Fahren, Fahrung

[576] Fahren, Fahrung. Unter Fahren versteht man im Bergbau die Fortbewegung der Menschen in den Grubenräumen, sei es durch die eigne Muskelkraft oder mit Hilfe maschineller Einrichtungen. Die zum Zwecke des Fahrens getroffenen Vorkehrungen bezeichnet man als Fahrung. Fahrbar oder befahrbar nennt man Grubenräume, die gehörig zugänglich sind. Anfahren heißt, sich in eine Grube hineinbegeben. Man sagt auch: eine Grube befahren. Dementsprechend werden die Ausdrücke Anfahrt oder Einfahrt, Ausfahrt und Befahrung gebraucht.

Auf den Strecken und in den Abbauen wird häufig unmittelbar auf der Sohle gefahren, in wasserführenden Strecken, deren Wasserseige c (in Fig. 1) die ganze Streckenbreite einnimmt, wird zur Fahrung das Tragewerk (in Oesterreich auch Tretwerk genannt) aus eingebühnten Stegen a und daraufgenagelten Laufpfosten b hergestellt. Derartiges Tragewerk heißt offenes im Gegensatz zum geschlossenen, bei dem die Stege bis an die Streckenstöße mit Pfosten abgedeckt werden. Strecken, die nur zur Fahrung dienen, heißen Fahrstrecken; man legt sie[576] namentlich parallel zu Brems- und Haspelbergen an, da auf diesen während der Förderung das Fahren verboten ist. Unter Fluchtweg verlieht man einen fahrbar gehaltenen Weg durch Strecken und Schächte, auf dem die Arbeiter die Grube verlassen können, falls der gewöhnliche Weg aus irgend welchen Gründen zeitweise nicht benutzt werden kann. In den Abbauen sind wohl einfache Treppen, auch Fahrten (s. weiter unten) in Benutzung; beim Firstenbau (s.d.) nennt man die zu Treppen aufgesetzten groben Berge Vorsätze, am Harz auch Abgestemme. Selten dienen Einbäume (s. Fig. 2) zur Fahrung, das sind Stämme von Rundholz mit stufenartigen Ausschnitten. In den Fallstrecken der österreichischen Salzbergbaue sind Rutschen üblich; sie bestehen aus zwei nahe beieinander liegenden geneigten glatten Bäumen, auf denen man rittlings herabrutscht, während man an einem daneben befestigten Seil mit der durch ein Leder geschützten Hand die Geschwindigkeit mäßigt. Am unteren Ende verläuft die Rutsche allmählich wagerecht; zum Aufwärtsfahren sind daneben Treppen eingebaut.

Besonders wichtig sind die Einrichtungen in den Schächten. Es werden zur Fahrung entweder Fahrten, das sind starke Leitern, Fahrkünste oder die Fördergestelle (Fahrung am Seil, Seilfahrung) benutzt. Dient ein Schacht nur zum Fahren auf Fahrten, so heißt er Fahrschacht; diejenige Abteilung eines Hauptschachtes, in der die Fahrten bezw. die Fahrkunst eingebaut sind, heißt Fahrtrum, Fahrkunsttrum.

Eine Fahrt (Fig. 3) besteht aus den Fahrtschenkeln s, gewöhnlich Fichten- oder Tannenholz, und den Fahrtsprossen p, am besten Buchenholz. Zum Einbau der Fahrten dienen die Fahrtfrösche f, kurze Hölzer, welche auf die Einstriche E aufgeblattet find; an ihnen wird die Fahrt mittels der Fahrthaspen h befestigt. In den senkrechten Schächten stehen die Fahrten F zweckmäßig in einer Neigung von 75–80° (Fig. 4) auf den in regelmäßigen Abständen im Fahrschacht befindlichen Bühnen B, das lind eingebaute Fußböden, auf denen der Einfahrende von der oberen Fahrt abtritt, um sie herumgeht und durch eine belassene Oeffnung, das Fahrloch L, die nächste Fahrt betritt. Findet auf einer Bühne noch anderweiter Verkehr statt, so ist das Fahrloch für gewöhnlich durch eine kleine Falltür, den Fahrtdeckel oder Schachtdeckel, geschlossen. In flachen (d.h. geneigten) Schächten ist es unbequem, mit den Händen auf die Sprossen zu greifen; es werden daher seitlich oberhalb der Fahrt Fahrtstangen angebracht. Wird eine Fahrt nur vorübergehend benutzt, so hängt man sie wohl an S-förmigen Fahrthaken mittels einer der obersten Sprossen auf. Stürzt jemand von der Fahrt, so sagt man, er wird fahrtlos.

Die Fahrkünste [1], [2] wurden 1833 von Dörell am Harz erfunden; sie bestehen aus abwechselnd auf und nieder gehenden Gestängen, an denen sich feste Tritte t zum Darauftreten und Handgriffe r zum Anhalten befinden. Die häufigste Art der Ausführung als zweitrümige Fahrkunst mit Tritten t im doppelten Abstande der Hubhöhe h zeigen Fig. 5 und 5a. Die Gestänge G und G1 bestehen aus Walzeisen, deren einzelne Längen durch Verlaschung miteinander verbunden find; die Kurbel der umlaufenden Maschine wirkt mittels der Schubstange S auf die beiden Winkelhebel (Kunstkreuze, Kunstwinkel) H und H1, an denen unter Einschaltung einer Geradführung g die Gestänge befestigt sind; die Tritte sind in Abständen 2h angebracht. Ein Mann, der einfährt, tritt von der Schachtbühne B auf den Tritt 1 am Gestänge G,[577] dieses sinkt, während das andre steigt; nach einer halben Umdrehung der Maschine stehen sich die Tritte 1 und 1' gegenüber (Fig. 5a), der Mann tritt während der Hubpause nach 1' über und legt auf diesem Tritte während der zweiten halben Umdrehung der Maschine wieder den Weg h zurück. Nach der ersten vollen Umdrehung der Maschine stehen die Gestänge in der Anfangsstellung (Fig. 5), der Mann hat den Weg 2h zurückgelegt und kann von 1' nach 2 übertreten. Die Gestänge sind entsprechend geführt, neben der Fahrkunst sind meistens Fahrten eingebaut, damit die Fahrenden beim Stillstand der Maschine die Fahrkunst verlassen können; Signalzüge vermitteln die Verständigung mit dem Maschinenwärter. Die Fahrkünste machen etwa fünf Spiele in der Minute, und da die Hubhöhe gewöhnlich 2 m beträgt, so legt ein Mann auf der Fahrkunst in einer Minute 5 · 2 · 2 = 20 m Weg zurück. Zum Abtreten von der Fahrkunst sind von Zeit zu Zeit seitlich Bühnen im Fahrkunsttrum eingebaut. Zur Gewichtsausgleichung und zur Sicherung bei Gestängebrüchen werden bei Fahrkünsten außer den sonst bei Gestängemaschinen (s. Kraftübertragung im Bergbau) üblichen Einrichtungen besonders häufig Kettenrollen, auch Fangscheiben genannt (Fig. 6, R), angebracht, das sind eiserne, am Umfange mit Nut versehene Scheiben, deren Durchmesser gleich dem Abstande der Gestängemitten ist; sie sind an der Rückseite der Gestänge verlagert, über jede derselben läuft eine starke Kette K, die je mit einem Ende an einem der Gestänge befestigt ist. Bricht ein Gestänge, so soll der untere Gestängeteil von diesen Ketten getragen werden. – Ueberhübig ist eine Fahrkunst, auf deren Kunstkreuze noch Gestänge aufgesetzt sind, die also über die Sohle, in der die Betriebsmaschine aufgeteilt ist, hinaushebt.

Sehr häufig dienen die in den Schächten zur Produktenförderung bestimmten Einrichtungen unter Anbringung besonderer Sicherheitsvorkehrungen, zu denen namentlich die Fangvorrichtungen (s.d.) gehören, auch zur Mannschaftsfahrung (Seilfahrung); es ist dies namentlich bei tiefen Schächten die bequemste Art der Fahrung (s.a. Schachtförderung). Das Fahren auf dem Knebel, einem Knüttel, der durch das oberhalb eines Knotens aufgedrehte Seilende gefleckt ist, wird nur ausnahmsweise angewendet; mittels Handhaspels wird das Seil ab- und aufgewickelt.


Literatur: Vgl. die Bd. 1, S.696, genannten Lehrbücher der Bergbaukunde. – [1] Hauer, J. v., Die Fördermaschinen der Bergwerke, Leipzig 1885. – [2] Lengemann und Meinicke, Schacht Kaiser Wilhelm II. bei Clausthal, Zeitschr. für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate 1895, S. 227.

Treptow.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
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Fig. 3., Fig. 5., Fig. 5a.
Fig. 3., Fig. 5., Fig. 5a.
Fig. 4., Fig. 6.
Fig. 4., Fig. 6.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 576-578.
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