Zwerge

[1128] Zwerge und Riesen. Die Zwerge gehören zu der Klasse der Elben oder Wichte, mit welchen Namen man Wesen bezeichnet, denen etwas Übermenschliches, was sie den Göttern nähert, beigemischt ist, welche die Kraft besitzen, dem Menschen zu schaden und zu helfen, sich aber zugleich wieder vor diesem scheuen, weil sie ihm leiblich nicht gewachsen sind, indem sie entweder weit[1128] unter menschlichem Wachstum oder ungestaltet erscheinen, und welchen das Vermögen eigen ist, sich unsichtbar zu machen. Solche Elben kommen schon in der indischen Mythologie vor unter den Namen Maruts, Ribhus, Rudras. Marut ist aber abgeleitet von der Wurzel mri, sterben, und so sehen wir, dass ursprünglich die Elben als die Seelen von Verstorbenen angesehen wurden. In der germanischen Mythologie ist diese Anschauung allerdings sehr verwischt, sie erscheinen hier vielmehr als Halbgötter, welche Vorgänge in der Natur bildlich darstellen sollen. In der Edda werden die Elben eingeteilt in Giôsalfar (Lichtelben) und Swartalfar oder Döckalfar (Schwarz- oder Dunkelelben). Zu den Dunkelelben werden nun auch die Zwerge gerechnet, deren Namen im Gotischen dvairgs, ags. dveorg, ahd. tuerc, mhd. tverc lautet und nach Grimm von dem Griechischen ϑεουργός, d.h. übernatürliche Dinge verrichtend, herstammt. Diese Annahme bestätigen nicht nur die Gesetze der Lautverschiebung, sondern auch der Volksglaube, der sich die Zwerge, gleich den Kyklopen, gern als kunstfertige Schmiede denkt, welche in Bergeshöhen ihr Wesen treiben. Entstanden sind die Zwerge als Maden in dem Leichnam des Riesen Ymir, später wurde ihnen Verstand zu teil, so dass sie nur der Gestalt nach dem Menschen nachstehen, indem sie schon mit dem dritten Jahre ausgewachsen und mit dem siebenten Greise sind. Die Vorstellungen über die Grösse der Zwerge schwanken noch. Bald sollen sie das Wachstum eines vierjährigen Kindes erreichen, bald nur Daumengross sein, unter welchen Umständen sie dann Däumling genannt werden, bald, wie der kleinste in einem dänischen Liede, nicht grösser als eine Ameise sein. Zu dieser Kleinheit kommt in der Regel noch ein Höcker, eine dunkle Gesichtsfarbe und grobe Tracht hinzu. Auch ihre Füsse sind ungestaltet, oft denen der Ente gleichend, weshalb sie dieselben stets sorgfältig den Menschen verbergen und sehr ungehalten werden, wenn Neugierige durch Asche, welche sie den Zwergen auf den Weg streuen, die Form der Füsse erforschen wollen. Die Zwerge bilden unter sich ein Volk, dem ein Zwergkönig vorsteht. Manche unter diesen Herrschern haben eine Berühmtheit erlangt. Es sei hier nur an Alberich erinnert, der in der französischen Dichtung als Oberon erscheint, dann an Schilbung und Nibelung, welche im Nibelungenliede eine Rolle spielen. Ferner sind zu erwähnen Sinnels von Palakers und Laurin, ersterer aus dem Wartburgkrieg, letzterer als Herr des Rosengartens im Tirolergebirge bekannt. Die Zwerge wohnen in Schluchten und Höhlen des Gebirgs, das sie trotz Abgründen und Abhängen mit wunderbarer Behendigkeit und Sicherheit durchstreifen. Im Innern der Berge dienen prächtige Gemächer oft den Zwergfürsten zur Wohnung, wohin auch Menschen und Helden oft gelockt, festgehalten und dann reich begabt entlassen werden. Überhaupt brauchen die Zwerge die Menschen. So holen sie Frauen und Hebammen, um kreissenden Zwerginnen beizustehen, dann wenden sie sich an verständige Männer, wenn es sich um Teilung eines Schatzes handelt, und endlich erbitten sie von den Menschen Räumlichkeiten, um ihre Hochzeiten darin abhalten zu können. Mit dem, was die Unterwelt bietet, mit Segen, und Glück spendenden Kleinodien werden die Menschen jeweilen belohnt für ihre Dienste und Zuvorkommenheit. Den Zwergen sind auch Heilkräfte bekannt, welche Pflanzen und Steinen innewohnen. Trotz ihrer geistigen Überlegenheit haben die Zwerge vor dem Menschen[1129] doch eine gewisse Scheu. Besonders zuwider ist ihnen als heidnischen Wesen und rohen Natursöhnen die Ausbreitung des Christentums und der Kultur, namentlich wenn letztere in ihr Bereich kommt, Felder bestellt und die Berge mit Schachten durchwühlt werden. Daraus entspringt nun aber auch ein feindliches Verhältnis zwischen Zwergen und Menschen. Diese achten jene nicht und so schaden die Zwerge den Menschen und necken sie. Die Berührung oder der Anhauch von Zwergen kann bei Menschen und Tieren Krankheit und Tod verursachen. Ihr Schlag lähmt Körper und Geist. Das Volk schreibt den Elben auch die Astlöcher im Holze zu; wer durch ein solches, oder durch das Loch, welches der Pfeil eines Zwergs in die Haut eines Tieres geschossen, schaut, der sieht sonst verborgene Dinge. Allen Zwergen steht das Vermögen zu, sich unsichtbar zu machen, teils vermittelst ihrer Kopfbedeckung, den sogenannten Nebel- oder Tarnkappen, teils mit Hilfe ihrer Röcke oder Mäntel. Wer eines dieser Kleidungsstücke an sich zu reissen versteht, gewinnt nicht nur die Macht sich unsichtbar zu machen, sondern auch grössere Körperstärke und die Herrschaft über das Volk und das Eigentum der Zwerge. Von ihrer Fähigkeit, die Gestalt zu bergen, machen die neckischen Wichte oft Gebrauch, um die Menschen zu betrügen und zu täuschen. Ihrem Einfluss wird auch eine Krankheit zugeschrieben, welche eine Verfilzung der Kopfhaare zur Folge hat; Alpzopf, Drutenzopf, Wichtel- oder Weichselzopf wird diese Erscheinung genannt. Das englische Verbum »to elf« heisst geradezu »das Haar verfilzen«. Alle Zwerge und Elben sind diebisch und entführen nicht nur leblose Dinge, sondern auch Menschen, namentlich Jungfrauen und Kinder, an deren Stelle sie dann die sogenannten Wechselbälge, hässliche kretinenartige Geschöpfe in die Wiege legen. Verhindern kann man den Kinderaustausch, wenn man einen Schlüssel, oder eines von des Vaters Kleidern, oder Stahl oder Nähnadeln in die Wiege legt, den Wechselbalg sich vom Halse schaffen aber, indem man durch etwas Sonderbares, z.B. durch Wasserkochen in Eierschalen, ihn in Verwunderung versetzt. Zweck der Jungfrauen- und der Kinderentführung ist den Zwergen durch Kreuzung mit dem Menschen ihr eigenes Geschlecht auf eine höhere Stufe der Entwickelung zu bringen. Ein unwiderstehlicher Hang zur Musik und Tanz wohnt den Elben inne. In Mondscheinnächten fröhnen sie auf Wiesen ihrer Lust. Wehe dem, der sich durch die süssen Töne zur Neugierde verlocken lässt, um ihn ists geschehen. Auch die Gabe der Weissagung wird den Zwergen zugeschrieben, oft erscheinen sie als kluge Ratgeber. Die Zwerginnen spinnen und weben feine Stoffe, die Männchen aber schmieden kunstvolle Geräte. Gegen kleinen Lohn kann man rohes Eisen, das man vor die Höhlen der Zwerge legt, am andern Morgen geschmiedet und verarbeitet wieder abholen.

