Eigensinn

[164] Eigensinn heißt die Gesinnung, welche zur hartnäckigen Verfolgung eines Grundsatzes oder eines Entschlusses ohne Achtung auf Gegengründe oder Hemmnisse oder den mangelnden Wert des Erstrebten antreibt. Der Eigensinn ist eine Übertreibung der Willensstärke, die dadurch zustande kommt, daß der Mensch sich wider bessere Einsicht an eine einmal gefaßte Idee oder Absicht anklammert, nur um nicht schwach zu erscheinen. Dadurch wird der Eigensinn zur Schwäche. Denn der Mensch befreit sich durch Starrheit von der Aufgabe, zu prüfen und zu wählen; der Eigensinn, die Art sich ohne Erwägung zu entschließen und bei dem unmotivierten Beschluß zu beharren (Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas, Juvenalis Sat. 6, 223), tritt gewöhnlich an den Stellen hervor, wo sich ein [164] Charakter unsicher fühlt. Willensschwäche, einseitige, unfertige und des plötzlichen Umschlags fällige Menschen sind oft die eigensinnigsten, während Stärke, Vielseitigkeit der Einsicht und des Handelns und Konsequenz vor Eigensinn bewahrt. Der wahre Charakter hält seine Maximen beisammen und läßt sich je nach den Verhältnissen durch die Vernunft bestimmen, während der Eigensinnige blindes Vorgehn für Charakter nimmt. Vgl. Wolff, Gemüt u. Charakter Leipzig 1882.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 164-165.
Lizenz:
Faksimiles:
164 | 165
Kategorien: