Syrien. Choriter, Nordvölker und Arier. Babylonische Einflüsse

[674] 467. Auch aus den syrischen Landen fehlt uns in dieser Zeit jede Überlieferung. Daß das Reich der Hyksos mit den großen Völkerbewegungen im Osten in Zusammenhang steht, ist wohl zweifellos, so dunkel im einzelnen noch alles ist. In der Folgezeit finden wir in Nordsyrien eine dem Mitanivolk verwandte Bevölkerung; auch die Ortsnamen dieses Gebiets sind durchweg ganz unsemitisch. Ob wir es aber hier mit Eindringlingen zu tun haben, welche, ähnlich wie z.B. die Türken, ältere Namen durch neue, ihrer Sprache angehörige ersetzt haben, oder ob eine altansässige, mit den kleinasiatischen Stämmen verwandte Bevölkerung, nachdem sie zeitweise den Herrschern von Sinear und vielleicht auch den Amoritern untertan gewesen war, wieder zu selbständiger Macht gelangt ist, läßt sich nicht entscheiden. Zweifellos sind jedoch neue Nachschübe hinzugekommen; so heißt der Fürst, der um 1400 als Vasall des Pharao in Jerusalem regiert, Abd(?)-chipa nach einer in Mitani verehrten Göttin (§ 465 A.). Die Amoriter sind im fünfzehnten Jahrhundert im wesentlichen auf das Libanongebiet und das obere Orontestal (die Beq'a oder Coelesyrien) beschränkt, mögen sich aber zum Teil auch noch in die [674] Wüste ausgedehnt haben. Der schmale Küstensaum gehört den kana'anaeischen Phoenikerstädten (§ 356, aeg. Ẕahi). In Palaestina scheint der zur Zeit der zwölften Dynastie gebräuchliche Name Rezenu (§ 358) dem lebendigen Sprachgebrauch schon wieder entschwunden zu sein, wenngleich die Aegypter die offizielle Bezeichnung »das obere Rezenu« für das Bergland Palaestinas beibehalten haben und dann das Flachland am Euphrat gelegentlich »das untere Rezenu« nennen. Der eigentliche Name der Bevölkerung Palaestinas dagegen ist im Neuen Reich durchweg Charu (spr. Chôr) – nach einer Angabe im Pap. ANASTASI III 1, 10 reicht dies von der aegyptischen Grenzfeste Ẕaru (am Isthmus von Suez, § 227) bis nach Opa, d.i. dem Lande Ubi der Amarnatafeln, in dem Damaskus liegt, umfaßt also auch das Gebiet der Sinaiwüste. Die Charu sind identisch mit den Choritern (ירח, Χορραῖοι) der israelitischen Überlieferung, die sich in späterer Zeit nur noch in dem Wüstenlande südlich vom Toten Meer, dem Gebirge Se'îr, erhalten haben, zwischen den später eingedrungenen edomitischen Stämmen; aber nach einer nur in wenigen Bruchstücken erhaltenen Version der israelitischen Sagengeschichte bildeten sie die ältere Bevölkerung Palaestinas. Sie werden speziell als Bewohner von Sichem und Gib'on genannt, und auch im Westen des späteren Juda, in dem Orta Ṣor'a und sonst, begegnen uns ihre Spuren noch in späterer Zeit. Somit sind die Choriter wohl ein semitischer (kana'anaeischer) Wüstenstamm, der in der Hyksoszeit von Süden her in Palaestina eingedrungen ist, ähnlich wie Jahrhunderte später, im Zusammenhang mit den Eroberungen der Chetiter, die hebraeischen Stämme. Charakteristisch für die Choriter ist, daß viele ihrer Unterstämme und Geschlechter nach Tieren benannt sind: das kehrt in Palaestina wieder in den Ortsnamen Ṣor'a (Hornisse), Aijalon (Hirsch) und zahlreichen Orten, die 'Ophra (Gazellenkuh) heißen; und auch der in Sichem ansässige choritische Stamm heißt bnê Chamôr d.i. Eselsstamm. Außerdem dürfte ihnen der sehr lebendige Sonnenkult angehören, den wir am Westabhang des judaeischephraimitischen [675] Bergrückens finden, und nach dem die hier gelegenen Orte Bet-šemeš, Har-cheres, Tamnat-cheres benannt sind; aus ihm hat sich die hier lokalisierte Sage von dem »Sonnenmann« Šamšôn (Simson) entwickelt, ein choritischer Mythus, der von den Israeliten übernommen und in einen Cyklus von Volksmärchen umgesetzt ist.


Außer den geographischen Namen in den Amarnabriefen und den aegyptischen Listen geben über die Ethnographie Nordsyriens die Glossen im Brief von Tunip an den Pharao (W. 41. Kn. 59) einigen Anhalt; die hier vorliegende Sprache ist deutlich mit der von Mitani identisch: MESSERSCHMIDT, Mitanistudien (Mitt. Vorderas. Ges. 1899) S. 119ff. Vgl. auch den wohl sicher nach Nordsyrien gehörenden Dynasten [Qat]i?-chu-tišupa Amarnabr. 58 Kn. – Die Choriter sind Gen. 36. Deut. 2, 12. 22 (daher auch Gen. 14) die ältere Bevölkerung des Edomitergebiets, deren Stämme sich hier noch in geschichtlicher Zeit erhalten haben, nach Gen. 34, 2 und Jos. 9, 7 LXX ὁ Χορραῖος (im hebr. und samarit. Text in יוח Chiwwiter korrigiert, die in Wirklichkeit an den Fuß des Libanon und Hermon gehören, Sam. II 24, 7. Jud. 3, 3. Jos. 11, 3, s. Israeliten S. 332ff.) dagegen die Urbevölkerung von Sichem und Gib'on, s. Israeliten S. 340. 406; auch der Name des Berges 'Ebal bei Sichem kehrt als der eines choritischen Geschlechts Gen. 36, 23 wieder, und das kalibbitische Geschlecht Chûr, das in nachexilischer Zeit zu großer Bedeutung gelangte, scheint den alten Stammnamen bewahrt zu haben. – Über den Sonnenkult und die Simsonsage Israeliten S. 528ff.; auch Josua ist vielleicht ursprünglich ein solcher Heros, ib. S. 476, 3. – Mit den Charri = Ariern in Mitani § 455 A. können die Choriter nicht identifiziert werden (wie WINCKLER annimmt); denn diese sind nach Ausweis ihrer Namen echte Semiten.


468. Zu diesen Volksstämmen sind nun auch in Syrien arische Elemente hinzugekommen. Die Tatsache steht völlig fest durch zahlreiche Namen von Dynasten in den Amarnabriefen, die deutlich arisch sind; so Šuwardata, Jašdata, Artamanja, Arzawija u.a., ferner wohl Biridija oder Biridašja, Namjawaza, Teuwatti, Šubandi, Šutarna und manche andere. Gerade bei palaestinensischen Dynasten begegnen sie sehr oft. Wir sehen also, daß ganz Syrien bis an die Grenze der Wüste von arischen Scharen überschwemmt worden ist, deren Häuptlinge in einzelnen Städten die Herrschaft gewannen und Dynastien gründeten, ähnlich wie im Islâm die Türken und die [676] Kurden. Auch die arische Bezeichnung des Kriegeradels als mariana (§ 465) kehrt in den aegyptischen Nachrichten über Syrien wieder. Im äußersten Norden, in der Landschaft Kummuch (Kommagene) am Fuß des Taurus zu beiden Seiten des Euphratdurchbruchs, hat sich eine arische (iranische) Dynastie nach Ausweis der Königsnamen Kundaspi (im Jahre 854) und Kustaspi (= Vištâspa, Hystaspes, im Jahre 740) bis ins achte Jahrhundert erhalten. Im einzelnen läßt sich der geschichtliche Verlauf dieser Bewegung nicht rekonstruieren; möglich wäre z.B., daß die arischen Scharen etwa im siebzehnten Jahrhundert zunächst in Mitani eingedrungen sind und hier, im Kampf gegen die Assyrer (§ 465), die Herrschaft gewonnen und dann zeitweise ihre Macht auch über Syrien ausgedehnt und hier Dynastien gegründet haben; eben dadurch könnte die Herrschaft der Hyksos gebrochen und den Königen von Theben die Möglichkeit zu ihrer erfolgreichen Erhebung gegen die Könige von Auaris gegeben sein. Doch läßt sich über derartige Hypothesen nur durch neue Funde Aufklärung und Sicherheit gewinnen.


Das Material s. in m. § 456 A. zitierten Aufsatz.


469. Daß die Herrschaft der Kossaeer jemals nach Syrien gereicht hat, ist höchst unwahrscheinlich (§ 459); auch von einem Eingreifen des Assyrerreichs Samsiadads III. in diese Gebiete findet sich keine Spur. Wohl aber sind die Beziehungen zu den Kulturländern des Ostens, vor allem zu Sinear, immer lebendig geblieben. Trotz aller Wirren sind offenbar Karawanen ständig von Syrien nach dem unteren Euphrat gezogen, und wie zur Zeit der aegyptischen Herrschaft und der Amarnabriefe wird es auch in den Jahrhunderten vorher in den einzelnen Kleinstaaten immer eine Partei gegeben haben, welche dorthin gravitierte und im Anschluß an die Herrscher von Sinear zur Macht zu gelangen suchte; ebenso werden die Kossaeerkönige den von ihren Vorgängern ererbten Anspruch auf die Suprematie über Syrien niemals aufgegeben haben, so wenig sie ihn zu realisieren vermochten. Die enge Verbindung, in [677] der Nordsyrien auch politisch in der Zeit Sargons und Naramsins, unter den Königen von Sumer und Akkad und vielleicht zeitweilig auch noch unter der amoritischen Dynastie von Babel mit dem »Reich der vier Weltteile« gestanden hatte, hat eine nachhaltige Einwirkung der Kultur von Sinear geschaffen, die in den folgenden Jahrhunderten wohl schwächer wird, aber niemals völlig abbricht. Die Amoriter, eng mit der Geschichte Sinears verknüpft und in einem Zweige des Volks hier zu dreihundertjähriger Herrschaft gelangt, haben die Kultur der babylonischen Semiten ebensogut angenommen wie die Assyrer, die Elamiten u.a. So ist in ganz Syrien und Palaestina die babylonische Schrift und mit ihr der Gebrauch der Tontafel als Schreibmaterial und der Briefverkehr zur Herrschaft gelangt; und ihr Gebrauch greift noch über dies Gebiet hinaus, nach Cypern sowohl wie zu den Mitani und den Chetitern in Kleinasien. Die berufsmäßigen Schreiber lernen die fremde Sprache und üben sich dafür durch die Lektüre babylonischer Texte, zum Teil mythologischen Inhalts; die einheimischen Sprachen (so das Kana'anaeische) dringen nur vereinzelt durch Flüchtigkeit oder mangelnde Kenntnis des korrekten Ausdrucks ein, oder man erläutert einzelne Wörter, bei denen man ein Mißverständnis fürchtet, durch Beifügung des einheimischen Wortes als Glosse. Auch die Maße Sinears und die Rechnung nach Edelmetallen sind in diesem ganzen Gebiet eingeführt und beherrschen das Geschäftsleben und den Verkehr. Sinear steht für die westlichen Lande im Zentrum der Welt; daher lassen die Phoeniker und später die Israeliten ihre Ahnen von hier auswandern. Spröder hat man sich gegen die Einwirkung der babylonischen Religion verhalten: ein Eindringen der Götter Sinears in den Kultus ist in dieser Zeit in Syrien kaum irgendwo nachweisbar [Ninib § 396 A., Nergal § 471 A.], wenn sie auch zu Zauberzwecken oft genug verwendet sein mögen, zum Teil in Verbindung mit Amuletten und den religiösen Darstellungen der Siegel; so erklärt es sich, daß Ningal im Neuen Reich in einem aegyptischen Zauberpapyrus erscheint (§ 373 A.). Aber der weitverbreitete Gewittergott Hadad ist [678] ein einheimischer amoritischer Gott, ebenso Dagon (§ 396 A.), Śamaš ein allgemein semitischer Gott, und Sin kennen wir als Namen des Mondgottes nur in Charrân, während dieser in Syrien mit dem semitischen Apellativum Šahr oder Jerach benannt wird. Dagegen haben sich babylonische Mythen von Götterkämpfen u.ä. im Volk verbreitet, zunächst als interessante Geschichten ohne religiösen Gehalt; auch die Sage von dem von einem Gotte gezeugten Heldenkinde, das, um es vor den Nachstellungen der Feinde zu retten, im Fluß ausgesetzt wird, aber unter Einwirkung der Götter gerettet wird und zu großen Taten aufwächst, eine Sage, welche die Akkadier von Sargon erzählten (§ 397), mag so nach Palaestina ge kommen sein, wo sie später auf Mose übertragen worden ist. Ebenso ist später die Sündflutsage zu den Israeliten gekommen. Auch in der phoenikischen Kosmogonie, von der die israelitische eine spätere Umbildung ist, scheinen einzelne babylonische Elemente enthalten, wenn auch stark umgewandelt; der Einfluß Babyloniens auf diesem Gebiet wird jedoch von der herrschenden Anschauung stark überschätzt, und von der Herrschaft einer angeblichen »babylonischen Weltanschauung« kann gar keine Rede sein. Vielmehr haben die Semiten Syriens ihre ererbte Denkweise selbständig behauptet und sich gegen die ihnen ganz fremdartigen Vorstellungen, die in der sumerischen Kultur wurzeln, noch viel ablehnender verhalten als später gegen den Hellenismus und das hellenisierte Christentum; auch bei den Assyrern ist die Übernahme des babylonisch-sumerischen Pantheons ja größtenteils nur äußerlich geblieben und die Religion Assyriens von der Sinears innerlich stark verschieden. Erst in der Assyrerzeit und vor allem unter der chaldaeischen Herrschaft ist die Einwirkung Babyloniens auf Religion und Ideenwelt der syrischen Semiten intensiver geworden.


Ganz assyrisch ist der Name des Hadadnirari von Nuchaše Amarnabrief 37 W. 51 Kn.; doch darf daraus wohl kaum ein Vordringen der Assyrer bis in dies Gebiet gefolgert werden. – Über die phoenikische Kosmogonie und ihr Verhältnis zur israelitischen vgl. Israeliten 210f.; weiteres im näch sten Bande. Babylonische Elemente enthält die letztere[679] meist nur in sehr abgeblaßter, vermittelter Form, so in der Zerteilung der Wasser und in der Lokalisierung des Gottesgartens (der vielleicht mit dem babylonischen Götterberg zusammenhängt), ferner in den Sagentrümmern von Jahwes Drachenkampf u.a.


470. Neben den östlichen Einwirkungen stehen von Südwesten her die gleichartigen, wenn auch weniger weitgreifenden Aegyptens. Der Einfluß aegyptischer Anschauungen und Kulte auf Phoenikien, speziell auf das mit ihm in enger Verbindung stehende Byblos, ist früher schon erwähnt worden (§ 357); gleichartig ist später die Aufnahme aegyptischer Erzählungen bei den Israeliten (Josephsage, Exodus, Prophezeiungen § 297), die bei anderen Stämmen in älterer Zeit manche Analoga gehabt haben mag. Aus Aegypten stammt ferner die Beschneidung bei den Phoenikern und den hebraeischen Nomaden der südlichen Wüste (§ 345). Daneben scheint ein starker Einfluß von Norden her nach Syrien gekommen zu sein. Wie der Adoniskult von Byblos sich einerseits mit dem Tammuzmythus von Sinear (§ 373), andrerseits mit kleinasiatischen Kulten berührt, so scheint die sakrale Prostitution und ebenso die Selbstentmannung im Dienste einer großen Naturgöttin von Kleinasien ausgegangen zu sein (§ 345); und auch der Gott 'Ate, den wir später bei den Aramaeern finden und dem eine Göttin »die 'Attar des 'Ate« (Atargatis) zur Seite steht, ist mit dem kleinasiatischen Attis identisch (vgl. § 487). Freilich ist bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse bei Mythen und Kultbräuchen kaum je mit Sicherheit zu entscheiden, wie weit lediglich gleichartige spontane Bildungen, wie weit Übernahme aus der Fremde vorliegt.

471. Im sechzehnten Jahrhundert ist Syrien und Palaestina voll von Städten, die alle selbständige kleine Fürstentümer bilden, teils unter arischen oder kleinasiatischen, teils unter semitischen Dynasten, die sich gelegentlich gegen einen äußeren Feind zu einer Koalition zusammenschließen mögen, aber noch weit öfter unter einander bekämpfen. Diese Städte liegen meist auf Berghöhen oder in der Ebene auf künstlichen Hügeln und sind von einer hohen, auf einem Steinsockel [680] ruhenden Ziegelmauer mit zahlreichen Türmen umgeben, geben, der ein abschüssiges, durch Feldsteine geschütztes Glacis vorgelagert ist. Reste dieser Festungsbauten haben die Ausgrabungen in Lakiš, Gazer, Megiddo, Ta'anak, Jericho aufgedeckt; in den Kampfreliefs des Neuen Reichs sind sie vielfach abgebildet. Auch wohnliche Häuser, mit zahlreichen um einen Hof gelegten Zimmern, versteht man zu bauen. Die Leichen werden, wie in Sinear und Assyrien, in der Regel unter den Wohnräumen selbst beigesetzt, meist zusammengekauert in Tonkrügen; vor allem von neugeborenen Kindern haben sich zahlreiche Leichen gefunden-die Kindersterblichkeit war natürlich sehr groß, auch die Tötung der Töchter nach der Geburt mag weit verbreitet gewesen sein, und derartige Kinderleichen werden auch bei weit entwickelteren Kulturvölkern, meist in oder bei den Wohnungen ohne größere Zeremonien eingescharrt. Diese Funde haben zu der seltsamen Ansicht geführt, daß es sich hier um »Fundamentopfer« oder gar um das später bei den kana'anaeischen Stämmen weit verbreitete Opfer der Söhne an die zürnende Gottheit (§ 349) handle, als ob diese ein eben geborenes Kind als Opfer annehmen würde. Auch Beisetzungen in einem Steinring und größere, mit Steinen ausgemauerte Grabkammern mit reicheren Beigaben haben sich mehrfach gefunden. Überhaupt ist das Leben reicher geworden; man importiert die Schmucksachen, welche das Kunsthandwerk Aegyptens und Sinears zu schaffen vermag, oder sucht sie nachzuahmen. Während bei dem niederen Volk und der Dienerschaft die alte Tracht sich erhält (§ 354), kleiden sich die vornehmen Männer mit einem langen bunten Wollschal, der in Streifen um den Leib gewickelt und um die Schultern geschlagen wird, ähnlich wie bei den Akkadiern (§ 394), und pflegen den kurzgeschnittenen Bart und das Haupthaar sorgfältig. Bronzene Rüstungen und Waffen, goldbeschlagene Kriegswagen-denn das Pferd ist jetzt auch nach Syrien gekommen –, silberne und goldene Gefäße, Stühle und Tische von Elfenbein und Ebenholz, von Silber und Gold, kostbare Steine, auch mit Metall und Edelsteinen [681] ausgelegte Statuen, werden neben Sklaven, Pferden, Vieh, Weihrauch, Wein und Korn von den Aegyptern des Neuen Reichs als Beute und Tribut des Landes Rezenu aufgezählt; am reichsten waren diese Industrien in Phoenikien (Ẕahi) entwickelt. Die roh behauenen Steintafeln, die seit der Mitte des zweiten Jahrtausends in Gazer sowohl wie in Assur von den Herrschern und vornehmen Beamten in langen Reihen als Denksteine aufgestellt werden, sind früher schon erwähnt worden (§ 356); ähnliche Steinblöcke finden sich in Palaestina vielfach. Das wird der damaligen Zeit schon als ein großer Fortschritt in Frömmigkeit und Gesittung erschienen sein. – Aber eine selbständige Kunst und ein eigener Stil hat sich in Syrien nicht gebildet; vielmehr treten die aus Aegypten und die aus Babylonien entlehnten Elemente unvermittelt neben einander. Sehr anschaulich tritt das darin hervor, daß man als Siegel teils die in Sinear beibehaltenen Cylinder mit keilschriftlicher Legende und entsprechenden Darstellungen verwendet, teils Skarabäen mit Nachahmung aegyptischer Hieroglyphen und Symbole, die gelegentlich auch auf den Cylindern neben die babylonischen Darstellungen gesetzt sind. Auch sonst sind zahlreiche Symbole und Amulette, vor allem aus Aegypten, nach Syrien gekommen und als zauberkräftige Schutzmittel eifrig verwendet worden, so wenig man auch ihre Bedeutung verstand. So sind das sogenannte Henkelkreuz, die Hieroglyphe des Lebens, ferner die geflügelte Sonnenscheibe, die Mondsichel mit dem Vollmond darin, der Sphinx, das Augenamulett (Uẕa-auge), der Horusfalke, die Uraeusschlange, aegyptische Kronen u.a. in Syrien weit verbreitet und mannigfach umgestaltet worden. In der Gestaltung der Götter stehen aegyptisierende Göttinnen-abweichend von der aegyptischen Art immer en face gebildet-mit langem Haar und Blumen in den Händen, gelegentlich auch mit den Kuhhörnern und der Sonnenscheibe dazwischen auf dem Haupte (die dann wohl in eine Darstellung des Mondes umgedeutet werden) neben der babylonischen nackten Göttin des Geschlechtslebens; und gelegentlich werden beide verschmolzen: auch die aegyptisierende, [682] entweder nackt oder mit eng anliegendem Gewand gebildete Göttin preßt die Hände an die Brüste. – Von den Aegyptern hat man die Herstellung von Fayence und Glasfluß gelernt, aber die Vorbilder niemals erreicht. Daneben steht dann noch ein starker Import von Tongefäßen aus Cypern. Durch den vollständigen Mangel an Originalität machen die Ruinenstätten Palaestinas einen noch armseligeren Eindruck als die Sinears, die sonst meist den gleichen Charakter tragen: die Kostbarkeiten, die sie im Leben füllten, sind bis auf wenige dürftige Überreste geschwunden.


Literatur: Das Werk von VINCENT und die Aufsätze von THIERSCH § 356 A. Tell el Ḥesi (Lakiš): PETRIE, Tell el Hesy 1891. BLISS, A mound of many cities 1894. Ta'anak: SELLIN, Tell Ta'annek, Denkschr. Wien. Ak. Phil. Kl. 50, 1904, und Nachlese dazu ib. 52, 1905. Megiddo: SCHUMACHER, Tell el-Mutesellim I, 1908. Jericho: Mitt. D. Orientges. 39, 41 und jetzt SELLIN u. WATZINGER, Jericho (22. Wissensch. Veröffentl. der DOG. 1913). [Für Gazer liegt jetzt die Publikation von MACALISTER vor: The excavation of Gezer, 3 voll., 1912. Auch er steht durchaus unter der Zwangsvorstellung, daß jedes Grab, das sich unter den Fundamenten eines späteren Baus befindet (z.B. das von einer Steinsetzung eingefaßte und mit Beigaben ausgestattete Grab einer alten Frau in Hockerstellung, das zahllosen praehistorischen und altaegyptischen völlig gleichartig ist, vol. II 427 und ähnlich 428f.), ein »Fundamentopfer« sei. Eben so unausrottbar scheint der Aberglaube, daß die verscharrten oder in Krügen beigesetzten Leichen neugeborener Kinder (teils Frühgeburten oder Totgeborene, teils bei der Geburt getötete Kinder) »Kinderopfer« seien.]-Aus diesen Werken sowie den aegyptischen Daten aus dem Neuen Reich ist das hier verwertete Material entnommen, unter Berücksichtigung der Denkmäler und vor allem der Darstellungen der Siegel aus späterer Zeit, sowie der Einwirkung, die über Syrien weiter nach Kleinasien, Cypern und dem Westen gegangen ist. – Cylinder mit Hieroglyphen und babylonischer Darstellung (Gott Amuru?), sowie keilschriftlicher Legende, mit dem echt amoritischen Namen Atanach-ili Sohn des Chabṣim Diener des Nergal, etwa aus der Zeit der 1. Dynastie von Babel: SELLIN, Tell Ta'annek S. 28. Hier taucht in Palaestina der Gott Nergal auf, der sonst bei den Westsemiten nur noch in der phoenikischen Inschrift aus Athen CISem. I 119 nachweisbar ist; und doch handelt es sich schwerlich etwa um einen babylonischen Beamten. – Goldgefaßte Skarabäen des Mittleren Reichs in dem Grabe von Megiddo SCHUMACHER S. 15. – Die charakteristische Tracht der Rezenu im Neuen Reich kehrt in der Figur eines emaillierten Tonreliefs aus Assur wieder: Mitt. D. Orientges. 36, 19.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 674-685.
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