Unter den Elben spielen nun einige eine besonders bedeutende Rolle, so der Pilwitz, dessen Name in zahlreichen Variationen häufig in mhd. Gedichten auftritt. Er ist ein böser Dämon, der Haare verfilzt und verwirrt und dem Landmann namentlich dadurch zur grossen Plage wird, dass er, eine Sichel an den Fuss gebunden, durch das reifende Korn geht. Von dem Teil des Getreidefeldes, welchen er mit seiner Sichel durchschneidet, fliegen alle Körner in seine Scheune, oder in diejenige des Bauern, dem er gerade als Hausgeist dient. Oft reitet er auch auf einem Bock durch die Getreidefelder. Dem Pilwitz zur Seite steht der Scrat,[1130] der in Wäldern herumspukt und sich im Laufe der Zeit aus der ernsteren, grösseren Gestalt des Waldteufels zu dem kleinen, neckischen Schrettel entwickelte. Er hat in seinem Wesen viel Ähnlichkeit mit den Satyrn und Faunen der griechischen und römischen Mythologie. Der Wald wird noch von anderen kleinen Geschöpfen bewohnt, den sogen. wilden Leuten, Waldleuten, Holzleuten, welche dem Menschen immer hilfreich zur Seite stehen und deren grösster Schreck der wilde Jäger und Kümmelbrot ist.

In Zusammenhang mit den Waldgeistern stehen die Wassergeister, welche allerdings oft nicht als kleine Geschöpfe aufgefasst werden, sondern vielmehr als ungeheure Geister, ein Schrecken des Meeres, wie die Nicores im Beowulf. Die weiblichen Wesen heisst man Nixen, die männlichen Nixe, welche Namen sich auf das ahd. nichus, ags. nicor, zurückfuhren lassen. Die männlichen Wassergeister werden gewöhnlich schon ältlich und langbärtig vorgestellt. Viel bekannter sind die weiblichen Geschöpfe, die Nixen, welche so oft von Dichtern verherrlicht werden und deren Zaubergesang manches Menschenkind hinabgelockt hat in die Wassertiefe, wo prächtige Korallenpaläste die reizenden Jungfrauen aufnehmen.

Neben der Bezeichnung Nixe kommt auch der Name Mummel, Mühmchen, Wassermuhme vor, denen unter anderem der düstere Mummelsee im mittleren Schwarzwald seinen Namen verdankt. Wie die Oper »Undine« von Lortzing, oder das Märchen »Melusine« zeigt, verlassen die Nixen oft ihre nasse Heimat und mischen sich unter die Menschenkinder. Doch zu einer bestimmten Zeit müssen sie wieder zurückkehren in ihr Wasserreich. Wer sich verspätet, wird vom Wassermann, dem Herrn der Nixen, ermordet, ein Blutstrahl, welcher aus der Tiefe des Gewässers emporspritzt, zeigt deutlich an, wie as unglückliche Mädchen ihre Versäumnis gebüsst. Überhaupt sind die Wassergeister viel blutdürstiger als ihre Vettern in Gebirg und Wald. Ein unschuldiges Kind wurde in alter Zeit dem Nichus geopfert, und noch herrscht der Glaube, dass der Wasserneck Ertrunkene als Opfer in das nasse Grab gezogen habe.

Dem Menschen am nächsten stehen die Hausgeister, die Kobolde oder Heinzelmännchen. Sie sind stets männlichen Geschlechts. Aus Buchsbaumholz wurden kleine Männchen geschnitzt und im Zimmer aufgestellt. Was früher heiliger Ernst war, indem man in diesen Holzfiguren gütige Laren verehrte, wurde später zum Scherz. In Gestalt, Aussehen und Tracht kommen sie den Zwergen gleich. Ihr Kopfhaar und Bart ist rot, auch sie tragen die spitze rote Kapuze. Sich unsichtbar zu machen liegt ebenfalls in ihrer Macht. Mittelst gefeiter Schuhe oder Stiefel ist es ihnen leicht, die weitesten Wege mit der grössten Geschwindigkeit zurückzulegen. Ihre Wohnstätte ist meistens Stall oder Scheune. Hier und in der Küche ist der Bereich ihres stillen, unsichtbaren Schaffens und Wirkens. Glück und Segen ist in dem Hause, in welchem ein kleiner Hausgeist sein Wesen treibt. Fleissige Dienstboten unterstützt er, faule aber haben von seinen Neckereien viel zu leiden. Treu hält er bei seinem Hausherrn aus, ja er vermehrt sogar dessen Gut auf Kosten der Nachbarn. Er ist mit sehr geringem Lohn zufrieden. Essen und Trinken muss ihm täglich hingestellt werden. Dann fordert er noch, wenns hoch kommt, einen Hut, eine rote Kappe, einen bunten Rock mit klingenden Schellen.[1131] Manchmal nehmen es aber die kleinen Wichte übel, wenn man sie mit Kleidern beschenkt, und ziehen von dem Hause weg, aus welchem dann zugleich auch aller Wohlstand, die Eintracht, kurz das Glück schwindet. Diese Kobolde sind überhaupt sehr empfindlich. Werden sie im geringsten vernachlässigt, so rächen sie sich an den Hausgenossen im besten Fall durch Wegzug, oder sie lassen ihnen und dem Vieh als Polter-, Plage- und Quälgeister Tag und Nacht, bei Arbeit und Schlaf keine Ruhe. Es kann den Bösewichten sogar in den Sinn kommen, einem einfach das Haus über dem Kopfe anzuzünden.

Treffend wird der Charakter der soeben kurz beschriebenen Geister durch Grimm in folgenden Worten zusammengefasst: »Durch das ganze Wesen der Elbe, Nixe und Kobolde geht ein leiser Grundzug von Unbefriedigung und Trostlosigkeit: Sie wissen ihre herrlichen Gaben nicht recht geltend zu machen und bedürfen immer der Anlehnung an die Menschen. Nicht nur streben sie, ihr Geschlecht durch Heirat mit Menschen zu erfrischen, sie haben auch zu ihren Angelegenheiten des Rates und des Beistands der Menschen von nöten. Obgleich geheimer Heilkräfte der Steine und Kräuter in höherem Grade als die Menschen kundig, rufen sie dennoch zu ihren Kranken und kreissenden Frauen menschliche Hilfe, leihen von den Menschen Back- und Braugeräte, feiern selbst ihre Hochzeiten und Feste in Sälen der Menschen. Daher auch ihr Zweifel, ob sie der Erlösung teilhaftig werden können, und der unverhaltne Schmerz, wenn verneinende Antwort erfolgt.«

Den stärksten Gegensatz zu den Zwergen bilden die Riesen. Sind die Zwerge an Verstand dem Menschen überlegen, stehen sie ihm aber nach in bezug auf den Körper, so wohnt gerade bei den Riesen in einem kräftigen Leibe ein beschränkter Geist. Im Norden heissen die Riesen Jötunn, plur. Jötnar, das Simrock von dem Got. »itan«, »essen« ableitet, so dass dadurch der Riese als der Gefrässige bezeichnet würde, während der andere vorkommende Name Thurs mit unserm Durst zusammenhängt und so dem Riesengeschlechte auch die Liebe zum Trunk zugeschrieben wird. Jedenfalls ist sicher, dass in dem Wesen der Riesen das sinnliche weit über dem geistigen steht, der Körper weit über der Seele. In der Schöpfungsgeschichte sind die Riesen die ersten lebenden Wesen. Der Urriese Ymir ist aus dem Niederschlag der urweltlichen Gewässer, aus Reif und Tau entstanden und aus seines Leibes ungeheurer Masse wurde hernach Erde, Wasser, Berg und Wald erzeugt. Die Riesen werden für dumm und einfältig gehalten; in der deutschen Mythologie wenigstens wird ihnen Treuherzigkeit zugeschrieben, während sie in andern Gegenden Europas in dem Rufe wilder Menschenfresser stehen. Doch nicht alle Riesen trifft der Vorwurf der Dummheit. Lange streitet im Rätselkampfe Wodan mit dem weisen Vafthrudnir und erst durch einen Trunk aus Mimirs Quelle kann Wodan Allwissenheit erlangen. Zum Zorne gereizt, werden die Riesen, wie es bei geistig nicht hoch begabten Wesen in der Regel der Fall ist, furchtbar ungestüm und sind dann ebenso tückisch und plump im Angriff, als sie gutmütig und plump in der Ruhe waren. Felsblöcke werden gegen die Feinde geschleudert, ganze Bäume aus dem Boden gerissen und so heftig gestampft, dass das Bein bis zum Knie in die Erde einsinkt. Zu den Göttern stehen die Riesen bald freundlich, bald feindlich. Zwischen der Wohnung der Riesen, Jötunheimr, und dem Göttersitz[1132] Asaheimr finden häufige gegenseitige Besuche statt. Manche Götter sind mit Riesentöchtern, die sich oft durch bezaubernde Schönheit auszeichnen, durch die Ehe verbunden. Wollen aber, wie es auch geschieht, die Riesen, gleich himmelstürmenden Titanen, die Götter stürzen und die Weltherrschaft an sich reissen und entspinnt sich ein Kampf, so ist ihr furchtbarster Feind Thor, welcher mit seinem Hammer schon manches Rebellen Haupt zerschmettert. Die Rolle Thors als gewaltiger Riesenüberwinder wurde in der christlichen Sagengeschichte dem heil. Olaf anvertraut. Was das Verhältnis zu den Menschen betrifft, so ist es beinahe rührend zu sehen, wie den Riesen die Erdbewohner zwar an Körper als nichtige Käfer oder im Staube wühlendes Gewürm erscheinen, wie sie aber doch fühlen, dass der geistig Starke trotz seiner physischen Schwäche die Fleischkolosse immer mehr verdrängt und dass sie selbst so vor dem Vorschreiten der Kultur einem sichern Untergange entgegengehen, wie die Urwälder und die wilden Tiere, welche in diesen hausten. Wie die Riesen ihre Abhängigkeit von den Menschen fühlen, das zeigt die weitverbreitete Sage von dem pflügenden Landmanne mit seinen Zugtieren, den ein Riesenmädchen in der Schürze dem Vater als artig Spielzeug zuträgt, von ihm aber strenge angehalten wird die zappelnden Dinger wieder an Ort und Stelle zu bringen.

