Zunft- und Gildewesen

[1120] Zunft- und Gildewesen. Die Entwickelung des genossenschaftlichen Triebes bewegte sich ursprünglich in den natürlich erwachsenen Gemeinschaften des Geschlechts, der Nachbarschaft, der Mark, des Hauses und des Volkes; über ihnen erhoben sich mit der Auflösung namentlich des Geschlechtverbandes die Herrschafts- und Dienstverbände. Die letzte Stufe der Genossenschaften bilden endlich die freien oder gewillkürten Genossenschaften, welche bloss der gegenseitige Eidschwur, die feierliche Willenserklärung ins Dasein rief. Ihr ältester Name ist Gilde, und die Zeit ihrer Entstehung diejenige der beginnenden Auflösung der alten genossenschaftlichen, besonders der geschlechtsgenossenschaftlichen Verbände; die erste sichere Nachricht solcher auf germanischer[1120] Grundlage beruhenden Einungen findet man in einem Kapitular vom Jahre 779. Sie erstreckte sich auf alle Seiten des Lebens, auf den ganzen Menschen, hatte also zugleich religiöse, gesellige, sittliche, privatrechtliche und politische Ziele; Teilnahme an einer Gilde schloss von jeder andern derartigen Genossenschaft aus, und wenn auch häufig ein bestimmtes Bedürfnis Anlass zur Vereinsbildung gab und demgemäss der Verein vorzugsweise nach einer bestimmten Seite fortgebildet wurde, so waren die Genossen doch auch immer zugleich für alle andern menschlichen Gemeinschaftszwecke vereint. Als religiöse Genossenschaft, als eine Gemeinschaft des Kultus, wie dies wahrscheinlich auch die Wortbedeutung ihres Namens anzeigt, hatte die Gilde einen Heiligen als Schutzpatron, der ihr meist den Namen gab, und einen besondern Altar; Stiftung von Wohlthätigkeitsinstituten, ewigen Messen u. dgl. waren Vereinszweck, ebenso Sorge für das Begräbnis und das Seelenheil verstorbener Genossen. Regelmässige Zusammenkünfte, teils in Erinnerung heidnischer Opfer- und Totenmahle, teils als christliche Liebesmahle, wahrten einen religiösen Charakter und lagen zugleich dem geselligen Charakter der Gilden zu Grunde, die man daher auch convivia nannte. Aber auch sonst hatte die Gilde, die man auch Brüderschaft, confraternitas hiess, für den erkrankten, verarmten oder notleidenden Bruder zu sorgen, wozu regelmässige Beiträge der Mitglieder in Anspruch genommen wurden. Im öffentlichen Recht traten sie als Körperschaften zur Abwehr des Unrechtes auf und nahmen als solche den Charakter von Schutzgilden an, welche durch gemeinsame Selbsthilfe den vom Staate nicht mehr gewährten Rechtsschutz zu erreichen suchten; sie sollten das Eigentum, die Person, das Leben und die Freiheit jedes Genossen schützen, ihm durch Zeugnis und Eideshilfe vor Gericht beistehen. Ihre Organisation ging von der Versammlung aller Vollgenossen aus, die teils zu regelmässigen Zeiten, teils auf besondere Berufung stattfand. Es bestand ein besonderer Gildefriede und ein Gilderecht. Ein eidliches Gelöbnis oder eine anderweitige Erklärung band die Genossen zusammen.

Während nun aber in England das Gildewesen von seiner Entstehung an in einen organischen Zusammenhang mit dem Staate gebracht wurde, traten im fränkischen und anfangs auch im deutschen Reich Staat und Kirche der freien Einung auf das Entschiedenste entgegen und sowohl königliche Verordnungen als kirchliche Gesetze und Konzilienbeschlüsse suchten sie zu unterdrücken, aber ohne Erfolg.

Früh trat eine Spaltung des Gildewesens in gewisse Hauptzweige ein, zuerst eine Scheidung der geistlichen und weltlichen Bruderschaften, ohne dass diese beiden Zwecke immer geschieden gewesen wären. Die geistlichen Bruderschaften verbreiteten sich im spätern Mittelalter so, dass in einer grössern Stadt oft bis zu hundert vorhanden waren, doch sind sie schon weit früher nachgewiesen. Auch sie übten neben religiösen Zwecken solche der Geselligkeit und des Rechtes, hatten ein Gildehaus, das zugleich als Versammlungsort, Festsaal und Trinkstube diente. Eine besondere Art derselben sind die Kalandsgilden. Vgl. den Artikel Bruderschaften. Die weltlichen Gilden, bei denen die religiöse Bedeutung mehr zurücktrat, bilden vor allem die politische Seite ihrer Vereinigung, die Friedens- und Rechtsgenossenschaft aus, sie wurden Schutzgilden, von denen sich hauptsächlich aus englischen,[1121] dänischen, französischen und niederländischen Städten Nachrichten erhalten haben. Auch in Deutschland haben ohne Zweifel schon vor Entstehung der Stadtverfassung ähnliche Gilden bestanden; aber nur von der Richerzeche in Köln vermag man mit Bestimmtheit zu sagen, dass sie eine sehr alte Schutzgilde unter den Mitgliedern der altfreien Markgemeinde Kölns gewesen ist; dieselbe wurde später zum Ausgangspunkt der ältesten Stadtverfassung Deutschlands.

Denn erst in den Städten, für welche die Entwickelung eines reichen und selbständigen genossenschaftlichen Lebens geradezu charakteristisch ist, vollzog sich die Entwickelung der freien Einungen zu bleibenden und staatlich höchst wirksamen Instituten. Zwar die ursprünglichen, aus der vorstädtischen Periode herrührenden Lokal- oder Spezial-Gemeinden, die sich in einigen ältern und grössern Städten erhielten, waren nicht gerade wichtig; doch hatten sie hier immerhin rechtliche, kriegerische, religiöse und wirtschaftliche Bedeutung; in kirchlicher Beziehung waren sie Pfarreien. Besonders ausgebildet findet man sie als Burggenossenschaften in Köln, wo sie ein eigenes genossenschaftliches Recht besassen. Wichtiger als diese lokalen sind die auf freier Vereinigung beruhenden bürgerlichen Genossenschaften, in erster Linie die Köperschaften des Geschlechterstandes. Es waren dies die patrizischen sogenannten Altbürgergilden, die teils aus den alten Schutzgilden oder Brüderschaften aller Vollbürger, teils aus neuen im Gegensatz zu den Körperschaften der aufstrebenden niederen Stände geschlossenen Vereinigungen hervorgingen; sie hiessen höchste Gilde, Zeche der Reichen oder Genannten, Stubengesellschaften, Artushöfe, Junkerkompagnien, Konstaffeln (aus constabulus, Oberstallmeister, franz. connestable), Gewerbschaften, in Italien und Frankreich Hallen oder Lauben. Sie waren Rechtsschutzvereine und übten eine gewisse Gerichtsbarkeit über ihre Mitglieder aus, hatten ihren Schutzpatron, ihre Kapelle, pflegten auf ihrer Trinkstube der Geselligkeit, übten gegenseitige Unterstützung und besassen bewegliches und unbewegliches Korporationsvermögen. Als Hauptbestimmung der Genossenschaft aber erschien mehr und mehr die Erhaltung und Ausübung eines der Gesamtheit der Genossen zustehenden politischen Vorrechtes bezüglich des Stadtregimentes. Dieses Vorrecht war aber verschieden: ursprünglich oft die ausschliessende oder nur mit gleichstehenden Genossenschaften geteilte Gesamtregierung enthaltend, äusserte es sich seit der Ratsverfassung in der alleinigen Ratsbesetzung oder doch in einem Vorrecht bei dieser. Die Kölner Richerzeche hatte das ausschliessliche Recht, andern Vereinen das Zunft- oder Bruderschaftsrecht, das Recht der Eigentumsfähigkeit u.s.w. zu verleihen; sie übte die höchste Handels- und Verkehrspolizei, hatte die Oberaufsicht über den gesamten kaufmännischen und gewerblichen Verkehr und ernannte für jede Zunft einen Obermeister, der neben dem Zunftmeister einen Anteil von den Straf- und Eintrittsgeldern bezog. Mitglied der Genossenschaft konnte man nur durch die erklärte Absicht zum Eintritt und die Aufnahme seitens der Genossen werden, welche neben Unbescholtenheit und ehelicher Geburt stets Reichtum und Ansehen forderten, die den neuen Genossen in stand setzten, »müssig«, d.h. ohne niedere gewerbliche Thätigkeit zu leben; überdies erhob man ein sehr hohes Eintrittsgeld und gelangte zuletzt zu einer vollkommenen Schliessung der Gesellschaft. Den durch sie verschärften Zunftbewegungen erlagen sie entweder völlig oder sie[1122] wurden ihrer Vorrechte beraubt und den übrigen Zünften gleichgestellt.

Die kaufmännischen Gilden sind im 11. und 12. Jahrhundert dadurch entstanden, dass die aus Kaufleuten bestehenden Bürgerverbrüderungen das gemeinsame Handelsinteresse unter die Vereinsangelegenheiten aufnahmen; im 13. Jahrhundert erfuhren diese Gewerbsgilden oder Handelsinnungen eine reiche äussere und innere Entwicklung. Zunächst sind solche in der Heimat und solche im Auslande zu unterscheiden.

Die Gilden der Kaufleute in der Heimat waren eines der hauptsächlichsten Glieder der städtischen Verfassung. Sie standen in der Mitte zwischen den alten Schutzgilden der Volksbürger und den Handwerkerzünften, und teilten mit diesen die gewerbliche Richtung und manche Erinnerung einer einst unvollkommenen Freiheit, während sie mit jenen eine freiere Stellung, ausgedehntere Autonomie und vielfache politische Vorrechte gemeinsam hatten. In den Bürgerschaften älterer Herkunft nehmen sie in der Regel die zweite, in den jüngeren Städten die erste Stelle ein, weil hier die ganze erbgesessene Bürgerschaft aus Kaufleuten zu bestehen pflegte; doch entwickelte sich auch vielfach aus den reich gewordenen Kaufmannsgeschlechtern ein Patrizierstand, der Handel und Gewerbe verschmähte und dessen patrizische Gilden sich dann über die eigentlichen Handelsgilden, die Genossenschaften der aktiven Kaufleute, stellten. Die Handelsinnungen besassen ebenfalls ein selbständiges Korporationsrecht, Strafgewalt, Kasse, Siegel, ebenso gemeinsame religiöse und gesellige Zwecke und die Verpflichtung zu gegenseitiger Unterstützung; doch überwog bei ihnen das Handelsinteresse; und da sowohl der Geist ihrer Statuten als ihnen erteilte Handels-Privilegien und Freiheiten mit der Zeit ein besonderes Handelsrecht schufen, so ging daraus für sie als Genossen zugleich ein Handelsmonopel hervor, ein ausschliessliches Recht auf den Handel eines Landes, einer Gattung oder einer Ware. Ähnlich beschaffen waren die Genossenschaften der deutschen Kaufleute im Auslande; aus vorübergehenden oder wandernden Genossenschaften waren an ausländischen Handelsemporien dauernde Gilden oder Hansen geworden, die bleibende Versammlungshäuser und Lagerstätten besassen und Handelsprivilegien und Freiheiten erwarben. Ihre weitergehende Entwickelung beginnt damit, dass sich die sämtlichen deutschen Einzelhansen einer Stadt zu einer einzigen Genossenschaft verbinden; zwar bestanden die besonderen Körperschaften mit eigenen Vorstehern, Rechten und Vermögen fort, doch bildete den Fremden gegenüber die Gesamtheit ein abgeschlossenes kaufmännisches Gemeinwesen. Von hier aus dehnte sich die Einung über die Gilden anderer Städte desselben Landes aus, um schliesslich die gesamte deutsche Kaufmannswelt in den nordischen Fremdländern zu ergreifen, während gleichzeitig die norddeutschen Städte sich ebenfalls verbanden, bis endlich aus dem Zusammenwachsen der Kaufmannsvereine und Städtebünde die grosse deutsche Hansa hervorging; die Hauptmittelpunkte dieser Genossenschaft waren London, Wisby, Nowgorod und Brügge.

