Flugzeug [1]

[287] Flugzeug. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bleiben alle Versuche, den menschlichen Flug herbeizuführen, erfolglos, weil sich die Erfinder auf reine Nachahmung des Vogelfluges beschränkten. Erst Otto Lilienthals Gleitflugversuche, deren Ergebnisse er 1889 in seinem Werk »Der Vogelflug als Grundlage der Fligekunst« niderlegte, hatte positive Erfolge zu verzeichnen.

Am 17. Dezember 1903 gelang es den Gebrüdern Wright zum erstenmal, mit ihrem Kraftflugzeug sich 59 Sekunden in der Luft zu halten und dabei 260 m gegen den Wind zurükzulegen. Während in der Entwicklungszeit die verschiedensten Konstruktionen auftauchten, hat sich im Laufe der letzten Jahre eine gewisse Einheitlichkeit im Bau der Flugzeuge herausgestellt.

Die zuerst gebräulichsten phantastischen Apparatkonstruktionen der Drei-, Vier- und Mehrdecker mit teilweise ganz eingenartig angeordneten Tragflächen konnten es zu keinem Erfolge bringen. Vielmehr entwickelten sich haptsächlich zwei Typen, die Doppel- oder Zweidecker und die Eindecker. Die gegenwärtig erfolgreichsten Doppeldecker lehnen sich in der Hauptsache an den Wright-Apparat und an den Voisin-Typ an. Erster endstand einfach aus einen Gleitflugzeug (s.d.), dem ein besonderer Vortriebmechanismus eingebaut wurde. Das augenfälligste ist die Tragzelle, d.h. die beiden übereinander angeordneten Tragflächen, denen vorne das Höhensteuer, achtern das Seitensteuer angefügt war. Der Motor wurde auf das untere Tragdeck, das an dieser Stelle besonders verstärkt war, gesetzt und betätige zwei gegenläufige, langsam Luftschrauben. Letztere hatte einen guten Nutzeffekt, so daß der Apparat schon mit einem 24 pferdigen Motor flog. Es stelle sich aber bald heraus, daß der Motor trotz seines leichten Gewichtes auf den Tragrippen nicht genügend sicher stand und daß ferner die Unterbringung des Führers auf der Vorderkante des unteren Flügels (ohne jeden Schutz) recht unbequem war; außerdem verzichteten Wrights prinzipiell auf jede natürliche Längsstabilität, so daß das Fliegen mit ihrer Maschine überhaupt nur möglich wurde unter fortwährender Betätigung der Steuerorgane, d.h. der Flugapparat konnte bei losgelassenem Steuer sofort in eine Sturzlage kommen, aus der er sich nicht selbsttätig aufrichtete. Die weitgehenden Patentansprüche der Wrights und die eben genannte Erschwerung des Fliegenlernens auf ihren Apparaten trugen dazu bei, daß die Wright-Maschine als solche kaum irgendwelche Bedeutung fand, trotzdem verschiedene, von ihnen zuerst eingeführte Einzelheiten (z.B. die Verwindung) von vielen andern Konstruktionen benutzt wurde. Voisin verwendete von Anfang an zur Erreichung einer natürlichen Längsstabilität ein besonderes als Karten ausgeführtes Schwanzstück. Sein Apparat glich dem bekannten Hargrave-Drachen; die große Tragzelle vorn, die kleine Schwanzelle hinten; Motor und Propeller auf einem besonderen Rumpf, der sich über dem Anlaufgestell aufbaut. Das Höhensteuer war zunächst vorn angeordnet; die Quersteuerung erreichte Voisin (weil die Verwindung den Wrights geschützt war) durch die Betätigung besonders, dem oberen Tragdeck angehängter Hilfsflächen (Ailerons[287] Fig. 2, a, b) oder Hilfsklappen (s. die Tabelle). Doppeldecker sind geeignet, große Lasten zu tragen, weil die Konstruktion der Tragzelle (Fig. 2) als Gitterträger bei verhältnismäßig kleinen Abmessungen der Streben ein zum Tragen genügend starkes Trägheitsmoment hergibt.

Die Eindecker sind von Anfang an dem Bériot-Flugzeug nachgebildet. Nach den ersten Versuchen war Blériot sofort auf die auch jetzt noch in großen Zügen maßgebende Eindeckerkonstruktion gekommen, und zwar hatte er ein langes bootsförmiges Gestell als Gitterträger vorgesehen, das vorn etwas stumpf, hinten dagegen sehr schlank verläuft. Vorn gliederten sich beiderseitig die Tragflügel an, während am hinteren Ende die verschiedenen Steuerorgane angeschlossen waren. Der Motor mit festgekuppeltem Propeller saß am Kopf unmittelbar vor den Sitzen (also unter Aufsicht der Flieger). Dadurch erhielten die Tragflügel fast die ganze Last, die hintere Schwanzfläche brauchte nur sich selbst zu tragen. Eine Verbesserung der Stabilitätseigenschaften ist später von Etrich durchgeführt (s. weiter unten und in der Tabelle: Rumpler-Taube).

Der Vorteil der Eindecker besteht in den geringen sich ergebenden Luft(Stirn-) widerständen, der Nachteil in der verhältnismäßig schweren Konstruktion der Tragflügel (Fig. 1), die z.B. bei der oberen durchlaufenden Tragfläche der Doppeldecker wesentlich leichter ausgeführt werden kann, ganz abgesehen von der gleichzeitigen Verwendung der Tragzelle des Doppeldeckers als Gitterträger. Ein weiterer Nachteil der Eindecker besteht darin, daß der Führer nur beschränkten Ausguck nach unten hat, selbst wenn man seinen Sitz möglichst weit hinter den Tragflächen anordnet. Alle diese Fehler sollten vermieden werden bei einem Eindecker mit undurchbrochener Tragfläche, bei welcher die Last (Motor und Führer) unterhalb der Tragflächen angeordnet war. Diese Konstruktion wurde zuerst von Dumont bei seiner »Démoiselle«, später in Deutschland von Grade und wesentlich besser von Dorner durchgeführt. Sie hat sich trotz mehrfacher auch neuerer Versuche (Pariser Salon 1913) nicht bewährt. Dorner verwendete außerdem einen hinten liegenden Propeller, den er mit Kettenuntersetzung betätigte, so daß er einen guten Wirkungsgrad hatte, was entschiedene Vorzüge mit sich brachte.

In der letzten Zeit haben sich die Ein- und Zweideckerkonstruktionen einander genähert, so daß wir beim modernen Flugzeug folgende Hauptteile unterscheiden können: den Rumpfkörper mit der Maschinenanlage, den Sitzen und Steuerflächen, der sich auf ein festes Fahrgestell stützt, und die Tragflächenkonstruktion.

Tragflächen: Für die Konstruktion werden gute Stabilitäts- und Steuerungseigenschaften mit der Möglichkeit leichter Demontage angestrebt. Für Eindecker hat sich als am zweckmäßigsten die Konstruktion der »Taubenflügel« nach den von Etrich angegebenen Entwürfen bewährt. Die Flügelenden sind im Grundriß nach hinten gezogen und dabei gleichzeitig aufgebogen, wobei die Tragrippen in elastische Enden auslaufen. Für Doppeldecker wird dasselbe erreicht durch die Anordnung der Flügel in Pfeilform in Verbindung mit V-förmiger Stellung der unteren Tragflächen. Es wird manchmal auch noch eine gewisse treppenförmige Staffelung der Tragflächen mit Erfolg angewendet, außerdem wird die untere Tragfläche mit kleinerer Spannweite ausgeführt und dann die überklasternden Enden des oberen Tragdecks zum Herunterklappen eingerichtet, wodurch einmal eine höhere Tragfähigkeit des oberen Flügels erzielt wird (weil er an den Enden nicht mehr im Windschatten des unteren liegt), während anderseits der Apparat in kleineren Schuppen untergebracht werden kann. Zur Konstruktion dienen zwei quer zur Flugrichtung stehende Holme, von denen der vorne liegende fest, der hinten liegende wegen der Steuerung beweglich mit dem Rumpfkörper verbunden ist. Quer zu den Holmen stehen die Tragrippen, die genau dem Wölbungsprofil entsprechend geformt sind. Dieses Gerippe wird mit gutem Diagonalstoff überspannt, welcher noch durch ein geeignetes Dichtungsmaterial (Cellon, eine Azethylcellulose) zur Glättung überstrichen wird. Da der Flügel die große Belastung nicht frei tragen kann, wird er durch wenige starke Stahlkabel nach dem Rumpfkörper zu verspannt. Zu diesem Zweck sitzt auf dem Rumpfkörper oben ein besonderer Spannbock, in welchen die Kabel münden, während die unteren Kabel größtenteils zum Fahrgestell geführt sind. Die Belastung der Tragflügel ist bei den modernen französischen Renneindeckern bis zu 70 kg/qm, in der Regel jedoch zwischen 15 und 30 kg/qm. (Fig. 1 und 2; Tabelle.)[288]

[289] Der Rumpfkörper (Fig. 3). Zum Schutz der Insassen und zur Verringerung des Stirnwiderstandes ist der Rumpfkörper bei fast allen Konstruktionen ein völlig geschlossenes Boot, viereckig, kreisrund oder elliptisch. Die Herstellung des Bootes als Gitterträger im Dreiecksverband, der sich mit wenigen kräftigen Streben auf das robuste Fahrgestell aufstützt, geschieht größtenteils in Holz, vielfach jetzt auch in Stahlrohr. Bespannung meist Stoff seltener Holzfurniere; in der Gegend des Motors wegen der Zündgefahr in der Regel Blechbespannung. Die Aussparung für die Sitze ist möglichst klein gehalten und mit einem dicken Wulst verstärkt. Vor den Sitzen sind walfischdeckförmige Blechaufbauten, manchmal auch in durchsichtiger Cellonausführung, angebracht, so daß die Insassen vor dem Propellerwind und den Unbilden der Witterung geschützt sind.


Flugzeug [1]

Die Maschinenanlage (Fig. 3) ist in der Regel im Kopf des Rumpfes untergebracht und besteht entweder aus einem Umlaufmotor oder einem stehenden Motor mit direkt gekuppelter Luftschraube (s. Luftschrauben).

Die Steuerorgane (Fig. 2 und 3) sind hinten am Rumpfkörper angebracht, und zwar sitzt das Höhensteuer bei allen Konstruktionen hinter der Schwanzfläche und ist als einfache Fläche ausgebildet. Das Seitensteuer ist in vielen Fällen ähnlich dem Balanzruder der Schiffe durchgeführt und sitzt stets oberhalb des Höhensteuers. Zur Quersteuerung dient bei Eindeckern vorwiegend die Verwindung, bei den Doppeldeckern werden Hilfsklappen angewendet. Bei den Konstruktionen mit elastischen Flügelenden werden die Steuer vielfach nicht in Scharnieren gedreht, sondern durch elastisches Verbiegen der Flügelenden betätigt. Ist Verwindung des Tragflügels vorgesehen, so wird der hintere Tragflügelholm am Flugzeugrumpf mit einem Scharnier befestigt, die Verspannungskabel des hinteren Holmes führen dann oben am Spannturm und unten am Fahrgestell über Rollen. Die Hilfsflächen sind mit Scharnieren den hinteren Flügelkanten angegliedert, hängen in der Ruhe lose nach unten, stellen sich während des Fluges in Flugrichtung ein und werden dann durch Steuerzüge entsprechend betätigt.

Je nach der Verwendungsart unterscheiden wir Landflugzeuge und Wasserflugzeuge. Landflugzeuge sind mit einem Räderfahrgestell ausgerüstet, das bei allen Konstruktionen möglichst niedrig, dafür aber sehr kräftig gehalten ist. Wenige, aber starke Streben werden unter Vermeidung aller Verspannungen zur Uebertragung der Lauen und der Landungsdrucke angewendet. Die Anlaufräder reiten beiderseits der Kufen auf kurzen Achsenstümpfen oder sie sitzen auf einer durchgehenden Welle (vgl. Fig. 2 und 3). Die Federung geschieht durch Gummiringzüge oder durch Spiraldrucksendern. Die leichten französischen Kavallerieeindecker haben überhaupt keine Federung.

Wasserflugzeuge besitzen statt der Räder Schwimmer (Fig. 1) unterhalb der Tragflächen. Die Schwimmer sind ähnlich mit dem Rumpf verbunden, in neuerer Zeit vielfach mit Gummiringzügen abgefedert und um eine vordere Horizontalachse schwingbar. Als Schwimmer wird entweder ein in der Mitte liegender großer Mittelschwimmer angewendet, zu dessen Unterstützung an den Tragflügelspitzen zwei kleine Hilfsschwimmer angeordnet sind oder aber durch zwei im Abstand von etwa 2 m voneinander liegende Hauptschwimmer. Stets wird der Schwanz durch einen besonderen Schwimmer getragen. Die Schwimmer sind in der Regel in flacher Prahmkonstruktion, größtenteils mit einer Stufe ausgeführt, sie erhalten ein großes Reservedeplacement. Als Material wird Blech oder Holzfurnier verwendet; im letzteren Fall besteht die Innenkonstruktion wie bei Booten aus Querspanten und einem Diagonalverband. Die Schwimmer sind durch Querschotten unterteilt, jeder Raum ist durch ein Handloch auf seine Dichtigkeit nachzuprüfen. Der Hohlraum wird vielfach mit Kapokfaser ausgefüllt, um so auch bei Undichtigkeiten noch Auftrieb zu gewähren: Flugzeuge, die sowohl auf dem Lande als auch auf dem Wasser niedergehen sollen, erhalten ein kombiniertes Schwimmerfahrgestell, d.h. neben den Schwimmern sind Räder vorgesehen, die zur Verringerung des Widerstandes im Wasser bei jeder Wasserbenutzung hochgehoben werden müssen. Das Hochheben geschieht durch Seilzüge, Spindel, Kniehebelkonstruktionen oder gekröpfte Wellen.


Literatur: [1] Siegmund Huppert, Leitfaden der Flugtechnik, Berlin 1913. – [2] P. Béjeuhr, Das Fliegen, Berlin 1913. – [3] A. Joachimczyk, Moderne Flugmaschinen, Berlin 1913. – [4] O.L. Skopik, Wie berechnet, konstruiert und baut man ein Flugzeug? Berlin 1913. – [5] Raimund Nimführ, Grundlagen der Physik des Fluges, Leipzig 1910. – [6] J. Bordeaux, Etüde Raisonnée de l'Aeroplane, Paris 1912. – [7] Duchène, Causeries Technique sans Formules sur l'Aeroplane, Paris 1913. – [8] Hoernes, Buch des Fluges, Wien 1912.

Béjeuhr.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 287-290.
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