Die Riesen wohnen auf Felsen und Bergen; ihre ganze Natur hängt mit dem Steinreich zusammen, sie sind entweder belebte Steinmassen oder versteinerte, früher lebendige Geschöpfe. Auch ihre Schutz- und Angriffswaffen, Schild und Keule, sind aus Stein. Wie bei den Zwergen kann man aber auch bei den Riesen neben Bergriesen noch Wald- und Wasserriesen unterscheiden, je nach ihrem Aufenthaltsort. Zu den Wasserriesen gehört z.B. der aus dem angelsächsischen Epos Beowulf bekannte und berüchtigte Grendel. Spuren von Waldriesen finden sich in zahlreichen Sagen. Kyklopenmauern kennt nicht nur Griechenland, sondern auch Deutschland. Den Riesen werden auch hier Bauten der Vorzeit zugeschrieben. In Riesenbergen, Riesenhügeln, Hünenbetten dachte sich das Volk die Leichname der Kolosse ruhend, oder aber es sind diese oft sehr bedeutenden Erhöhungen durch Riesen hergetragen worden. In Norddeutschland ist die Sage weitverbreitet, dass ein Riese eine Brücke über eine Meerenge bauen wollte, zu diesem Zwecke Steine oder Sand herbeitrug, dann etwas von seiner Last fallen liess, wodurch denn ein Berg, eine Sandbank oder gar eine kleine Insel entstand. Die grössten Steine, und Felsblöcke dachte die Volksphantasie an den bestimmten Ort gesetzt, weil sie einst den Riesen im Schuh drückten, wie uns Sandkörner oder kleine Kiesel. Mit der Grösse steht auch die Unempfindlichkeit der Riesen gegen Verletzungen im Verhältnis. Ein Blatt sei auf ihn herabgefallen, meint der aus dem Schlafe erwachende Hüne Skrymir, als Thor mit seinem Hammer ihm einen wuchtigen Streich aufs Haupt versetzt. Auch ihr Hunger und Durst ist gross. Der Gargantua des Rabelais steht mit jedem Fuss auf einem hohen Berg und trinkt, sich niederbeugend, den dazwischenfliessenden Strom aus. Stark sind die Riesen auch im Steinschleudern, stets findet man die ganze Hand des Werfers auf dem harten Blocke abgedrückt, ebenso lassen sie im Stein Fusspuren zurück und ihre ganze Gestalt ist eingeprägt in Felswänden, an die sie sich gelehnt.

Der Glaube an Riesen ist schneller geschwunden als der an die Zwerge. In der mhd. Dichtung[1133] werden sie besonders von höfischen Dichtern, welche ihre Stoffe aus dem Romanischen entlehnten, nur mit allgemeinen Zügen geschildert. Lebendiger und drastischer treten sie in der Heldensage auf, so im König Rother Aspirian, Grimme und Widolt, im Hürnen Siegfried Kuperan, im Wolfdieterich Rütze und Welle. Man findet denn auch von Opfern, welche Riesen, wie freundlichen Elben und Hausgeistern gebracht worden wären, kaum eine Spur.

Nach: Grimm und Simrock, Mythologie.[1134]

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1128-1135.
Lizenz:
Faksimiles:
1128 | 1129 | 1130 | 1131 | 1132 | 1133 | 1134 | 1135
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon