Motorfahrrad

[540] Motorfahrrad. – In den letzten Jahren hat das Motorrad viele technische Verbesserungen erfahren, welche die Betriebssicherheit desselben steigerten und zur Bequemlichkeit des Fahrers beitrugen. Hauptsächlich kommen[540] Verfeinerungen der Motoreneinzelteile, breite solide Lagerungen, zweiteilige Kurbelzapfenlagerungen, Bolzensicherungen, verbesserte Ventile und Ventilsteuerungen, solide Abfederungen der Vordergabel und des Rahmens, zwangsläufige Schmiervorrichtungen, Mehrfachübersetzungen zum Anpassen an das Gelände, Pedalstartvorrichtungen, bequeme Fußstützen, Kraftübertragung durch Kupplung und Kette, rationelle Vergaser mit präziser Regulierfähigkeit (Fig. 8) in Betracht.

Aus Fig. 1 und 2 sind die neuesten Einzylindermotoren mit solider Einhängung in das Rahmenrohr zu ersehen. Die Lagerungen sind groß dimensioniert, diejenigen des Kurbelzapfens zweiteilig, die Kolbenbolzen sind gut gesichert; die Einlaßventile besitzen Hebelventilsteuerung; der Magnetbock und das Zahnradschutzgehäuse bilden mit dem Motorgehäuse ein stabiles Stück mit guter Oelabdichtung. Der Magnetzündungsapparat ist gegen Staub und Spritzwasser gut eingekapselt. Der Vergaser ist ein Zweikolbenvergaser, welcher für die verschiedenen Tourenzahlen leicht einregulierbar[541] ist und eine separate Zusatzlufthülse besitzt (Fig. 8a–8d).

Fig. 3 zeigt die Vordergabelfederung mittels Spiralfedern, welche besonders auf schlechten Straßen die Erschütterungen aufhebt und das Steuern erleichtert; die innere Gegendruckfeder hebt die Schwankungen auf, Fig. 4 zeigt die Hinterrahmenfederung, welche sowohl Fahrer wie Maschine vor Stößen schützt; auch die Motorradsättel sind mit weichen Doppelfederungen ausgestattet worden.

Aus Fig. 5 ist die mechanische, zwangsläufig vom Motor aus angetriebene Schmierung zu ersehen. Die Oelpumpe wird vom Motor aus durch Zahnradübertragung in Tätigkeit gesetzt und ist zu diesem Zweck am Motorengehäuse befestigt; das im Oelbehälter befindliche Oel gelangt durch eine Rohrleitung in den Pumpenzylinder und wird durch Sang- und Druckkolben in ein in ersichtlicher Weise angebrachtes Tropfölgehäuse gedrückt. Von hier aus gelangt die je nach Bedürfnis einregulierbare Oelmenge (30–70 Tropfen pro Minute je nach der Motorenstärke) mittels Leitung in das Motoreninnere, um durch die Zentrifugalkraft der Schwungscheiben durch die Schinierkanäle an alle reibenden Teile zu gelangen. Der Fahrer kann so während der Fahrt durch das Schauglas die regelmäßige Funktionierung der Oelzufuhr kontrollieren.

Diese Zirkulationsschmierung ähnlich wie bei Motorwagen enthebt den Fahrer von der Sorge und Mühe der früher gebräuchlichen Handpumpenschmierung, welche nach einer gewissen Fahrstrecke erforderlich war und besonders bei Anfängern durch Versäumnisse zu manchen Störungen (Heißlaufen der Lager und Ausglühen der Zylinder) führte.

Mehrfachübersetzung mit Leerlauf. Diese Vorrichtungen zum bequemen Anfahren vom Stand aus und zur Einschaltung kleinerer Uebersetzungsverhältnisse an Heilen Bergen haben sich stark eingebürgert. Es gibt verschiedene Systeme und Anordnungen. Die NSU.-Doppelübersetzung ist an der Motorenachse angebracht und besitzt eine um 35% reduzierte kleine Uebersetzung.

Durch Schaltung vom Rahmenrohr oder der Lenkstange wird der Geschwindigkeitswechsel während der Fahrt betätigt; in der Mittelstellung wird durch Ausschalten der Kupplungskonusse der Leerlauf erzielt, welcher zum bequemen Anfahren dient. Aus der Fig. 6 ist die Doppelübersetzung im Schnitt zu ersehen. Diese Vorrichtung hat den Vorzug, daß sie an die verschiedenen Motorradmarken und auch an ältere Motorräder nachträglich an die Motorenachse anmontiert werden kann. – Aehnliche Mehrfachübersetzungen gibt es auch in der Hinterradnabe oder mit einer Friktionskupplung zwischen Motor und Hinterrad gelagert. Mit Hilfe dieser Mehrfachübersetzung sind die steilsten Straßen bei Einschaltung des kleinen Uebersetzungsverhältnisses zu bewältigen.

Pedalstartvorrichtung. Diese Pedalstartvorrichtung (Fig. 7) bezweckt das Anfahren vom Sattelsitz aus durch einen kräftigen Tritt vom Startpedal. Zu diesem Zweck ist der Motor mit dem Pedalantrieb durch eine Kette oder Zahnräder verbunden. Ein Friktionskonus in dem Nockenrad sorgt bei dem Antrieb für die Ingangsetzung des Motors und beim Laufen des Motors für eine Entkupplung und Leerstellung des Antriebsrades mit Pedal.[542]

Fußstützen. Bei den schweren Modellen mit den leistungsfähigen Motoren, welche eine Nachhilfe durch Mittreten überflüssig machen, sind die Tretpedale mit Kurbellager durch solide Fußstützen, welche verstellbar und manchmal gefedert sind, ersetzt. Die Füße haben dadurch einen festen Stützpunkt, so daß der Fahrer besser ausruhen kann. An den Fußstützen ist meistens das Fußpedal für die eine Fußbremse und das weitere Pedal für die Kupplung bei Kettenmaschinen angebracht.

Kettenradübertragung, Kupplung. In vielen Gegenden ist das Beiwagenfahren durch Ankupplung eines Seitenwagens an das Motorzweirad oder ein zweiter Sitz über dem Hinterrad in Aufnahme gekommen, wozu ein besonders kräftiger Motor von 5 bis 8 PS. Verwendung findet. Für derartige hohe Ansprüche ist ein Kettenantrieb mit einer Zwischenkupplung (vgl. Fig. 10) vorzuziehen. Fig. 9 stellt ein NSU.-Motorrad mit diesen Einrichtungen dar. Das Wechselgetriebe für drei Geschwindigkeiten ist zwischen dem Rahmenquerrohr und dem Hinterrad untergebracht, anschließend daran ist das Kupplungsgehäuse. Der Antrieb erfolgt vom Motor auf das eine der mittleren Kettenräder, welches mit der Kupplung und dem Geschwindigkeitswechsel in Verbindung steht. Von dem anschließenden mittleren Kettenrad geht die Uebertragung auf das hintere Kettenrad auf der Hinterradachse über. Diese Art Motorräder werden außer in Deutschland auch in Amerika und England fabriziert, nachdem in diesen Ländern die Nachfrage nach schweren Motorrädern für ein und zwei Personen vorwiegt.[543]

Motordreiräder. Neben dem an das Motorzweirad angekuppelten Seitenwagen (Fig. 11) existieren speziell Motordreiräder für eine oder zwei Personen oder für den Warentransport. Der Motor ist ähnlich wie beim Motorzweirad »Enesumobil« (Fig. 12) im Rahmen eingehängt oder über dem Vorderrad, »Phänomobil« (Fig. 13), »Cyclonette«, angeordnet. Die Fahrzeuge besitzen Kettenantrieb, Kupplung, Wechselgetriebe für zwei bis drei Geschwindigkeiten, Lenkrad oder Lenkstangensteuerung, Differentialgetriebe auf der Hinterradachse. Sie haben den Vorzug, daß sich die Fahrer bei Regen durch ein Regendach oder im Winter gegen Kälte in bequemer, geschlossener Karosserie leicht schützen können, und daß infolge der drei Spuren eine Gleitgefahr nicht besteht. Da die Betriebskonten nur wenig höher sind wie beim Motorzweirad und bedeutend kleiner wie beim Motorwagen, so haben sich die Fahrzeuge stark verbreitet. Namentlich sind dieselben auch in Großstädten für den Warentransport vorherrschend. Der Anschaffungspreis bewegt sich zwischen 2000 ℳ. und 3000 ℳ.

Motorvierrad (Cycle car). Die neueste Erscheinung sind die vierräderigen kleinen Wagen nach Art der vorgenannten Dreiräder und anlehnend an die Motorzweiradsysteme gebaut. Dieselben sind in England und Frankreich zuerst in Aufnahme gekommen und haben sich zu einem einheitlichen Typ noch nicht durchringen können. Es existieren hier luft- und wassergekühlte, ein-, zwei- und vierzylindrige Motore, Vorderradantrieb und Hinterradantrieb; zwei-, drei- und viersitzige Karosserien, Riemen-, Ketten- und Cardanantrieb in allen möglichen Arten des Einbaues. Das Aussehen und die Ausführung der billigeren Systeme sind mitunter recht primitiv, die besseren Typen verhältnismäßig kostspielig. Die Preislage bewegt sich. zwischen 2500 ℳ. und 4000 ℳ.

C. Schwarz.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3., Fig. 5.
Fig. 3., Fig. 5.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 6.
Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 7.
Fig. 8a., Fig. 8b., Fig. 8c.
Fig. 8a., Fig. 8b., Fig. 8c.
Fig. 8d.
Fig. 8d.
Fig. 9.
Fig. 9.
Fig. 10., Fig. 11., Fig. 12., Fig. 13.
Fig. 10., Fig. 11., Fig. 12., Fig. 13.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 540-544.
Lizenz:
Faksimiles:
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