Differenzgeschäfte

[1] Differenzgeschäfte, Zeitgeschäfte, die nicht auf wirkliche Lieferung von Waren oder Effekten, sondern nur auf Herauszahlung des Unterschiedes zwischen dem vereinbarten Satz und dem Kurs des Erfüllungstages gerichtet sind. Meist werden sie in der Art ausgeführt, daß diejenigen, die ein Steigen der Kurse erwarten (Spekulation à la hausse), dem Börsenmakler Auftrag zum Kauf von Papieren auf Mitte oder Ende des Monats (Medio-, bez. Ultimogeschäft) erteilen, während die Baisse-Spekulanten für die gleiche Zeit verkaufen. Da nun die Spekulanten am Erfüllungstag meist bereits ihre Spekulation wieder realisiert haben, so lassen sie ihre Verpflichtung durch denjenigen erfüllen, der durch das Realisationsgeschäft an ihre Stelle getreten, und treten selbst nur so weit ein, als die Preisdifferenz zwischen den beiden Abschlüssen in Betracht kommt. Wenn X von A zu 100 gekauft und dem B zu 105 verkauft hat, so kann X den B anweisen, von A in Empfang zu nehmen, und da A nur 100 zu bekommen hat, kann X den Überschuß 5 an sich zahlen lassen. Auch derjenige, mit dem das Realisationsgeschäft gemacht wurde, kann dieses seinerseits als Spekulations- oder Realisationsgeschäft gemacht haben und durch die weitere Person, mit der er noch außerdem kontrahiert hat, erfüllen lassen. So finden die Ablieferungen zwischen ganz andern Personen statt als zwischen den Kontrahenten, indem den Empfangsberechtigten immer neue Firmen genannt (wieder übliche Ausdruck lautet: »Adressen gegeben«) werden, mit denen sie abzuwickeln haben. Die Abwickelungen zwischen diesen Parteien aber, die ja unter sich gar nicht abgeschlossen, also auch keinen Preis vereinbart haben, finden der Bequemlichkeit halber zu einem gleichmäßigen, am Erfüllungstag vom Börsenvorstand festgesetzten Kurse statt (Liquidations- oder Kompensationskurs). Die eigentlichen Kontrahenten haben dann untereinander nochmals abzurechnen wegen der Differenz, die zwischen dem von ihnen ursprünglich vereinbarten Kurs und dem Ablieferungskurse sich ergeben hat. Wenn A von B zu 102 gekauft und an C zu 104 verkauft hat, und am Erfüllungstag wird der Kompensationskurs auf 100 festgesetzt, so liefert B an C zu 100, hat aber noch 2 von A zu bekommen, während C noch 4 an A zahlen muß. So kann jedes Zeitgeschäft, ja sogar auch ein Kontantgeschäft teilweise oder ausschließlich durch Zahlung einer Differenz ausgeglichen werden. In Wirklichkeit lauten oft die abgeschlossenen Verträge auf weit größere Mengen, als wirklich umgesetzt werden, ja als überhaupt nur existieren. Solche D., bei denen es von vornherein lediglich auf den Gewinn der Differenz abgesehen ist, wirkliche Abnahme und Lieferung aber gar nicht beabsichtigt sind (D. im weitern Sinne), und erst recht solche, bei denen der Ausschluß effektiver Erfüllung unter den Parteien ausdrücklich vereinbart ist (D. im engern Sinne), stehen der Natur der Sache nach dem Spiel und der Wette nahe. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat daher im § 764 den allerdings sehr weitgehenden Grundsatz aufgestellt, daß alle auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren gerichteten Verträge, wenn sie in der Absicht geschlossen wurden, daß der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen- oder Marktpreise der Lieferungszeit von dem verlierenden Teil an den gewinnenden gezahlt werden soll, als Spiel anzusehen seien. Einer Klage aus solchen Geschäften kann also der Einwand des Spiels entgegengesetzt werden. Was dagegen auf Grund des Geschäfts geleistet worden ist, kann nicht zurückgefordert werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch verlangt zur Definition des Differenzgeschäfts nicht den vertragsmäßigen Ausschluß der wirklichen Erfüllung, es begnügt sich mit der auf Zahlung der Differenz gerichteten »Absicht« der Parteien, ja sogar mit der »Absicht« nur eines der Kontrahenten, wenn der andre um dieselbe wußte oder wissen mußte. Ein Vorhandensein dieser Absicht folgerte die Rechtsprechung aus begleitenden Umständen, wie z. B. aus seitheriger Gepflogenheit, aus dem Nichtvorhandensein der nötigen Lagerräume, überhaupt aus dem Unvermögen zu effektiver Abnahme oder Lieferung, aus der Höhe der Umsätze, aus dem Lebensberuf, aus dem geringen Depot etc.

Nur für den offiziellen Terminverkehr an der Börse ist dieser § 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches bedeutungslos. Das Börsengesetz vom 22. Juni 1896 hat, um das große Publikum von der Börsenspekulation abzuhalten, bestimmt, daß alle »Börsentermingeschäfte«, d.h. alle Anschaffungsgeschäfte von Waren oder Wertpapieren auf eine festbestimmte Zeit oder mit einer festbestimmten Lieferungsfrist, selbst wenn sie nach Geschäftsbedingungen geschlossen werden, die von dem Börsenvorstand für den Terminhandel festgesetzt sind, und wenn für die an der betreffenden Börse abgeschlossenen Geschäfte solcher Art eine amtliche Feststellung von Terminpreisen erfolgt (§ 48 des Börsengesetzes), ungültig sein sollen, falls nicht beide Kontrahenten[1] für diesen Geschäftszweig in ein eignes Börsenregister eingetragen waren (§ 66 des Börsengesetzes). Weiter hat das Börsengesetz angeordnet, daß, wenn dies der Fall und darum das Geschäft gültig ist, der Einwand, daß die Erfüllung durch Lieferung der Waren oder Wertpapiere vertragsmäßig ausgeschlossen war, von demjenigen, der im Börsenregister eingetragen war oder nicht eingetragen zu sein brauchte (das betrifft Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch eine gewerbliche Niederlassung haben) nicht erhoben werden kann (§ 69 des Börsengesetzes). Diese Bestimmungen sind durch den oben zitierten § 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht berührt worden. Die Judikatur des Reichsgerichts hat dem § 66 des Börsengesetzes eine weit über das »Börsentermingeschäft« hinausgehende Auslegung gegeben und damit das Anwendungsgebiet des § 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingeengt. Die Judikatur des Reichsgerichts (vgl. über die neuesten Urteile »Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen«, 1902, Nr. 240 ff.) wird aber gerade hier, nicht minder wie auch die gesetzlichen Bestimmungen selbst stark angefochten. Es läßt sich jedenfalls nicht verkennen, daß der Zweck jener gesetzlichen Regelung, das große Publikum von der Börsenspekulation fernzuhalten, und anderseits durch die Einführung des Börsenterminregisters und damit gegebenen Ausschluß des Spieleinwandes die Rechtssicherheit zu fördern, keineswegs erreicht worden ist. Wer übrigens durch Differenzhandel seinen Bankrott herbeiführt, ist strafbar (vgl. Bankrott).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 1-2.
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