Kiew

[125] Kiew, Hauptstadt der Statthalterschaft Kiew, am Dnieper, mit 40,000 Ew., Festungswerken und einem kaiserlichen Schloß. Schon aus der Ferne glänzt der weiße Bergrücken, auf welchem die Stadt liegt, den Pilgrimen entgegen, die in Scharen zu diesem heiligen Ort wallfahrten, und die vielen Kirchen mit ihren grün angestrichenen Thürmen, versilberten oder vergoldeten Kuppeln, gewähren einen überraschenden Anblick. Universitätsstadt, ist sie zugleich einer der wichtigsten Handelsplätze für das mittlere und südliche[125] Rußland, ihre Fabriken liefern Fayence, Leder und Zuckerwaaren. Kiew's Glockengießereien versorgen ganz Rußland mit Glocken. Das große Petschorskische Kloster mit seinen berühmten Katakomben ist das Ziel der Pilgrime. Diese unterirdischen Gemächer, in welchen nur Heilige ruhen, enthalten eine Unzahl ausgetrockneter Leichname, mit den glänzendsten Stoffen bekleidet und mit Kostbarkeiten geschmückt. Der Eingang dahin ist eng, gewölbt und in Felsen gehauen. Die der Himmelfahrt der heiligen Jungfrau geweihete Cathedrale hat unermeßliche Schätze, prachtvolle Gemälde, und ist im Besitz der Reliquien der heiligen Barbara. Nirgends wie hier lernt man an großen Markttagen russische Sitten, Reichthum und Luxus der Großen kennen, wobei die Juden unter dem Namen Faktoren, die unentbehrlichen Unterhändler sind. Sie verschaffen Wohnungen, Getränke und Speisen, Geld und Credit, Kleider, Bräute, Bräutigame und Anstellungen. In dieser Zeit wechseln Gastmähler, Concerte und Balle mit Theater und Assembleen. Und in so hohem Ansehen stehen bei den Frauen diese Vergnügungen, daß sie sich oft in Heirathscontrakten jährlich eine Reise nach Kiew ausbedingen. Ost sieht man an solchen Meßtagen 1000 Gutsbesitzer und 500 Kaufleute mit ihren Waaren sich versammeln. Die Stadt hat viele Wohlthätigkeitsanstalten und in ihren Umgebungen die reizendsten Gärten.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 125-126.
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