Industrieausstellungen

[187] Industrieausstellungen, öffentliche Schaustellungen zu dem Zwecke, die Wertschätzung der im Wettbewerb ausgestellten Gegenstände zu ermöglichen und der Beurteilung gegebenenfalls durch zu erteilende Auszeichnungen Ausdruck zu verleihen. Es drückt sich hierbei das Bestreben aus, die Leistungsfähigkeit des Ausstellers zur Geltung zu bringen, den Absatz zu erweitern, die Fortschritte in der Technik darzulegen, gleichzeitig für den Ort der Veranstaltung aus dem Zuzug der Besucher besondere Vorteile zu ziehen. Ein wesentliches Merkmal von Ausstellungen ist ferner, daß durch sie die Interessenten wie auf einer fliegenden Warenbörse miteinander in unmittelbare Fühlung treten und daß bei dieser Gelegenheit gewissermaßen die Vorteile eines großangelegten praktischen Anschauungsunterrichtes zur Geltung kommen. Ueber der Eignung von Ausstellungen für praktische Zwecke dürfen aber die ideellen Wirkungsmöglichkeiten nicht übersehen werden. Abgesehen davon, daß durch Ausfüllungen das Selbstbewußtsein der Teilnehmer gesteigert, sie in mehrfacher Beziehung einander näher gebracht und ihr Ansehen nach außen gehoben werden kann, läßt sich analog wie das Ansehen einer Branche das Ansehen von Distrikten oder Provinzen, ja von Staaten wesentlich fördern. Ausstellungen vermögen ferner als Hilfsmittel der Politik und Handelspolitik maßgebende Wirkungen auf das Verhältnis von Staaten zu erzielen. Ausstellungen besitzen demnach als Veranstaltungen zum Zwecke würdiger Demonstration in politischer und wirtschaftlicher Beziehung, als Reklamemittel großen Stils, als Warenmessen in modernem Gewande und durch Heranziehung des Fremdenverkehrs zu vielseitige Vorzüge und Wirkungsfähigkeit, als daß die moderne Volkswirtschaftspolitik ihrer entraten könnte. Aufrichtiges Interesse der beteiligten Kreise, eine berechtigte Veranlassung, geeigneter Ort und ein entsprechendes Programm bilden selbstverständlich die wichtigste Voraussetzung.[187]

Wohl wird sich durch großangelegte oder interessante Vorführung so ziemlich jeden Gegenstandes auf einer Ausstellung für den Aussteller, für besondere Geschäftszweige oder das Erzeugungsgebiet ein moralischer Erfolg erzielen lassen, während der praktische Erfolg von der Beschaffenheit des Artikels abhängt. Alles, was mehr oder weniger als Individuum betrachtet und anerkannt sein will und daher ganz gleichartig in der Tages- und Fachpresse Reklame betreibt: Erfindungen, Maschinen, Kunstgewerbliches, Modewaren und selbst Massenartikel, sobald sie durch den Markenschutz individualisiert sind, werden sich grundsätzlich für die Vorführung auf Ausstellungen auch aus praktischen Rücksichten eignen. Für die nicht individualisierte Massenmarktware dagegen läßt sich nützliche Propaganda zugunsten des Absatzes ungleich wirksamer durch die Korrespondenz, Offertenerstellung und den Besuch der Kundschaft durch Vertreter betreiben. In der Regel ist es schwer möglich, den praktischen Erfolg von Ausstellungen kennen zu lernen, da die Aussteller nur zu oft nicht zutreffende Angaben machen. Die einen, die große Aufwendungen wagten, aber keine Geschäfte erzielten, wollen nicht als getäuschte Optimisten erscheinen und sprechen daher von großem Erfolge. Andre wieder stellen die Resultate als möglichst schlecht dar, weil sie entweder als die opferwilligen Patrioten zu gelten oder die Zahlung von Abgaben zu vermeiden trachten. Viele wollen auch nicht eingesehen, daß sich der Erfolg zwar nicht durch auf der Ausstellung erzielte Käufe und Verkäufe unmittelbar einstellte, daß aber die Hebung des Ansehens der Firma und die Anknüpfung von späterhin sich ausgestaltenden Geschäftsverbindungen auf die betreffende Beteiligung zurückzuführen waren. Als äußeres Zeichen des moralischen Erfolges werden die erzielten Preise betrachtet. Es wäre unrichtig, dies von allen Preisen ohne Unterschied gelten lassen zu wollen. Ihr Wert hängt vielmehr angesichts der vielen vorkommenden Mißbräuche, selbst auf großen Ausstellungen, bei jeder einzelnen Veranstaltung davon ab, wie die Jury ihre Aufgabe auffaßt und durchführt. Von Nutzen und dadurch von Wert für die Industrie als Unterscheidungsmittel im Wettbewerbe können nur Preise gelten, wo sich die Jury in ihrem Urteil lediglich von dem bestimmen ließ, was tatsächlich ausgestellt war, nämlich welche Leistung bezw. welchen Grad der Leistungsfähigkeit des Ausstellers im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung des betreffenden Schaffenszweiges und der übrigen beteiligten Aussteller das ausgefeilte Objekt beinhaltet. In zweiter Linie steht sodann dessen Form und Umfang und damit die Wirkung, welche es im Gesamtarrangement der Ausstellung ausgeübt hat. Erst nach diesen Erwägungen kann die Berücksichtigung der Bedeutung der Firma zum Worte kommen, doch niemals in der Weise, daß eine große Firma, die wenig Bemerkenswertes in wenig sorgfältiger Form ausgestellt hat, womöglich einen besseren Preis erhält als eine Firma, die das von ihr ausgestellte Erzeugnis zwar in kleinerem Maßstabe und seit kürzerer Zeit erzeugt, noch keine Preise erhielt, zur Weiterentwicklung der betreffenden Produktion aber Bemerkenswertes beitrug und dies im Objekt durch programmgemäße Anlage, Ausstattung und Form vollkommen zum Ausdruck brachte. Preisgerichte, die sich in erster Linie von der Bedeutung der austeilenden Firma und den von ihr bereits errungenen Preisen und erst in zweiter Linie von dem Dargebotenen leiten lassen, verkennen ihre Aufgabe vollkommen. Ein andrer Mißbrauch, der nicht nur die Firmen in ihren Erwartungen täuscht, sondern auch das Ausstellungswesen der richtigen Beeinflussung der Produktion und ihrer Entwicklung beraubt, ist die unbefugte Außerwettbewerberklärung, die natürlich nur jenen Teilnehmern gestattet werden kann, die das Preisrichteramt ausüben. Die nicht tief genug zu beklagende zweck- und ziellose Hypertrophie im Ausstellungswesen und die Mängel der Preisbeurteilung ließen die Pessimisten, deren Klage über Ausstellungswesen allerdings schon in den sechziger Jahren heftig genug war, in jüngster Zeit unzweifelhaft an Einfluß gewinnen; die Mißbräuche, die bezüglich der Ausstellungspreise betrieben und geduldet werden, tragen ebenfalls dazu bei.

Geschichte. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Messen, Jahrmärkte, Kunst- und Warenauktionen als Vorbilder für die gegen Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Ausstellungen gedient haben. Doch unterscheiden sich die Industrieausstellungen von allen diesen Formen der gleichzeitigen Vereinigung von Käufern und Verkäufern wesentlich. Auf den alten Messen – in Nishnij Nowgorod heute noch – tritt der Großhäuser mit dem Großverkäufer, der gleichzeitig sein Warenlager mitgebracht hat, in unmittelbare Berührung, während bei Ausstellungen, entsprechend der Entwicklung vom Handkauf zum modernen Geschäftsbetrieb, der Kauf und die Bestellung nach Muster als Leitmotiv zu betrachten ist. Während z.B. die schon im Mittelalter bestehende Leipziger Rauhwarenmesse heute den Charakter einer Auktion angenommen hat, wurde die Leipziger Kurzwarenmesse unter Annahme der Tendenz des modernen Großhandels zur periodischen Musterausstellung. Bei Veranstaltungen, wo Einzelverkäufer oder gar Händler vorzugsweise beteiligt sind und die daher mehr als Jahrmärkte denn als Industrieausstellungen betrachtet werden müssen, liegt die Sachlage freilich anders, vermag aber am Wesen der letzteren nichts zu ändern. Die Entwicklung des Ausstellungswesens ist indessen nicht nur auf die modernisierende Umgestaltung des Geschäftsbetriebs, sondern mindestens ebensosehr auf die Ausbildung des Verkehrs und der Reklame zurückzuführen.

Die Veranstaltung, welche unter Napoleons I. Aegide im Jahre 1806 auf der Esplanade des Invalides stattfand, kann trotz des Jahrmarktcharakters als die erste Landesausstellung betrachtet werden, da sich die Beteiligung nicht auf Paris beschränkte, sondern auch das übrige Frankreich herangezogen wurde. Was in den nächsten Jahrzehnten folgt, trägt ebenfalls nur lokales oder provinziales Gepräge. Erst nachdem die maschinelle Technik die Mittel für die großindustrielle Produktion geschaffen, Eisenbahn und Schiffahrt jene Ausgestaltung erfahren hatten, daß ein internationaler reger Weltverkehr möglich war, und nachdem sich der ganze Geschäftsbetrieb diesen modernen Verhältnissen angepaßt hatte, waren die Vorbedingungen für jenen Wendepunkt in der Entwicklung der Ausstellungen gegeben, wie ihn die Ausstellung in London im Jahre 1851 darstellt. Da zu diesem Zeitpunkt der maschinelle Betrieb großen Stils eben erst zur richtigen Entfaltung gelangt war, fand das Bestreben der Pflege und Verbreitung neuer[188] Erfindungen besondere Betonung. Der Bedeutung der Veranstaltung entsprach auch der Erfolg; 17000 Aussteller hatten sich beteiligt, 6 Millionen Besucher1) sich eingefunden, und England behielt für lange Zeit die Führung im modernen Maschinenbetrieb. Mit dieser Veranstaltung wurde die Ausstellungsidee zum erstenmal in ihrer höchsten und hochmodernen Vollendung verkörpert, als Weltausstellung. Die (zweite) Weltausstellung in Paris 1855 und die (dritte) Weltausstellung in London 1862 verzeichneten nur einen mäßigen Erfolg. Dafür fiel die Weltausstellung in Paris 1867 um so glänzender aus. Bei dieser Gelegenheit trat bereits der Vergnügungs- und ethnographische Teil stark in den Vordergrund. Ihr folgte 1873 als fünfte in der Reihe die Wiener Weltausstellung, auf welcher der Orient gut vertreten war, die jedoch wegen mehrerer ungünstiger Umstände (Börsenkrach, Cholera) nur einen beschränkten Erfolg erzielte und mit einem Verlust von 34 Millionen Kronen endete. Die Weltausstellungen in Paris 1878 und 1889 (Eiffelturm) förderten die Bedeutung von Paris als Metropole von Luxus und Lebensgenuß und bewiesen, daß sich in diesem Zentrum des Weltfremdenverkehrs derartige große Schaustellungen sogar in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen wiederholen lallen. 1893 fand die erste außereuropäische Weltausstellung in Chicago statt, eine prächtige, der nordamerikanischen Union würdige Veranstaltung. Hier beteiligte sich Deutschland das erstemal in größerem Maßstabe; auch Oesterreich war gut vertreten. 1900 hat wieder Paris die Welt zur Beschickung und zum Besuch seiner Ausstellung2) eingeladen. Als mächtiger Konkurrent tritt hier das Deutsche Reich Frankreich entgegen, mit der Beteiligung seine friedlichen Absichten, aber auch seine wirtschaftliche Bedeutung bekundend. Deutschland trug durch den Umfang seiner Beteiligung, die systematische und gründliche Ausgestaltung seiner Sektionen in mehreren Abteilungen den Sieg davon, und es hat damit seine Stellung als unmittelbarer Konkurrent Englands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika hervorgehoben. Wieder ist es Nordamerika, welches sich mit Frankreich in der Veranstaltung einer (zehnten) Weltausstellung in St. Louis im Jahre 1904 ablöste. Sie zeigte sich als echt yankeemäßige Kolossalschöpfung mit einem Areale von 1240 Acres (gegenüber 633 der Chicagoer oder 336 der Pariser 1900) und einem angeblichen Kostenaufwand von 200 Millionen Mark. Von ausländischen Staaten beteiligten sich vor allen Deutschland und Frankreich, beide wichtige Interessen in der Union vertretend, welche Millionen von Eingewanderten beider Staaten zu ihren Bürgern zählt. Frankreich erhielt 2574, Deutschland 2828 (nach französischer Zählung allerdings nur 1588), Großbritannien 737 Preise.

Neben den genannten Aufteilungen hat sich eine Reihe andrer Veranstaltungen auch Weltausstellungen genannt, ohne es zu sein, weil ihnen nach der Anlage oder Beschickung nicht zugesprochen werden kann, daß sie in großen Zügen ein Bild des jeweiligen Standes der Weltkultur gegeben haben, wie dies von einer Weltausstellung vorausgesetzt werden muß. Hierher gehören: Philadelphia 1876 (von manchen auch als Weltausstellung anerkannt), Sydney 1879, Melbourne 1880, Moskau 1882, Amsterdam 1883, Nizza und Kalkutta 1884, Antwerpen 1885, New Orleans 1886, Barcelona, Moskau, Brüssel sämtlich 1888, Sydney, Melbourne, Antwerpen 1894, Brüssel 1897, Glasgow 1901, Lüttich 1905.

Von bemerkenswerten internationalen Aufteilungen der letzten Zeit, die sich zumeist auch als solche benannten, seien erwähnt: Turin 1902, Petersburg »Die Kinderwelt«, Osaka 1903, Petersburg, Bekleidungsausstellung, Wien, Ausstellung für Spiritusverwertung und Gärungsgewerbe 1904, Mailand, Bukarest 1906.

Stellt sich schon die Zahl der obenangeführten wichtigeren Ausfüllungen mit universeller oder internationaler Beschickung als eine nachgerade sehr große dar, wobei zumeist Veranstaltungsorte auf dem europäischen Kontinent in Frage kommen, so wird die Hypertrophie noch deutlicher, wenn man – ohne hier auf landwirtschaftliche und Kunstausstellungen einzugehen – in Erwägung zieht, welch große Zahl nationaler, provinzialer und Städteausstellungen gleichzeitig stattfanden. Solche sind z.B. in Deutschland allein mit sehr verschiedenen Erfolgen, Ueberschüssen und Verlusten, von 1868 bis 1891 nicht weniger als 40 veranstaltet worden. Von jenen des Deutschen Reiches ist besonders bemerkenswert die Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung in Düsseldorf (1902) (Ueberschuß 11/2 Millionen Mark), die ein ebenso großartiges wie getreues Bild der Bedeutung des rheinischwestfälischen Wirtschaftsgebietes lieferte; namentlich die Darstellung der Montanindustrie war in technischer, wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht hervorragend. Auch die Bayrische Landesausstellung in Nürnberg (1906) verdient wegen ihrer Schönheit, Reichhaltigkeit und Einheitlichkeit den Namen eines Meisterstückes. Die Ausstellung des bayrischen Staates kann geradezu als Vorbild gelten. Von österreichischen Ausstellungen sei die Reichenberger hervorgehoben (1906), die den Zweck verfolgte, zu zeigen, welche Bedeutung dem Deutschtum Böhmens als wirtschaftlichem Faktor zukommt und die auf einen vollen Erfolg ihres Programmes zurückblicken darf.

Als spezielle Formen industrieller Ausstellungen sind die sogenannten »nationalen Ausstellungen im Auslande«, ferner die ständigen Musterausstellungen zu betrachten. Als Vorteile der ersteren wird von ihren Anhängern hingestellt, daß die Aussteller eben mit keiner ausländischen Konkurrenz in der Ausstellung zu rechnen haben, daß sich also das ganze Interesse auf sie konzentrieren muß. Dem ist aber wieder als Nachteil entgegenzuhalten, daß entweder besondere günstige Umstände obwalten müssen oder Außerordentliches zu leisten ist, um überhaupt[189] das fachliche und allgemeine Publikum für eine solche Veranstaltung zu interessieren. Ferner wird man beim Arrangement einer solchen Ausstellung in einem entwickelten Staate, wo mehr oder weniger das Streben vorherrscht, den Bedarf möglichst bei der heimischen Erzeugung zu decken, der nationalen Sympathie des Auslandstaates von vornherein vollkommen sicher sein müssen, sonst eventuell auf heftigen Widerstand flößen. Wie auch sonst im wirtschaftlichen Leben, ist gerade die Konkurrenz und der Vergleich der konkurrierenden Leistungen internationaler Produktion eines der wichtigsten und zugleich interessantesten Momente bei Ausfüllungen. Dieses fehlt bei Veranstaltungen der letzteren Art. Auch können selbstverständlich bei solchen Gelegenheiten keine Preise zur Verteilung kommen, so daß auch dieser Faktor in Wegfall kommt. Es würde sich daher in einem solchen Falle besser empfehlen, statt der gewöhnlichen Form der Ausheilungen mit voller Rücksichtnahme auf das Publikum eine streng kommerzielle Ausstellung mehr im Stile eines Musterlagers zu veranstalten und sie im Prinzip nur für den Besuch kaufmännischer Interessenten offen zu halten. Hierher gehören die nationalen Aufteilungen in dem bekannten Vergnügungs- und Restaurationsunternehmen Earl's Court in London (1906 fand dort z.B. eine österreichische Ausstellung in großem Umfange statt). In dieselbe Kategorie gehören auch die verschiedenen Projekte schwimmender Ausstellungen, von denen aber eigentlich keines Erfolg hatte.

