Gratiānus

[245] Gratiānus, 1) römischer Kaiser, ältester Sohn des Kaisers Valentinianus I., geb. 359 in Sirmium, wurde als achtjähriger Knabe 367 von seinem Vater zum Augustus ernannt und folgte diesem in der Herrschaft über die westliche Hälfte des Reiches 375. Während er zugunsten seines Bruders Valentinianus auf Italien verzichtete, übernahm er selbst die schwierige Herrschaft über die Länder jenseit der Alpen und erfocht 378 einen großen Sieg über die Alemannen in der Gegend des heutigen Kolmar. Den Osten überließ er nach dem Tode seines Oheims, des oströmischen Kaisers Valens, da er selbst sich nicht stark genug fühlte, den drohenden Andrang der Barbaren abzuwehren, dem kräftigen Theodosius (s. d.). Reich beanlagt, erzogen[245] von dem Dichter Ausonius und beraten von Ambrosius, mild, wohlwollend und persönlich tapfer, entfremdete er sich doch allmählich das Volk durch seine Unselbständigkeit und Untätigkeit und verscherzte die Gunst der Soldaten durch seine Bevorzugung des Ausländischen. Als sich daher Maximus in Britannien emporte und mit einem Heere nach Gallien übersetzte, wo G. eben mit einem alemannischen Kriege beschäftigt war, fiel ihm alles zu; G. wurde auf der Flucht erschlagen (25. Aug. 383). Vgl. Richter, Das weströmische Reich, besonders unter G., Valentinian II. und Maximus (Berl. 1865).

2) Gegenkaiser des Honorius, wurde 407 ausgerufen durch die meuterischen römischen Truppen in Britannien, aber schon nach vier Monaten ermordet.

3) Ein Kamaldulensermönch im Kloster des heil. Felir zu Bologna, verfaßte um 1145 ein nach ihm »Decretum Gratiani« benanntes kanonistisches Werk, das gegenwärtig den ersten Teil des Corpus juris canonici (s. d.) bildet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 245-246.
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