Gemeindewaisenrat

[533] Gemeindewaisenrat, ein gemeindliches Hilfsorgan der Vormundschaftsbehörde, um diese in der Ausübung ihrer Pflicht zu unterstützen. Seine Organisation ist den Landesbehörden überlassen, jedoch hat das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmte Vorschriften bezüglich seiner Tätigkeit gegeben. Der G. hat die Pflicht, dem Vormundschaftsgericht geeignete Personen als Vormünder, Gegenvormünder oder Mitglieder eines Familienrates (s.d.) vorzuschlagen, in seinem Bezirk die Vormundschaften und Pflegschaften zu überwachen und Anzeige zu erstatten, falls Eltern ihren Kindern gegenüber ihre Pflicht versäumen; die gleiche Pflicht der Anzeige hat er, wenn er von einer Gefährdung des Vermögens eines Mündels seines Bezirks Kenntnis erhält. Endlich hat er auf Verlangen der Vormundschaftsbehörde über das persönliche Ergehen und Verhalten eines Mündels Auskunft zu erteilen. Ein Recht zum selbständigen Eingreifen bei Beobachtung von Pflichtwidrigkeiten steht ihm jedoch nicht zu. An und für sich werden für gewöhnlich männliche Individuen Mitglieder des Waisenrates sein (Waisenräte), jedoch ist nicht mit Unrecht auch Frauen die Übernahme dieser Tätigkeit gestattet worden (Waisenpflegerinnen), da sich hierfür zweifelsohne das weibliche Gemüt besonders eignet. Landesrechtlich wurden zur leichtern Erfüllung der Pflichten des Waisenrates sogen. Waisenlisten eingeführt, in denen vom Vormundschaftsgericht alle bei ihm anhängigen Vormundschaften und Pflegschaften einzutragen und diesbezügliche Veränderungen nachzutragen sind. Eine Abschrift dieser Waisenlisten erhalten die Waisenräte. Zur gemeinschaftlichen Beratung und Aussprache können unter dem Vorsitz des betreffenden Vormundschaftsrichters sogen. Waisenratssitzungen abgehalten werden. Das Institut der Waisenräte ist gerade in der Jetztzeit, wo Eltern und Vormünder keineswegs sich allgemein der Pflichten bewußt sind, die sie den ihnen anvertrauten Kindern gegenüber haben, zweifelsohne vom größten Wert, und die da und dort auch von seiten der Vormundschaftsgerichte gegen das Institut der Waisenräte auftauchenden Klagen sind nichts weiter als Übergangsschmerzen, deren rasche Beseitigung im Interesse der Allgemeinheit und der Zukunft unsers Volkes, die in unsrer Jugend liegt, dringend zu wünschen ist. Vgl. Weißweiler, Leitfaden für preußische Gemeindewaisenräte (16. Aufl., Hannov. 1903); Fuhrmann, Die Geschäftsführung des Gemeindewaisenrats (das. 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 533.
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