg Adler (Tl. 1, 1899); Jaurès (franz., 4 Bde., 1903), Brunhuber (1905).Der christliche S. bezeichnet die Richtung, die vom Standpunkte des Christentums tiefgreifende sozialchristl. Reformen zugunsten der Schwachen und Besitzlosen fordert, begründet durch Viktor Aimé Huber (s.d.) und J. H. Wichern (s.d.). Weitere Ausbreitung erfuhr dieser durch Gründung der Christlich-sozialen Partei (s.d.), veranlaßt durch das Buch des Pfarrers Todt: »Der radikale deutsche S. und die christl. Gesellschaft« (2. Aufl. 1878) und in den Evangelischen Arbeitervereinen (s.d.).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 729.
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