Dualismus

[232] Dualismus (Zweiheits-Lehre) heißt jetzt die Aufstellung zweier Principien des Seienden, die Betrachtungsweise, nach welcher Geistiges und Körperliches, Psychisches und Physisches, Seele und Leib zwei voneinander verschiedene Wesenheiten (Substanzen oder Vorgänge) bedeuten. Der empirische Dualismus anerkennt die Verschiedenheit der Daseins- oder Erscheinungsformen des Wirklichen, ist aber mit einem metaphysischen Monismus (s. d.) verträglich; der metaphysische Dualismus ist kosmologischer und anthropologischer Art.

Die ältere Bedeutung von »Dualismus«, die auch heute noch neben der angeführten besteht, ist die einer ethisch-religiösen Weltanschauung. der zufolge zwei Principien im All einander gegenüberstehen: das Gute, der Lichtgeist, das Göttliche, und das Böse, die Finsternis, der Satan, wobei aber in der Regel doch die Superiorität des guten Princips betont wird. In diesem Sinne wird das Wort »Dualismus« gebraucht bei THOMAS HYDE (Histor. rel. vet. Pers. 1700, c. 9; nach EUCKEN, Terminol.). Durch BAYLE findet es seine Verbreitung. Die neuere Bedeutung hat das Wort schon bei CHR. WOLF. »Dualistae sunt, qui et substantiarum materialium et immaterialium existentiam admittunt« (Psychol. rat. § 39). Der »Dualist« glaubt, nach MENDELSSOHN, »es gäbe ebensowohl körperliche als geistige Substanzen« (Morgenst. I, 6). Nach KANT ist »Dualism« auch »die Behauptung einer möglichen Gewißheit von Gegenständen äußerer Sinne« (Krit. d. r. Vern. S. 311).

Den »religiösen« Dualismus lehren die Perser (Ahuramazda – Ahriman), PLUTARCH, die Manichäer (s. d.), in gewissem Sinn auch J. BÖHME, R. FLUDD (Phil. mosaïc. 1, 3, 6), SCHELLING. Vgl. Gott.

Einen ethischen Dualismus bekunden die Stoiker, nach denen Naturnotwendigkeit[232] und (sittliche) Freiheit des Willens einander gegenüberstehen, und KANT mit seiner Lehre vom absoluten Gegensatze zwischen Sinnlichkeit und Geistigkeit (dem vernünftig-moralischen Gesetze).

Der metaphysische Dualismus kommt in reinen und unreinen Formen vor. Zuerst bei ANAXAGORAS, der dem passiven Stoffe den ordnenden, gestaltenden »Geist« (nous) gegenüberstellt, der zu jenem hinzukommt eita ho nous elthôn auta diekosmêse, Diog. L. II, 6). PLATO scheidet die Welt in zwei voneinander gesonderte (chôrista) Bestandteile: die Sinnendinge, die immer werdend, nicht seiend, und die Ideen (s. d.), die seiend sind. ARISTOTELES bringt mit der Unterscheidung von »Form« (s. d.) und »Stoff« der Dinge ein dualistisches Moment in seine Philosophie. Noch abgeschwächter ist dieser »Dualismus« bei den Stoikern (s. Kraft). Dagegen kommt er bei den Neuplatonikern wieder zum Ausdruck; Geist (Seele) und Materie (s. d.) stehen einander hier schroff gegenüber; die Sinnenwelt ist von der »intelligiblen« ganz verschieden. Anthropologische Dualisten (s. Seele) sind (wie PLATO, ARISTOTELES u. a.) einige Kirchenväter, AUGUSTINUS, THOMAS und andere Scholastiker, auch Mystiker, wie BONAVENTURA, welcher bemerkt: »Facit Deus hominem ex naturis maxime distantibus (corpore et anima) coniunctis in unam personam et naturam« (Breviloqu. II, 10).

Eine neue, schroffe Formulierung erfährt der Dualismus durch DESCARTES. Vom »Cogito, ergo sum« (s. d.) ausgehend, bestimmt er die Seele (s. d.) als rein geistige, vom Leibe toto genere verschiedene Substanz, als »res cogitans« im Gegensatz zur »res extensa«. Zwischen Leib und Seele besteht Wechselwirkung, die freilich nur mit Gottes Beistand (»concursus, assistentia Dei«) möglich ist. Zwei Substanzarten, Geist und Körper, constituieren die Welt. Die Verschiedenheit beider sowie von Seele und Leib ist »klar und deutlich«, daher objectiv gewiß. »Substantias – percipimus a se mutuo realiter esse distinctas, ex hoc solo, quod unam absque altera clare et distincte intelligere possimus. – Itemque ex hoc solo, quod unusquisque intelligat se esse rem cogitantem, et possit cogitatione excludere a se ipso omnem aliam substantiam, tam cogitantem quam extensam, certum est unumquemque sic spectatum, ab omni alia substantia cogitante atque ab omni substantia corporea realiter distingui« (Princ. philos. I, 60). Die Occasionalisten (s. d.) nähern diesen Dualismus dem Monismus, in den er fast ganz bei SPINOZA übergeht, der Geist und Materie als bloße Attribute (s. d.) eines Wesens, der Substanz (s. d.), ansieht. Dualistischer ist LEIBNIZ, obgleich er im Materiellen nur die Erscheinungsform des Geistigen erblickt aber er bestimmt die Seele als eine Einzelmonade, die vom Leibe verschieden ist.

Eine Erneuerung des scholastischen Dualismus findet sich bei den modernen katholisch denkenden Philosophen, z.B. bei GUTBERLET. Den Cartesianischen Dualismus erneuert GÜNTHERS »creatürlicher Dualismus«. Einen anthropologischen Dualismus (zum Teil in Annäherung an LEIBNIZ) vertreten HERBART, VOLKMANN, LOTZE, J. H. FICHTE, ULRICI, MARTINEAU, JAMES, G. THIELE, L. BUSSE, KÜLPE, REHMKE, W. JERUSALEM u. a. Vgl. psychophysischer Parallelismus, Seele, Wechselwirkung.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 232-233.
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