Das Interesse für Exportmusterlager, d.i. Musterausstellungen im In- und Auslande, scheint nachgelassen zu haben, da bei einer derartigen Veranstaltung eben alles von der konsequenten kaufmännischen Leitung, dem Vertrauen und der Gefolgschaft des Firmenstabes abhängt. Ist das Musterlager nicht groß genug, so bietet es dem kaufenden Besucher kein Interesse, noch mehr dann, wenn er sich beim Kaufe gewisse Muster oder Ausstattungen ausschließlich vorbehalten will, wie dies namentlich in der Textilbranche so häufig vorkommt. Bei großen derartigen Musterausstellungen besteht aber die Gefahr, daß es der Ausstellungsleitung nicht gelingt, die Ausstellung immer gut erneuert und vollständig zu erhalten. Der Hauptvorteil bei städtischen zentralen Musterlagern wird dann höchstens darin bestehen, daß der Besucher, der sich an der Hand des Ausgestellten über das Fach der Erzeugung einer Firma zu unterrichten vermochte, den Aussteller in seinem privaten Musterraum aufsucht, welcher selbstverständlich weit eher alles Bemerkenswerte enthält, da seine Ueberwachung und Instandhaltung gewissermaßen automatisch erfolgt. Viele Aussteller, namentlich der Kurzwarenbranche, wo oft in der neuen Idee oder Formgebung der Wert des Erzeugnisses liegt, werden sich übrigens prinzipiell weigern, ihre Neuheiten in einem offenen, allgemein zugänglichen Musterlager vorzuführen. Hieraus erklärt sich z.B. das Fehlen eines solchen Musterlagers der bedeutenden Goldwarenindustrie von Pforzheim. Allerdings könnte diesem Mangel durch Aufstellung von Kojen teilweise abgeholfen werden, was jedoch wieder den Platz bei der verringerten Möglichkeit seiner Ausnutzung sehr verteuern würde. Auffälligerweise konnte sich selbst in Leipzig, wo doch alle Kaufmannskreise vollkommen mit dem Meßwesen vertraut sind und so große Vorteile durch die Messen erzielt werden, ein ständiges Musterlager von Bedeutung doch nicht entwickeln. Als die wichtigste Institution dieser Art, die sich wegen ihrer guten Leitung auch zu behaupten vermochte, gilt das Exportmusterlager von Stuttgart (1882).

Als eine besondere Form von Ausstellungen verdient der »Pariser Salon« Erwähnung, eine alljährlich wiederkehrende Veranstaltung, bei der Kunst und hochklassiges Kunstgewerbe vereinigt vorgeführt werden. Die Ausstellung ist in erster Linie für das große Publikum bestimmt. Paris mit seinem großen Fremdenverkehr und Luxus bietet für eine derartige Veranstaltung einen besonders günstigen Boden.

Ausstellungspolitik. Schon aus der flüchtigen Chronologie der Ausstellungen läßt sich die große Belastung erkennen, welche das Ausstellungswesen für den Industriellen und Gewerbetreibenden bedeutet, die sich jedes Jahr womöglich an mehreren Orten gleichzeitig beteiligen sollen. So beschickte Oesterreich z.B. im Jahre 1906 vier Ausstellungen: eine im Londoner Earl's Court, jene in Reichenberg, Mailand und Bukarest, so daß die österreichische Industrie im ganzen ein Ausstellungsareal von mehr als 50000 qm belegt haben dürfte.

Da anzunehmen ist, daß bei der heutigen raschen Entwicklung eine stets zunehmende Zahl von aufstrebenden Städten nach der Ehre trachten dürfte, durch Veranstaltung von größeren Ausstellungen, womöglich Weltausstellungen, in internationaler Beziehung eine besondere Rolle zu spielen und sich die Vorteile eines gesteigerten Fremdenzuflusses zu sichern, steht zu befürchten, daß die Hypertrophie der Ausstellungen eher zu- als abnehmen wird. Sollen daher die dem Ausstellungswesen innewohnenden Vorteile nicht durch die ziel- und zwecklose Häufung gleichartiger und unnötiger Ausstellungen verloren gehen, so werden die verschiedenen Staaten für eine grundlegende Regelung Vorsorge treffen müssen, zu deren Hauptaufgabe die Beschränkung auf ein vernünftiges Maß gehört. In diesem Sinne sprach sich auch der internationale Handelskammerkongreß in Mailand im September 1906 aus. Es sollte direkt das Vorbild Frankreichs maßgebend sein, wo wenigstens die Fragen der Beteiligung an Ausstellungen im Auslande in einer speziellen Körperschaft, im Comité français des expositions à l'étranger, zentralisiert sind. Es wurde 1888 als halboffizieller Spezialverein von Industriellen gegründet, mehreremal ausgestaltet und zählte 1905 bereits 1900 Mitglieder, welche nachweisen müssen, daß sie entweder als maßgebende Anordner, Jurymitglieder oder prämiierte Aussteller genau bezeichneter Ausstellungen teilnahmen und daher auf eine entsprechende Erfahrung und Betätigung auf diesem Gebiet verweisen können. Beteiligt sich Frankreich offiziell, so hat das Komitee im Prinzip die ganze Anordnung dem Staat zu überlassen. In St. Louis, Lüttich und Mailand war zwar das erstere der Fall, doch beschränkte sich die Regierung auf die Ernennung eines Generalkommissärs, während sie die Anordnung dem bewährten Komitee überließ: Das letztere zerfällt in verschiedene Sektionen, unter denen die der »Initiative« wohl die wichtigste ist. Sie hat bei auftauchenden Auslandsprojekten oder vorliegenden Einladungen[190] raschestens und gründlich an Ort und Stelle die Vorteile und Nachteile einer Beteiligung Frankreichs im Vergleich mit der sonstigen Inanspruchnahme auf Ausstellungen und der Beteiligung andrer Staaten zu studieren. Diese Kosten wie die der Erhaltung des Zentralbureaus deckt das Komitee. Hat sich die Zentralleitung für die Beteiligung entschieden, so wird aus dem Schoß der Organisation, und zwar aus den sich beteiligenden Vereinsmitgliedern eine Spezialkommission gebildet, die ihr Präsidium und ihre Funktionäre zu wählen und ihr selbständiges Budget zu verwalten hat, wobei sie sich natürlich immer auf die gesamte Organisation, deren Erfahrungen und Einfluß stützt. Hier entscheidet demnach eine Organisation der nationalen Industrie, ob und in welchem Ausmaß sie sich an Ausstellungen im Auslande beteiligen will. Der glänzende Erfolg in St. Louis, Mailand und Lüttich gereicht nicht nur dem Komitee, sondern auch Frankreich zur Ehre. Das Beispiel hat auch schon Nachahmung in Belgien und Italien gefunden, während mehrere andre Staaten sich mit dem Studium (in Oesterreich auf Veranlassung der Wiener Handelskammer) oder der Gründung (in Deutschland unter Führung der Zentralstelle für die Vorbereitung der Handelsverträge) solcher Organisationen beschäftigen. Es wird sich gewiß die französische Einrichtung nicht einfach in andern Staaten kopieren lassen, sondern sie wird den jeweils bestehenden besonderen Anschauungen, Institutionen und Verhältnissen anzupassen sein. Es stehen daher außer der Form des Vereins mit Mitgliedsbeiträgen wie in Frankreich (jedenfalls die unabhängigste Form), jene einer behördlichen Körperschaft von Spezialdelegierten mit staatlicher Subvention oder einer ausschließlich beratenden Körperschaft (Beirat) zur Verfügung.

Da die Grundlage des in Rede stehenden Vorgehens die Beteiligung der Industrie bildet, vor allem industrielles Kapital veranlagt ist und neben anderm praktische Erfolge für die Aussteller erzielt werden sollen, wäre es wohl angezeigter, die Organisation nicht als bloß beratende Körperschaft zu errichten, sondern sie unter Berücksichtigung der vollen Verfügungsgewalt und Kontrolle des Staates mit entsprechender Exekutive auszustatten. Dann wird nicht nur die Aktionsfähigkeit dieser Zentralstelle, sondern auch das Interesse der Beteiligten ungleich größer sein als im gegenteiligen Falle. Es wäre ferner zu erwägen, ob nicht die Befugnisse auch insoferne auf die einschlägigen Veranstaltungen des Inlandes ausgedehnt werden könnten, daß Gutachten über die sachliche und zeitgemäße Eignung von Projekten abgegeben werden, die über Ansuchen der Vorschlagenden vom Komitee eventuell sogar zur Durchführung übernommen werden könnten. Die nationale Fachorganisation würde auch bezüglich des Wertes und der Verwendbarkeit von inländischen und ausländischen Ausstellungspreisen ein maßgebendes Gutachten an die Staatsgewalt abzugeben haben. Vor allem würde eine derartige Zentralisierung in den Händen hervorragender und erfahrener Industrieller der Hypertrophie von Ausstellungen und der Verzettelung von Kraft und Wirkung durch allzu vielseitige Inanspruchnahme nachdrücklichst entgegenwirken. Es würde auch in speziellen Fragen mit der wünschenswerten gleichartigen Praxis und Sachkenntnis vorgegangen, den Ausstellungsagitatoren aber, die dieses Geschäft aus ehrgeizigen oder Erwerbsrückfichten betreiben, das Handwerk, das lediglich auf Kosten andrer eigne Vorteile zieht, gelegt werden.

Das Komitee würde mit der Beschränkung auf wirklich nützliche und notwendige Veranstaltungen gewiß am wirksamsten ein andres für die Reorganisierung wichtiges Prinzip vertreten, das der Fachausstellung gegenüber den allgemeinen Ausstellungen, welch letztere mehr nach möglichster Ausdehnung und Vielseitigkeit als nach sachlichem Wert streben, und wegen der hohen Kosten solcher großen Jahrmärkte mehr an das große Publikum appellieren und den Vergnügungsteil womöglich in den Vordergrund stellen.

Von bemerkenswerten ernsten Fachausstellungen seien hervorgehoben die retrospektive des Kunsthandwerkes in München »Unsrer Väter Werk« (1876), die für Spiritus- und Gärungsgewerbe in Wien (1904), schließlich jene in Dresden für Kunstgewerbe, in Tourcoing für Textilindustrie (1906).

Das Komitee hätte dann schließlich nicht nur im eignen Wirkungsbereiche, sondern im Einverständnis mit den gleichartigen Anstalten oder Vereinigungen andrer Staaten dafür zu sorgen, daß bei der Beurteilung durch die Preisgerichte die oben gerügten Mängel vermieden werden. Die Verwendung von auf solchen Winkelausstellungen erworbenen Preisen, bei denen es nicht auf die Beteiligung, sondern auf die Entrichtung festgesetzter Preistaxen ankommt, wäre geradeso in das Gebiet des unlauteren Wettbewerbs zu verweisen wie die unbefugte Verwendung von nicht verliehenen Preisen.


Literatur: Exner, Die Aussteller und die Ausstellungen, 2. Aufl., Weimar 1872; Huber, F.C., Die Ausstellungen und unsre Exportindustrie, Stuttgart 1886 (Hauptwerk); Lessing, Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen, Berlin 1900; Huber, Ausstellungen, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften; Rathgen, G., Ausstellungen, im Wörterbuch der Volkswirtschaft.

E. Pistor, Wien.

1Nach andern Quellen gab es 13000 Aussteller (allerdings ohne die indischen Teilnehmer) bezw. 36 Millionen Besucher. Es wild im folgenden absichtlich unterlassen, Zahlen der Besucher, der Kosten oder gar der Reingewinne bezw. Verluste zu zitieren, weil diese Daten aus naheliegenden Gründen sehr unzuverlässig sind und in manchen Falten zwei bis drei Varianten angegeben werden müßten.
2Ein Vergleich der Abrechnungen der letzten drei Pariser Weltausstellungen ergibt folgendes:
Industrieausstellungen
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 187-191.
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