Die zuletzt entstandenen städtischen Genossenschaften sind diejenigen der Handwerker oder die Zünfte. Sie waren ihrem Grundwesen nach Einungen oder Gilden der durch die Gemeinschaft des Berufs einander nahe stehenden Gewerbtreibenden, sowohl der Künstler und der eigentlichen Handwerker, als der nicht den Kaufleuten zugerechneten Krämer und Händler, der Fischer und anderer Personen des[1123] Nährstandes. Als eine auf freigewollter Vereinigung beruhende Verbindung nannte sie sich Brüderschaft, fraternitas, confraternitas, Genossenschaft oder Gesellschaft, consortium, societas, sodalitium, convivium, eine geschworene Einung, unio, conjuratio, oder Innung, Gilde, Zeche (mhd. zeche = Ordnung, Reihenfolge, Wurzel noch nicht sicher erkannt), Gaffel (angelsächsisch gefol, engl. gavel, mittelat. gabulum, zu geben, also eigentlich ein Verein zu gleicher Abgabe) oder Zunft, mhd. die zunft, ahd. zumft = Versammlung, zum Verb ziemen, also ursprünglich wohl soviel als Ziemlichkeit, Passlichkeit zu einander. Der Zweck dieser Gesellschaften war ursprünglich auf die Gemeinschaft überhaupt gerichtet, und neben der Fürsorge für das gleichartige Gewerbe verfolgte sie politische und kriegerische, gesellige und religiöse, sittliche und rechtsgenossenschaftliche Zwecke. In der Regel lag diesen freien Vereinen der Betrieb eines gewissen Handwerkes oder Gewerbes ob und stand ihnen als Gesamtrecht zu, so zwar, dass dieses Gesamtrecht ein öffentliches Amt war und hiess, auch die Genossenschaft selbst darnach ein Amt, officium, hantwerk, gewerk, opus genannt wurde. Der aus dem Amtsbegriff folgende Zunftzwang bestand ursprünglich nur darin, dass den Zünften das Recht erteilt wurde, jeden, welcher das betreffende Handwerksamt erlangte oder ausübte, zum Eintritt in die Genossenschaft zu zwingen; denn nur so konnte nach der Meinung der Zünfte die Ehre des Handwerkes und das gemeine Beste gewahrt werden. Das Gewerbemonopol der Zunft im Verhältnis zu den Unzünftigen beschränkte sich deshalb im 14. und noch wesentlich im 15. Jahrhundert auf den Ausschluss der nicht der Zunftkontrolle unterliegenden Artikel von Verkehr und Handel. Fremde mussten sich nur, wenn sie ihre Waren in die Stadt brachten, der genossenschaftlichen Arbeitspolizei unterwerfen und konnten sonst namentlich auf den regelmässigen Märkten ihre Arbeit absetzen. Erst allmählich traten grössere Beschränkungen der s.g. Gäste hinsichtlich der Zeit, des Ortes und der Art des Verkaufes ein, die sich aber erst spät zu völliger Ausschliessung der Konkurrenz fremder Städte und zu ungebührlicher Ausdehnung des Bannmeilenrechts oder des Verbotes des Handwerksbetriebes auf dem umliegenden Lande steigerten. Auch im Verhältnis zu den übrigen städtischen Körperschaften, Kaufleuten und Krämern einerseits, verwandten Zünften andererseits, über welches schon im 14. Jahrhundert viel gestritten und verordnet wurde, waltete doch mehr der Gedanke, die öffentliche Stellung der Zunft zu schützen, als durch Beschneidung der Konkurrenz den Gewinn der einzelnen zu erhöhen. So war auch in den Zeiten der aufsteigenden Entwickelung die Erteilung des vollen Gewerbeberufes durch die Aufnahme in die Zunft weit weniger eine Frage des Nutzens als der Macht, des Ansehens und der Ehre der Genossenschaft; vor allem wurde daher makelloser Ruf verlangt, wozu nach mittelalterlicher Anschauung auch eheliche Geburt erforderlich war. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert kam in vielen Zünften das Erfordernis eines bestimmten eigenen Vermögens hinzu, und endlich verlangte man, dass der Neueintretende das Handwerk verstehe. Die Forderung einer bestimmten Lehr- und Dienstzeit jedoch, eine s.g. Probe- oder Mutzeit, und dgl. wurde ursprünglich nicht verlangt, dagegen seit dem Ende des 14. Jahrhunderts eine förmliche Prüfung durch Anfertigung des Meisterstückes üblich. Vermochte Jemand diese Erfordernisse durch ein Zeugnis seiner Zunft oder Stadt nachzuweisen,[1124] so wurde ihm die Aufnahme nicht versagt; Schliessung der Zunft, seit dem 16. Jahrhundert ihr vornehmstes Privileg, galt ursprünglich als gefürchtetes Verbot; so weiss auch die frühere Zeit nichts von s.g. Bönhasen oder Pfuschern. Der Entrichtung von Gebühren an die Zunftkasse von seite des Eintretenden, von Wachs zu Kerzen, Rüstzeug zur Zunftwehr, Wein oder Bier zum Trunke, auch wohl einer ganzen Mahlzeit, was man den Kauf der Zunft nannte, lag ursprünglich der Gedanke eines Einkaufs an das Zunftvermögen zu Grunde. Das Genossenrecht war unübertragbar, unveräusserlich, unteilbar und unvererblich, nur dass Söhnen von Genossen und denen, welche die Tochter oder Witwe eines solchen ehelichten, Erleichterungen und Begünstigungen bei der Aufnahme zu Teil wurden. Auch in dieser Beziehung beginnen die Auswüchse des Familiensinnes erst im 15. Jahrhundert.

Die Zunft war zugleich eine Gemeinde für sich und ein Teil und Organ der Stadtgemeinde. In letzter Hinsicht war sie nicht bloss Trägerin eines ihr von der Stadt anvertrauten Amtes, sondern zugleich ein städtischer Wahlkörper, dessen Vorstände in den städtischen Kollegien die gesamte Bürgerschaft vertreten halfen, sie war von Wichtigkeit für die Steuerverfassung der Stadt, bildete eine eigene Abteilung im Bürgerheer, die unter dem Zunftbanner focht und im Frieden Waffen in Bereitschaft hielt. Im Übrigen suchte man möglichst die Harmonie zwischen Selbstverwaltung und Aufsichtsrecht, zwischen genossenschaftlicher Freiheit und staatlicher Einheit herzustellen. Für die Entstehung einer Zunft musste zur freigewollten Einigung der Genossen die Genehmigung des Rates hinzutreten, ebenso zur Vereinigung bisher getrennter Ämter zu einem. In ältern Zeiten unvollkommener Freiheit wurden den Zünften patrizische oder dienstmännische Vorsteher gegeben; später, als sie ihre Vorsteher selbst wählten, unterlag wenigstens die Ernennung oder Bestätigung der Meister oder Älterleute dem Rat, bis zuletzt die Zunft in der Wahl ihrer Vorstände ganz selbständig wurde. Ähnlich verhielt es sich mit dem freien Versammlungsrecht der Zünfte. In den innern genossenschaftlichen Angelegenheiten war zur Zeit der Zunftfreiheit die Selbstverwaltung wenig oder nicht beschränkt. In politischer und militärischer Hinsicht war die Zunft für ihre Genossen das verkleinerte Abbild der Stadt, doch kam es vor, dass mit der Zeit durch Eintritt von Nichthandwerkern, Teilung des Gewerbes u. dgl. neue gewerbliche Innungen entstanden, die sich mit den politisch-militärischen Zünften nicht mehr völlig deckten. In religiöser Hinsicht hatte die Zunft einen Heiligen als Schutzpatron, verfolgte kirchliche und wohlthätige Zwecke, versammelte ihre Mitglieder zu Gebet und Andacht, unterhielt oft einen eigenen Altar oder doch eigene Kerzen in der Kirche und liess für die verstorbenen Brüder Seelenmessen singen; doch geschah es auch hier, dass aus der gesonderten Verwaltung des Kirchenvermögens der Zunft und durch Hinzuziehung der Frauen und anderer Mitglieder sich zuletzt aus einer Zunft eine selbständige geistliche Bruderschaft ablöste. Von grossem Einfluss wurde das gesellige Leben der Zünfte, in dem sich eine Reihe positiver Sittengebräuche ausbildete, die ebensowohl das tägliche Leben auf den Zunftstuben und Herbergen als die einzelnen feierlichen Akte vor der Genossenschaft mit sinnigen Formen umkleideten; zu formalen und zwingenden Zeremonien arteten diese jedoch erst später aus. Als sittliche Verbindung machte die Zunft ihren Genossen eine gegenseitige werkthätige Liebe zur Pflicht, die sich[1125] in der Unterstützung kranker oder verarmter Genossen und in der Veranstaltung eines ehrenvollen Begräbnisses kund gab, und übte eine Sittenpolizei über ihre Mitglieder aus, namentlich über die Gesellen und Lehrlinge. Die Hauptpflicht der Zunft als Wirtschaftsgenossenschaft war die Sicherung der Güte und Brauchbarkeit des Arbeitprodukts, herbeigeführt besonders durch die genossenschaftliche Kontrole der Arbeit; auf Verzögerung der Arbeit, auf Anfertigung und Verkauf schlechter Ware waren Strafen gesetzt und eine regelmässige Visitation der Werkstätten und der Arbeit durch die Zunftvorsteher, die sog. Schau, eingeführt: auch Maximalpreise wurden von den Zünften aufgestellt. Die Zunft verpflichtete ihre Mitglieder zur Arbeit in Person; in deren Dienst sollte das Kapital stehen; überhaupt aber wurde unbedingte Gleichheit aller Genossen angestrebt, daher kam die Ausschliessung der freien Konkurrenz unter den Genossen und die äusserste Beschränkung des Einzelnen bei Produktion und Absatz zu gunsten der Gesamtheit, Beschränkungen, die zwar der Entfaltung des Einzelnen hinderlich waren, aber den Stand der Gewerbtreibenden hob und anfangs nicht als hemmende Fesseln gefühlt wurden. Diese Beschränkungen bezogen sich in erster Linie auf die Beschaffung des Rohstoffes, so zwar, dass entweder alles Material nur gemeinschaftlich angeschafft werden durfte oder dem Einzelnen verboten war, Rohstoffe bestimmter Art über ein gewisses Quantum hinaus oder nur für sich selbst zu kaufen, ohne die Gelegenheit zum Kauf den Brüdern anzuzeigen. Möglichste Gleichheit wurde ferner angestrebt bezüglich des Umfanges der Produktion, worauf namentlich die Fixierung der Zahl der Lehrlinge und Gesellen eines Meisters hinzielt; auch die Arbeitszeit war oft fixiert. Damit die Kosten der Produktion gleich seien, wurde der Arbeitslohn von der Zunft reguliert und sowohl Betrag als Art der Arbeitsentschädigung für Lehrlinge und Gesellen genau bestimmt, überhaupt auch das ganze Verhältnis zwischen Meister und Gehilfen von der Genossenschaft für Alle gleich geordnet. Bezüglich des Absatzes war, um die Genossen gleich zu machen, verordnet, dass kein unanständiges oder unredliches Mittel, keine unschickliche Reklame u. dgl. stattfinden solle. Der Verkauf mittels Hausierens war in der Regel ganz verboten. Oft sollte jeder nur einen Laden oder eine Verkaufsstätte halten, Kunden oder Käufer durfte man sich nicht gegenseitig abwendig machen. Sogar das Vermögen der Zunft diente nicht bloss zu allgemeinen Zunftzwecken, sondern gleichmässig durfte auch jeder die Zunfthäuser besonders bei Familienfesten zu seinem geselligen Vergnügen benutzen. In bezug auf das Recht der Zunft gab es einen besondern Zunft-Frieden, dessen Handhabung, Wahrung und Herstellung bei ihr war, und ein Zunftgericht, vor welches alle Streitigkeiten unter Genossen gebracht werden mussten, ehe man an den ordentlichen Richter ging.

Die Organisation der Zünfte stellte an die Spitze die Versammlung der Meister; dieselben waren auf regelmässigen oder gebotenen Dingen den echten und gebotenen Dingen der freien Gemeinde nachgebildet. Organ der Gesamtheit waren die gewählten oder erlosten, nach Zahl und Amtsdauer verschiedenen Meister oder Älterleute, die vereidigte und verantwortliche Obrigkeit der Zunft. Schutzgenossen der Zunft, die nur passiv an dem Frieden und Recht der Körperschaft teilnahmen, waren einesteils die Frauen und Kinder der Amtsbrüder, andernteils die Lehrlinge und Gesellen. Dieselben waren anfänglich überall Mitglieder des Hauswesens ihres Meisters und[1126] der Zunftgerichtsbarkeit unterworfen. Schon die Lehrjungen bedurften einer förmlichen Aufnahme ins Amt, wobei Unbescholtenheit, freie, eheliche und deutsche Geburt und die Entrichtung gewisser Eintrittsgebühren in Geld, Wachs, Wein oder Bier gefordert wurden. Durch Absolvierung der vorgeschriebenen Lehrzeit erlangte der Lehrling das Recht, in die Klasse der Gesellen aufgenommen zu werden. Die Gesellen standen zu ihrem Meister wie zu der Zunft ursprünglich rechtlich in demselben Verhältnis wie die Lehrlinge; auch der Geselle, »Knecht« oder »Knappe«, gehörte zum Hauswesen des Meisters, dessen Haus er nicht einmal auf eine Nacht verlassen durfte; zunächst war auch er der Hausgewalt des Meisters, in höherer Instanz aber der Zunft unterworfen. Hatten sie aber die vorgeschriebene Dienstzeit ausgehalten oder statt dessen auf der Wanderschaft, die zwar erst im 16. Jahrhundert rechtliches Erfordernis wurde, schon vorher aber üblich war, unter Wahrung des Zusammenhangs mit der Zunft die nötigen Fähigkeiten erworben, so hatten sie einen Rechtsanspruch auf die Aufnahme als Meister. Sie waren also in der Blütezeit des Zunftwesens nichts als werdende Meister und es gab keinen besonderen Stand der Gesellen, keinen unselbständigen Arbeiterstand, sondern nur eine Lehr- und Dienstzeit als Vorschule und Vorstufe für eigene Ausübung des Amtes. Deshalb war auch von einer besondern körperschaftlichen Verbindung der Gesellen ursprünglich nicht die Rede, nur dass zu frommen Zwecken geistliche Brüderschaften unter ihnen vorkamen. Sobald indes, was seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts geschah, durch die Erschwerungen des Meisterwerdens, die Verlängerung von Lehr- und Wanderzeit und das Vorkommen von Gesellen, die nie Meister würden, die Gesellen in einen gewissen Gegensatz zu den Meistern traten, da traten sie auch zu eigenen Gesellschaften zusammen, nannten sich auch seitdem erst mit dem Namen »Gesellen«, stellten eigne Rollen und Statuten auf, wählten eigene Vorstände (Altgesellen) und Beamte und verwalteten unter Aufsicht eines ihnen meist gegebenen Meisters (Gesellenvater) ihre Angelegenheiten selbst; schon früh führten sie planmässige Koalitionen und Arbeitseinstellungen herbei.

Wie überhaupt in den Genossenschaften des Mittelalters der Trieb herrschte, sich mit gleichartigen Vereinen zu grösseren Gesamtheiten zu verbinden, so war auch die Genossenschaft der Handwerker bestrebt, Innungsvereine über den einzelnen Zünften zu gründen, und sowohl in einzelnen Städten standen teils vorübergehend teils dauernd die verschiedenen Zünfte in mehr oder minder organisiertem Verbande, als auch förmliche Kreisvereine aller Zünfte einer Gegend oder eines Landes vorkamen. Zu einer allgemeineren engen Verbindung der Zünfte trug sodann die Gewohnheit und später die Vorschrift des Wanderns bei; es wurde dadurch geradezu die Vorstellung einer Gesamtgenossenschaft aller Handwerker des Reiches geweckt, durch welche sich ein gemeiner deutscher Handwerksgebrauch und ein gemeines deutsches Handwerkerrecht ausbildete; die eigentlichen Träger dieser Gemeinsamkeit sind aber weit weniger als die Meister, die Gesellen, deren Gesellenzünfte mehr als die Meisterzünfte in einen regen Gesamtverkehr traten und ein gemeines Gesellenrecht und gleichartige Anschauung und Sitte hervorbrachten.

Im Gewerbe der Steinmetzen traten sogar vor der Gesamtgenossenschaft die lokalen Bruderschaften in den Hintergrund. Anfänglich zunächst in den einzelnen Städten und Gegenden[1127] vereint, wirkte in ihnen früh die Idee von einem durch das ganze deutsche Reich vertretenen Bruderbund. Durch traditionell fortgepflanztes und von der Sage auf die Heiligen zurückgeführtes Gewohnheitsrecht entstand allmählich eine bestimmte Verfassung dieser Verbindung, vgl. den Art. Bauhütten.

Seit dem 16. Jahrhundert zeigen sich im Zunftwesen die Keime des Verfalls. Statt der freien Einung der Berufsgenossen wurde das zum Privileg und womöglich zum Monopol gestaltete Recht auf eine bestimmte Art des Gewerbebetriebes Grundlage und Zweck der Zunft; mehr und mehr ging der sittliche Inhalt der Zunft verloren und die alten Genossentugenden schlugen in die entsprechenden Fehler um. Als begehrenswertestes Prinzip erstrebte jetzt die Zunft die Geschlossenheit, so dass oft das Handwerk als das erbliche Besitztum einer Anzahl von Familien erschien; in vielen Statuten wurde für den Fremden die Heirat einer Meisterwitwe oder Meistertochter zur unerlässlichen Bedingung der Aufnahme gemacht und verheirateten Männern der Eintritt versagt. Die Vorbedingungen des Eintritts für den Lehrling wurden erschwert, die Gebühren erhöht, die Gesellen durch Verlängerung der Wanderzeit und durch besondere das Meisterstück betreffende Verordnungen schikaniert. Eine immer mehr vermehrte Anzahl von Beschäftigungen wurde für unehrlich erklärt, Leinweber, Barbiere, Müller, Zöllner, Stadtknechte, Gerichtsdiener, Turm-, Holz- und Feldhüter, Totengräber, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer, Bachfeger, Schäfer, Musikanten (siehe den Artikel unehrliche Leute). Wegen der Schuld der Frau schloss man den Ehemann, wegen derjenigen der Eltern die Kinder aus. Mehr und mehr wurden die Gesellen der Genossenschaft der Meister entfremdet. Die Organisation der Zunft wurde oligarchisch gestaltet. Die politische Bedeutung hörte seit dem Niedergang der Reformationsbewegung meist ganz auf. Brutale Handlungen gegen Pfuscher und Störer, Grenzirrungen und Gewerbsstreitigkeiten mit anderen Zünften und Professionen, ausführlichste Arbeitsregulierung, Fixierung der Arbeiterzahl, Beschränkung der Materialbeschaffung, der Werkzeuge, des Absatzes u. dgl. waren an der Tagesordnung. An die Stelle der religiössittlichen Genossenpflichten trat ein verschnörkeltes Zeremoniell, rohe Gelage, gegen den Neuling geübte Spässe. Von seiten des Staates suchte man jetzt die Zünfte dem obrigkeitlichen System einzuordnen und sie zu blossen Polizeianstalten zu machen. Entstehung und Aufhebung der Zunft wurde unbedingt in den Staatswillen verlegt; die Obrigkeit erlangte einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Zunft, indem sie besondere Freimeister für die Zunft ernannte; das Lehrlingswesen wurde obrigkeitlich reguliert und eine Menge Verordnungen erlassen über Dinge, welche früher bloss Sache der Zunft gewesen waren; doch gaben sich diese obrigkeitlichen Erlasse oft Mühe, eingerissenen Schäden und Missständen im Zunftwesen abzuhelfen. Nach Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft. Berlin 1868. Vgl. Mascher, Das deutsche Gewerbewesen. Potsdam 1866.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1120-1128.
Lizenz:
Faksimiles:
1120 | 1121 | 1122 | 1123 | 1124 | 1125 | 1126 | 1127 | 1128
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon