Bayle [2]

[513] Bayle (spr. bǟl'), Pierre, einer der einflußreichsten philosophisch-theologischen und kritischen Schriftsteller Frankreichs, gewöhnlich als Skeptiker bezeichnet, geb. 18. Nov. 1647 zu Carlat in Languedoc als Sohn eines reformierten Predigers, gest. 28. Dez. 1706. Er besuchte seit seinem 19. Jahr die Akademie Puy ''aurens (Depart. Tarn), vom 22. Jahr an die Universität zu Toulouse, trat, in seinem Glauben zweifelhaft gemacht, daselbst zur katholischen Kirche über, kehrte aber schon nach 18 Monaten zu dem ererbten Glauben zurück. Dann wandte er sich seiner Sicherheit halber nach Genf und lebte als Erzieher teils zu Coppet am Genfer See, teils zu Rouen. 1675 erhielt er den Lehrstuhl der Philosophie in Sedan und folgte, als im Juli 1681 ein königlicher Befehl alle Schulen der Reformierten zu schließen gebot, einem Ruf nach Rotterdam. Zuerst erschien von ihm 1682 eine Schrift über den großen Kometen von 1680, in der sich viel Theologisches, Philosophisches, Politisches fand, z. B. die Sätze, daß Unglaube besser sei als Aberglaube, daß der Staat auch die Atheisten dulden müsse. Veranlaßt durch Salles »Journal des Savants«, gab er die »Nouvelles de la République de lettres« heraus, eine Zeitschrift, die sich bald ungemeinen Beifall erwarb. Sie ward von ihm selbst bis 1687 redigiert, dann bis 1698 von de Larogue und Barrin; eine neue Ausgabe mit den Fortsetzungen erschien 1715–20 in 56 Bänden. Als nach Aufhebung des Edikts von Nantes die berüchtigten Dragonaden wieder begannen, schrieb B., dessen eigner Bruder denselben als Opfer gefallen war: »Ce que c'est que la France toute catholique sous le règne de Louis le Grand« und »Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: Contrains-les d'entrer« (deutsch, Wittenb. 1771), welche Schrift ihn in Streitigkeiten mit den Protestanten, besonders mit Pierre Jurieu brachte. Im Verlauf dieser Polemik klagte Jurieu B. als Gottesleugner an und wollte ihn bestraft wissen. Infolgedessen ward er 1693 seines Lehramts entsetzt und ihm selbst jeder Privatunterricht verboten. Er widmete nun seine ganze Zeit und Kraft dem »Dictionnaire historique et critique« (Rotterd. 1697, 2 Bde.; 1702; am vollständigsten von Desmaizeaux, Amsterd. und Leid. 1740, 4 Bde.; neueste Ausg., Par. 1820, 16 Bde.; deutsch von Gottsched u. a., Leipz. 1741–44, 4 Bde.), das mit reichster Gelehrsamkeit, mit eindringendem Scharfsinn, in anziehender Darstellungsweise die verschiedensten Gebiete des Geisteslebens behandelte und besonders in philosophischer und religiöser Beziehung klärend, aber auch zersetzend wirkte. In skeptischer Weise hat B. den Widerstreit der Vernunft mit sich selbst auf den verschiedensten Punkten nachgewiesen. und namentlich die Unvereinbarkeit des vernünftigen Denkens mit den Glaubenssätzen, die durchaus unvernünftig seien, da es nur unter dieser Voraussetzung als Verdienst gelten könne, sie anzunehmen. Doch hat er nicht, was man ihm öfter vorwirft, ein frivoles dialektisches Spiel getrieben, er nahm es vielmehr ernst mit seiner Forschung, ernst auch mit der Betonung des Satzes: daß die Moral unabhängig von der Religion sei, und mit der Forderung religiöser Toleranz. Seine »Œuvres diverses« sind herausgegeben worden im Haag 1725–31, 4 Bde. Vgl. Desmaizeaux, La vie de Pierre B. (Amsterd. 1730, Haag 1732, 2 Bde.; deutsch von Kohl, Hamb. 1731); Feuerbach, Pierre B. (2. Aufl., Ausb. 1848); Lenient, Étude sur B. (Par. 1855); A. Deschamps, I.a genèse du scepticisme érudit chez B. (Brüss. 1878); Betz, Pierre B. und die »Nouvelles de la République de Lettres« (Zür. 1896); Dubois, B. et la tolérance (Par. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 513.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: