Zinn [1]

[1002] Zinn Sn, Atomgewicht 119, hat eine silberweiße Farbe und starken Metallglanz, ist nächst Blei das weichste Metall, besitzt kristallinische Struktur, die sich beim Biegen einer Zinnstange infolge Aneinanderreibens der Kristalle durch eigentümliches Geräusch (Zinngeschrei) sowie beim Anätzen, z.B. von Weißblech, durch eisblumenartige Bildungen (moiré métallique) kundgibt. Zinn läßt[1002] sich zu sehr dünnen Blättern (Zinnfolie, Stanniol) auswalzen, ist auch duktil, aber wenig fest. Spez. Gew. 7,29–7,31. Schmelzpunkt 230°.

Geschmolzenes Zinn bedeckt sich an der Luft mit einer grauen, aus Zinnoxydul und Zinn bestehenden Haut; durch fortgesetztes Schmelzen verwandelt es sich in gelblichweißes Zinnoxyd (Zinnasche); siedet bei Weißglut, und die Dämpfe verbrennen an der Luft mit weißer Flamme zu Zinnoxyd. Das Metall hält sich bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft ziemlich unverändert und büßt nur mit der Zeit seinen Glanz ein; es zersetzt Wasser in der Rotglut, wird von Salzsäure, Königswasser, heißer konzentrierter Schwefelsäure und von stark verdünnter Salpetersäure gelöst; gewöhnliche Salpetersäure verwandelt es in weiße Metazinnsäure; mit Kali- und Natronlauge bildet es unter Wasserstoffentwicklung zinnsaure Salze. Vereinzelt werden bei starker Winterkälte Zinngegenstände, z.B. Orgelpfeifen, warzig und beginnen zu zerfallen, indem sich das Zinn in graues (weniger metallisches) Zinn vom spez. Gew. 5,8 umwandelt. Dies schreitet auch über 0°, aber nur unterhalb 20° C. fort und wirkt auf andre Zinngegenstände bei Berührung ansteckend (»Zinnpest«). – Für die Gewinnung des Zinns kommt nur der Zinnstein SnO2 in Betracht, der entweder als Bergzinnerz in Gängen und Stöcken im Gebirgsstein oder als Seifenzinn (Zinnstein an sekundärer Lagerstätte) auftritt. Wegen des hohen spezifischen Gewichts des Zinnsteins genügt bei dem reineren Seifenzinn meistens die mechanische Aufbereitung, während bei Bergzinnerz die Verunreinigungen zweckmäßig durch Handscheidung entfernt werden und häufig noch oxydierende Röstung und Auslaugen (fremde Oxyde entfernen) mittels Säuren vorgenommen werden muß. Man gewinnt das Metall in Deutschland in Schachtöfen von etwa 3 m Höhe, deren lichte Weite oben etwa Im, unten im Schmelzraum 60–70 cm beträgt. Das Erz wird mit Holzkohle und mit Schlacken von früheren Reduktionen im Ofen geschichtet und mit Hilfe von Gebläsewind reduziert. Das reduzierte Metall fließt in einen Vorherd, von dem aus die Schlacke abgezogen und das Zinn in einen Stechherd abgelassen wird, den es als Roh- oder Werkzinn verläßt. Die noch zinnhaltigen Schlacken werden wiederholt im Schachtofen umgeschmolzen (Schlackentreiben) und liefern das unreinere Schlackenzinn. Bei dem Schlackentreiben wie auch bei dem Erzschmelzen entsteht noch eine Art Ofensauen, die sogenannten Härtlinge, Zinneisenlegierungen, welche neben den bei dem Gießen des Zinns auftretenden Zinnkrätzen, in der Hauptsache Zinnoxyd, dem Erz- oder Schlackenschmelzen wieder zugeführt werden. – Die Raffination des Rohzinns erfolgt in Deutschland durch Saigern; das flüssige Zinn wird auf den schwachgeneigten, mit glühenden Kohlen bedeckten Pauschherd aufgegossen, das reine Metall fließt ab und wird in Formen zu Block-, Platten- oder Rollenzinn gegossen, während unreineres in Gestalt der Saigerdörner zurückbleibt. – In England werden die pulverförmigen Erze in Flammöfen von etwa 31/3 m Länge und 21/3 m Breite reduziert, und das Rohzinn wird durch Polen mittels grüner Holzstangen gereinigt, indem die dadurch bedingte lebhafte Gasentwicklung die Schmelze zum Sprudeln und in allseitige Berührung mit der Luft bringt. Die verunreinigenden Metalle werden nebst einem Teil des Zinns oxydiert und sammeln sich als Krätzen oder Poldreck auf der Oberfläche an. Bei dem ebenfalls in England gebräuchlichen Tossingprozeß oxydiert man die fremden Metalle, indem man das mittels Kellen fortwährend ausgeschöpfte Zinn wieder in dünnem Strahl in den Kessel zurückfallen läßt. – Das reinste Zinn, das englische Kronzinn, wird durch Einschmelzen sehr reinen Zinns und Granulieren desselben gewonnen. – Näheres über die vorerwähnten Prozesse s. [1]–[3].

Elektrometallurgische Gewinnung des Zinns aus den Erzen ist nach Borchers ausgeschlossen; dagegen verarbeitet man Weißblechabfälle auf elektrolytischem Wege mit Erfolg. Näheres s. [4].

Das Zinn findet Verwendung zu Legierungen (s. Zinnlegierungen), als Amalgam zum Belegen der Spiegel; ferner zum Verzinnen des Kupfers und des Eisens (Weißblech) sowie zur Darstellung der Zinnpräparate.


Literatur: [1] Schnabel, Handbuch der Metallhüttenkunde, Bd. 2, S. 390, Berlin 1896. – [2] Hildebrandt, Lehrbuch der Metallhüttenkunde, S. 440, Hannover 1906. – [3] Fischer, Handbuch der ehem. Technologie, 14. Aufl., S. 307, Leipzig 1893. – [4] Borchers, Elektrometallurgie, 2. Aufl., S. 301, Braunschweig 1896.

(Rathgen) Moye.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 1002-1003.
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